《Zur Geschichte der neueren Philosophie》是一篇探讨现代哲学发展历史的文章。作者通过分析不同哲学思想家的观点和贡献,揭示了现代哲学的演变过程。文章深入浅出地介绍了从文艺复兴时期到当代的哲学发展脉络,为读者提供了一个全面了解现代哲学演变历程的视角。
Zur Geschichte der neueren Philosophie读后感篇一
Es gibt verschiedene Gründe, aus denen man, wenigstens als Zugabe zu einer Einleitung in die Philosophie selbst, auch einen Rückblick auf die früheren Systeme zweckmäßig finden kann. Auch die Wissenschaft ist ein Werk der Zeit und in einer stetigen Entwicklung begriffen. Jeder, der sich imstande glaubt, sie um einen großen oder kleinen Schritt weiter zu fördern, wird von selbst geneigt sein, sein Verhältnis zu dem, was ihm vorherging, zu zeigen, um auf diese Art deutlich zu machen, von welchem Punkte der Entwicklung oder des Stillstandes er die Wissenschaft aufnehmen und nach welchem nächsten Ziel er sie zu fördern gedenke. Er wird die Teilnahme an seinen eigenen Forschungen höher spannen, wenn er zeigt, wie bis jetzt von Stufe zu Stufe das höchste Ziel verfehlt worden. Der Anfänger in der Philosophie lernt auf diese Weise, wenn auch bloß historisch, vorläufig schon die Gegenstände kennen, um die es zu tun ist und welche vorzugsweise die Geister der letzten Jahrhunderte beschäftigt haben. Wenn es endlich, um die Wahrheit schätzen und beurteilen zu lernen, notwendig ist, auch den Irrtum zu kennen, so ist eine solche Darstellung wohl die beste und sanfteste Art, dem Anfänger den Irrtum, der überwunden werden soll, zu zeigen. Doch das Gewicht aller dieser Gründe nimmt zu, wenn es nicht bloß eine neue Methode oder veränderte Ansichten in einzelnen Materien, sondern eine Veränderung im Begriff der Philosophie selbst gilt. Hier wird es dann erwünscht sein, wenn dieser Begriff auch unabhängig von der Wahrheit, die er an sich oder ursprünglich hat, zugleich als das natürliche geschichtliche Resultat früherer mißlungener Bemühungen, nicht mehr in seiner bloßen Allgemeinheit, sondern als ein notwendiges Ergebnis gerade dieser Zeit erscheint.[19]
Zur Geschichte der neueren Philosophie读后感篇二
Über den nationalen Gegensatz in der Philosophie
[214] Wer unserer geschichtlichen Entwicklung bis hierher gefolgt ist, konnte leicht die Bemerkung machen, daß diese im Fortschreiten mehr und mehr auf deutsche Philosophie sich zusammenzog. Wenn er nun ferner aus diesen Vorträgen die Art deutscher Philosophie, und um was es der Philosophie in Deutschland zu tun ist, kennengelernt hat und einen Blick werfen will auf den Zustand der Philosophie in dem übrigen Europa, so wird er nicht umhin können zu urteilen: Philosophie in diesem Sinn existiere zwar in Deutschland, aber nicht in der Welt. Dies ist aber bedenklicher, als man auf den ersten Blick glauben möchte. Denn wenn wir jenen Sinn nicht für einen bloß zufälligen, sondern wesentlichen halten müssen, so wäre man dann genötigt, weiter zu sagen: es gebe überhaupt nur eine Philosophie in Deutschland, aber nicht in der übrigen Welt. Es ist also wohl der Mühe wert, am Ende dieser Entwicklung die Frage aufzuwerfen, ob und inwiefern diese Differenz zwischen den Deutschen und den anderen europäischen Nationen wirklich existiere, und in diesem Fall, wie sie zu begreifen und zu erklären sei. Da nun aber der Unterschied selbst gar nicht abzuleugnen scheint, da es offenbar ist, daß, während die Deutschen noch immer ein großes Interesse des Gemüts und Geistes für Philosophie an den Tag legen, die andern europäischen Völker, Engländer und Franzosen insbesondere, eine große Abneigung gegen Spekulation zeigen und den Betrieb wissenschaftlicher Philosophie seit geraumer Zeit ganz aufgegeben haben, so scheint zunächst bloß von der Ursache dieses Unterschieds die Rede sein zu können. Da möchte es denn aber schwer sein, eine allgemeine gültige Antwort, d.h. eine solche zu finden, die der Deutsche ebensowohl als der Franzose und umgekehrt der Engländer ebensowohl als[214] der Deutsche, anzuerkennen geneigt wäre. Denn wie sich der Franzose unsere Vorneigung zur Spekulation und Philosophie erklärt, können wir uns ungefähr denken, wenn wir es auch nicht wüßten, und wie es der Engländer ansehen würde, wenn der Deutsche seinen Vorzug in Ansehung der Philosophie aus der tieferen Gemüts- und Geistesanlage seiner Nation erklären wollte, können wir uns auch wohl vorstellen. Wollte der Deutsche etwa die Vorzüge seiner Sprache geltend machen, von der Leibniz geurteilt, die Spekulation sei ihr eingeboren, so müßte ja das von dem Englischen wenigstens einigermaßen auch gelten; der Engländer würde entgegnen: gerade in den Ausdrücken der Grundbegriffe, die in den Wurzeln einer Sprache zu suchen sind, sei seine Sprache größtenteils der deutschen verwandt; außerdem aber würde eine größere Tiefe der Anlage sowohl als der philosophischen Beschaffenheit der Sprache wohl einen Unterschied des Erfolgs erklären, nicht aber, wovon eigentlich die Rede ist, daß Franzosen und Engländer Philosophie in deutschem Sinn gar nicht anerkennen.
Eher ließe sich vielleicht eine geschichtliche Erklärung hören, die das fortdauernde und immer wieder erregte Interesse der Deutschen an Philosophie von dem Glaubenszwiespalt, von der Koexistenz gleichberechtigter Religionsbekenntnisse in Deutschland herleite, und wer, der nur einen Blick auf den Gang der Philosophie in Deutschland werfen will, wird nicht in dem wirklich religiösen Ernst, in der enthusiastischen Art selbst, mit der die Philosophie zum Teil in Deutschland betrieben worden, ein Bedürfnis erblicken, jene Tat der Emanzipation, an der bekanntlich alle deutschen Völker ohne Aufnahme, mehr oder weniger, teilgenommen, gleichsam zu versöhnen und die äußerlich verlorene Einheit innerlich und auf dem Felde der Wissenschaft wiederherzustellen. Diese geschichtliche Hinweisung würde dann allerdings erklären wie und wodurch in Deutschland das Interesse an der Philosophie immer rege erhalten und, so oft es einschlummern wollte, stets wieder hervorgerufen und erweckt worden[215] ist. Aber es ist ja nicht bloß von einem Mehr oder Weniger, es ist von einem Gegensatz in der Sache selbst die Rede, denn die andern verwerfen nicht überhaupt und in jedem Sinne die Philosophie (die Franzosen waren es ja, die dem vorigen Jahrhundert zuerst das Ehrenprädikat des philosophischen erteilten, und Philosophie war in Frankreich lange genug das Feldgeschrei der bedeutendsten Schriftsteller und selbst Staatsmänner) – also nicht Philosophie überhaupt verwerfen die andern, sondern nur Philosophie im deutschen Sinn. Uns steht nun allerdings frei, zu erwidern, was sie für Philosophie halten, sei es gar nicht, und nur wir wissen, was Philosophie sei. Aber teils ist damit so viel nicht gesagt, als auf den ersten Blick scheint, denn auch bei uns ist schon manchem gesagt worden, daß, was er für Philosophie gebe, nichts weniger als das sei; die Deutschen lassen es an der Artigkeit untereinander nicht fehlen; teils scheint es doch aller Vernunft entgegen, ganzen sonst vorzüglich begabten Nationen eine Unfähigkeit für Philosophie zuzuschreiben, eine Erklärung, die um so sonderbarer wäre, als sie doch auf jeden Fall nur eine temporäre sein könnte; denn dem Volk, das einen Descartes, einen Malebranche und Pascal hervorgebracht hat, Gemüts- und Geistesanlage zur Philosophie völlig abzusprechen, machte man doch wohl vor sich selbst nicht rechtfertigen. Und so sehen wir uns doch am Ende genötigt, wenigstens für möglich zu halten, daß jener Entfernung von der Philosophie im deutschen Sinn, die wir bei den andern Völkern wahrnehmen, etwas Wahres und Richtiges zugrunde liegen könnte. Und so führt uns die Unmöglichkeit, auf die zweite Frage eine andere zulängliche Antwort zu finden als die Annahme, daß die andern in ihrer bisherigen Abneigung gegen Philosophie im deutschen Sinn doch auch auf gewisse Weise recht gehabt haben können, dieses führt uns denn auf die erste Frage zurück, worin eigentlich der Unterschied in dieser Beziehung bestehe, und da dieser nur in der Art der Philosophie liegen kann, welche Art von Philosophie es sei, die den andern Völkern allein zusagt, und wie die[216] von uns vorzugsweise so genannte Art sich zu jener verhalte.
Hierüber bedarf es aber keines langen Nachdenkens. Jene andern nämlich behaupten, Philosophie sei eine Erfahrungswissenschaft, und wollen sie nur als solche; der Deutsche aber behauptet bis jetzt wenigstens, Philosophie sei eine reine Vernunftwissenschaft, und will sie ebenfalls nur als solche. Versteht man nun unter Empirismus die Behauptung, daß es kein anderes Wissen gebe als aus Erfahrung, demnach, daß auch nur Erfahrungsmäßiges gewußt werden könne, so ist gleichwohl, je nachdem man mit dem Wort erfahrungsmäßig einen anderen Sinn verbindet, auch der Sinn jener Behauptung ein verschiedener.
Was man gewöhnlich und zunächst unter Erfahrung versteht, ist die Gewißheit, die wir durch die Sinne von äußeren Dingen und deren Beschaffenheit erhalten. Nächstdem spricht man auch von einer Erfahrung des inneren Sinus, die durch Selbstbeobachtung, durch Beobachtung der Vorgänge und Veränderungen im eigenen Innern gewonnen wird. Bleibt man nun dabei stehen und denkt sich unter Erfahrungsmäßigem nur, was unmittelbar Gegenstand des äußeren und inneren Sinns werden kann, so ist die äußere Sinnenerfahrung von den empirischen Naturwissenschaften in Beschlag genommen; für die Philosophie blieben also nur die Erfahrungen des inneren Sinns übrig. Die Philosophie würde demnach bloß in einer Analyse, höchstens zugleich einer Kombination der inneren Erscheinungen und der Vorgänge des Bewußtseins, kurz in dem bestehen, was wir eine gute (vollständige) empirische Psychologie nennen. Das ist nun auch so ziemlich die Vorstellung, die sich die Franzosen von Philosophie machen, und diese Vorstellung ist allerdings nach den Begriffen, mit welchen wir z.B. bis jetzt die Philosophie angesehen, eine ziemlich geringfügige. Wenn man aber bedenkt, daß viele unter uns sind, denen nicht nur kein höherer Begriff der Philosophie beiwohnt, sondern die ganz dasselbe behaupten, daß die Philosophie über die Tatsachen des Bewußtseins, d.h. also über den Umkreis[217] einer Psychologie oder subjektiven Anthropologie, im allgemeinen nicht hinausgehen könne, so sieht man nicht eigentlich, worin der große Unterschied wenigstens eines ansehnlichen Teils dessen, was sich in Deutschland Philosophie nennt, und dessen, was in Frankreich so genannt wird, bestehen soll.
Ja, so große Verehrung wir dem Namen Kants schuldig sind, so liegt doch am Tage, daß, wenn wir bloß auf das Resultat sehen, nicht einleuchten will, um wie viel besser derjenige daran sei, der bei Kant, als der noch früher bei Locke und Condillac stehenbleibt. Denn Locke hat einen Versuch über den menschlichen Verstand, Kant eine Kritik der reinen Vernunft geschrieben, die viel methodischer ist, aber auch um ein gut Teil nicht bloß schwerfälliger, sondern in der Hauptsache unverständlicher. Locke behauptet, daß nicht nur alle menschlichen Vorstellungen, sondern auch alle unsere Begriffe, selbst die wissenschaftlichen nicht ausgenommen, mittelbar von der Erfahrung abgeleitet sind. Kant gibt uns zwar gewisse, von der Erfahrung unabhängige, Begriffe zu; da sie aber doch nur einer Anwendung auf Gegenstände der Erfahrung fähig sind, so werden wir durch sie nicht unabhängiger von der Erfahrung – das Resultat ist für uns dasselbe; denn den besonderen Weg ins Übersinnliche, den Kant in seiner Moralphilosophie gefunden hat, könnte sich auf gewisse Art auch der Empirismus noch gefallen lassen. Denn gleichwie Kant das unbedingt gebietende Sittengesetz in uns gleichsam zum Zeugen der Existenz Gottes macht, so läßt es auch Locke nicht daran fehlen, Bürgschaften dieser Existenz in unserem Bewußtsein aufzuzeigen. Aber zwischen beiden ist der große Unterschied, daß gleichwohl Kant in der theoretischen Philosophie Gott zum Gegenstand einer Vernunftidee macht. Dies ist aber eben das protôn pseudos; der neueren Philosophie; es ist nicht einzusehen, wie, wenn es keine auch noch so unbedeutende Persönlichkeit gibt, die nicht außer der Vernunft noch mehr und Reelleres zu ihrer Erkenntnis fordert, wie gerade die höchste und vollkommenste Persönlichkeit sich[218] uns durchaus nicht anders als mittelst einer reinen Vernunftidee kundgeben sollte. Durch Kant war also der Rationalismus in der Philosophie proklamiert (vorher war man darüber, besonders in Ansehung der Idee Gottes, doch nicht so im klaren). Kant wehrte zwar und verbot allen theoretischen Gebrauch dieser Idee, allein er hatte gut wehren; wenn Gott eine Vernunft-Idee ist, so kann sich die Vernunft nicht nehmen lassen, diese Idee auch als solche zu verwirklichen; natürlich kann dies nicht anders als ebenfalls in einem bloßen Vernunftsystem geschehen – und dies, nichts anderes, hat die spätere Philosophie unternommen. Der Empirismus, indem er auf das Dasein Gottes stets nur, wie auf die Existenz einer anderen Persönlichkeit, aus empirischen, erfahrungsmäßigen Spuren, Merkmalen, Fußstapfen oder Kennzeichen schließt, begründet dadurch jenes wohltätige freie Verhältnis zu Gott, das der Rationalismus aufhebt, und wie man gestehen muß, daß noch heutzutage, wenn, wie in den späteren Zeiten des griechischen und römischen Verfalls, nur zwischen Stoizismus und Epikureismus die Frage wäre, das epikureische System gerade durch das, was in ihm das Absurde scheint, das sogenannte clinamen atomorum, durch das es den Zufall gewissermaßen als höchstes Prinzip einführt, wie, sage ich, das epikureische System trotz oder vielmehr wegen dieser Ungereimtheit auch heute noch als eine Zuflucht der Freiheit von jedem freien und freiheitliebenden Geiste vor dem stoischen ergriffen und aufgesucht werden müßte, so, wenn wir nur die Wahl hätten zwischen dem Empirismus und der alles niederdrückenden Denknotwendigkeit eines aufs Höchste getriebenen Rationalismus, würde kein freier Geist Anstand nehmen können, sich für den Empirismus zu entscheiden.
Der Empirismus läßt also selbst eine höhere Betrachtungsweise zu oder ist von einem höhern Standpunkt zu fassen, als von welchem ihn der herkömmliche oder wenigstens seit Kant gewöhnliche Begriff faßt, der nämlich alles Intelligible jenseits – nicht nur der Verstandesbegriffe, sondern ursprünglich und zu erst jenseits aller Erfahrung[219] verweist. Daher die jetzt gewöhnliche Erklärung, der Empirismus leugne alles Übernatürliche; aber dem ist nicht so. Der Empirismus, weil er dies ist, leugnet darum nicht notwendig das Übernatürliche, noch nimmt er die rechtlichen und sittlichen Gesetze so wie den Inhalt der Religion als etwas bloß Zufälliges an, nämlich in dem Sinn, daß er alles auf bloße Gefühle reduzierte, die selbst nur das Erzeugnis der Erziehung und Gewohnheit wären, wie es allerdings David Hume getan, der übrigens dasselbe in bezug auf die Art von Notwendigkeit, mit der wir Ursache und Wirkung in Gedanken verknüpfen, behauptete. Es gibt selbst einen höheren und niedereren Begriff des Empirismus. Denn wenn das Höchste, wozu gewiß nach allgemeiner Übereinstimmung selbst der bis jetzt anders Denkenden die Philosophie gelangen kann, eben dieses sein würde, die Welt als frei Hervorgebrachtes und Erschaffenes zu begreifen, so wäre demnach Philosophie in Ansehung der Hauptsache, die sie erreichen kann, oder sie würde, gerade indem sie ihr höchstes Ziel erreicht, Erfahrungswissenschaft, ich will nicht sagen im formellen, aber doch im materiellen Sinn, nämlich, daß ihr Höchstes selbst ein seiner Natur nach Erfahrungsmäßiges wäre. – Wenn daher bis jetzt jener nationale Gegensatz in Ansehung der Philosophie wirklich besteht, so zeigt dieser Zwiespalt zunächst nur, daß die jenige Philosophie, in der sich die Menschheit selbst zu erkennen vermöchte, die wahrhaft allgemeine Philosophie, bis jetzt noch nicht existiert. Die wahrhaft allgemeine Philosophie kann unmöglich das Eigentum einer einzelnen Nation sein, und solang irgendeine Philosophie nicht über die Grenzen eines einzelnen Volkes hinausgeht, darf man mit Zuversicht annehmen, daß sie noch nicht die wahre sei, wenn vielleicht auch auf dem Weg dazu.
Es ist freilich eine klägliche Pusillanimität und enge Beschränktheit, wenn die Philosophie, z.B. in Frankreich, von dem ganzen weiten und großen Reich der Erfahrung nichts für sich in Anspruch nimmt als das schmale und enge Gebiet kleinlicher, psychologisch genannter Beobachtungen[220] und Analysen. In Frankreich selbst ist die einheimische Philosophie oder, wie sie neuerdings genannt worden, Ideologie, ohne alle eigentliche Achtung, mehr höflich geduldet und behandelt als anerkannt. Wenn es einigen jüngeren Männern in Frankreich gelungen ist, einen gewissen Enthusiasmus für Philosophie zu erregen, so war es hauptsächlich nur, inwiefern sie die äußere Moral Kants der leichtsinnigen Frivolität ihrer Nation entgegensetzten und an ihr die Mittel einer vorerst moralischen Regeneration ihres Volkes gefunden zu haben glaubten. Die wahren Beförderer der Philosophie in Frankreich und England sind ihre großen Naturforscher, und man kann es den Engländern insofern wohl zugut halten, wenn Philosophie bei ihnen vorzugsweise, ja fast ausschließlich Physik bedeutet. – Vorzugsweise von seiten der Naturwissenschaft scheinen deutsche Ideen in Frankreich Eingang zu finden. Wer z.B. manche neuere Untersuchungen der Franzosen über Anatomie des Gehirns liest, wird mit Verwunderung eine neue Sprache, eine neue Art des Ausdrucks, die man in Deutschland noch vor kurzem mit dem Beiwort poetisch zu schimpfen glaubte, eine neue, durchaus deutsche Auffassungsart finden; selbst Cuvier zeigt in seinen neuesten Schriften über Geologie und Naturgeschichte der Vorwelt, daß gegenüber von diesen großen Erscheinungen deutsche Ideen über die Naturgeschichte der Erde und selbst deutscher Ausdruck großen Einfluß auf ihn gewonnen haben. Und ebenso möchte denn, wie aus einigem zu schließen, deutsche Wissenschaft vorzüglich auch von der Seite des Geschichtlichen und der Altertums-Forschungen in Frankreich und England Eingang finden. Verkehrt, geradezu verkehrt wäre es also, jene andern Nationen von der Lehre des Empirismus, die sie mit so großem anderweitigem Vorteil verfolgen, zurückrufen wollen; für sie wäre dies in der Tat eine rückgängige Bewegung. Es ist nicht an ihnen, es ist an uns Deutschen, die seit der Existenz der Naturphilosophie aus der traurigen Alternative einer in der Luft schwebenden, jeder Grundlage entbehrenden Metaphysik (über die[221] sie mit Recht sich lustig machen) und einer unfruchtbaren, ariden Psychologie herausgetreten sind – es ist an uns, sage ich, das System, das wir zu ergreifen und zu erreichen hoffen dürfen, jenes positive System, dessen Prinzip eben wegen dieser seiner absoluten Positivität selbst nicht mehr a priori, sondern nur a posteriori erkennbar sein kann, bis zu dem Punkt auszubilden, wo es mit jenem – in gleichem Verhältnis erweiterten und geläuterten – Empirismus zusammenfließen wird.[222]
Zur Geschichte der neueren Philosophie读后感篇三
[94] In diesem Zustand also befand sich die Philosophie, als Immanuel Kant unversehens als Instaurator derselben erschien und ihr den wissenschaftlichen Ernst und damit zugleich die verlorene Würde wiedergab.
Ehe ich nun zu Kant selbst fortgehe, will ich eine allgemeine Bemerkung vorausschicken, die mehr oder weniger auf alle menschlichen Taten anzuwenden ist, daß nämlich ihre eigentliche Wichtigkeit, d.h., daß ihre wahren Wirkungen meist andere sind, als die beabsichtet worden oder die im Verhältnis der Mittel stehen, durch welche sie hervorgebracht wurden. Kants Wirkung war in der Tat eine außerordentliche. Man kann sich eben nicht darüber freuen, wenn fünfzig Jahre nach Kants Erscheinung, nachdem wir jetzt allerdings auf einem andern Punkte sind, aber zu dem wir nie ohne ihn gelangt wären, Kants Verdienst von solchen herabgesetzt wird, die nichts dazu beigetragen, daß wir über Kant hinausgekommen. Eben dasselbe ist von Fichte zu sagen. Es gehört heutzutage nicht viel dazu, ein Verwerfungsurteil über beide auszusprechen, aber es gehörte viel dazu, die Philosophie nur wieder auf den Punkt zu heben, wohin sie durch Kant und Fichte war gehoben worden. Das Urteil der Geschichte wird sein, nie sei ein größerer äußerer und innerer Kampf um die höchsten Besitztümer des menschlichen Geistes gekämpft worden, in keiner Zeit habe der wissenschaftliche Geist in seinem Bestreben tiefere und an Resultaten reichere Erfahrungen gemacht als seit Kant. Aber diese Wirkung wurde nicht eigentlich hervorgebracht durch das, was Kant unmittelbar wollte. Während er durch seine Kritik aller Erkenntnis des Übersinnlichen für immer ein Ende gemacht zu haben glaubte, hat er eigentlich nur bewirkt, daß Negatives und Positives in[94] der Philosophie sich scheiden mußten, aber eben damit das Positive, nun in seiner ganzen Selbständigkeit hervortretend, sich der bloß negativen Philosophie als die zweite Seite der Philosophie überhaupt, als positive, entgegensetzen konnte. Diesen Scheidungs- und den darauf erfolgten Verklärungsprozeß der Philosophie ins Positive hat Kant eingeleitet. Kants Kritik hat um so mehr dazu beigetragen, als sie keineswegs feindselig gegen das Positive gesinnt ist. Während er das ganze Gebäude jener Metaphysik zusammenbricht, zeigt er doch immer die Meinung, daß man am Ende wollen müsse, was sie gewollt habe, und daß ihr Inhalt doch zuletzt die wahre Metaphysik sein würde, wenn es nur möglich wäre.
Ich gehe nun zur Darstellung Kants selbst über mit dem Satz, daß Kants Kritik zunächst gegen die in den Schulen angenommene Metaphysik gerichtet war, daß sie aber von einer andern Seite und unter der Hand gleichsam auch wieder zu einer Verteidigung eben dieser Metaphysik wurde.
Es hatte sich gegen dieselbe eben damals von England aus, hauptsächlich durch John Locke, der Empirismus erhoben, welcher die Existenz aller von der Erfahrung unabhängiger Begriffe leugnete, und aus diesem Empirismus war die alles Allgemeine und Notwendige in der menschlichen Erkenntnis bezweifelnde oder vielmehr widersprechende Lehre des berühmten englischen Philosophen und Geschichtschreibers David Hume hervorgegangen; dieser sogenannte Skeptizismus Humes war nach Kants eigner Angabe dasjenige, wodurch er den Hauptanstoß zu seiner eignen Philosophie erhielt.
Humes Angriffe gingen fast ausschließlich gegen die objektive Gültigkeit des Kausalgesetzes, des Grundsatzes, daß alles, was geschieht, eine Ursache habe. Unbedenklich richten wir uns in allen unsern Handlungen wie in unsern Urteilen, ja Hume als ganz pragmatischer, d.h. als lehrreicher, die Ereignisse aus ihren Ursachen erklärender Geschichtschreiber, richtet sich selbst nach diesem Gesetz Und was das Wunderbarste ist, wir selbst wenden dieses[95] Gesetz an und sehen andere es anwenden, ohne daß wir dieses Gesetzes eigentlich bewußt sind. Wir wenden es nicht an infolge einer wissenschaftlichen Einsicht in dasselbe, sondern von Natur und gleichsam instinktmäßig, zum Beweis, daß es ein reales Prinzip in uns ist, das uns so zu urteilen nötigt. Genau betrachtet hat Hume nur bewiesen, daß ein solches universelles, nicht bloß für alle wirklichen, sondern für alle möglichen Fälle geltendes Gesetz nicht aus der Erfahrung herstammen könne. Die Erfahrung kann allerdings nichts Allgemeines gewähren. Nun war aber schon angenommen, daß alle Erkenntnis nur aus den Sinnen komme. Es blieb also Hume nichts übrig, als die Allgemeinheit in der Anwendung dieses Gesetzes als eine bloß subjektive Erscheinung, nämlich durch eine bloß subjektive Angewöhnung, zu erklären. »Nachdem wir, sagt er, in unzähligen Fällen gesehen haben, daß gewissen Erscheinungen oder Ereignissen andere vorausgegangen sind, oder umgekehrt auf gewisse vorausgegangene Ereignisse andere gefolgt sind, so hat sich durch diese beständige Wiederholung unser Verstand zuletzt daran gewöhnt, jene Erscheinungen oder Ereignisse in Verbindung zu sehen und so zuletzt sie in den Zusammenhang von Ursache und Wirkung zu setzen, die vorausgehenden als Ursache, die folgenden als Wirkung zu betrachten.« Ich will vorjetzt nicht auseinandersetzen, daß selbst eine unendlichmal wiederkehrende Aufeinanderfolge zweier Ereignisse A und B noch immer nicht den Begriff der Ursache und Wirkung hervorbringen würde, wenn dieser nicht, unabhängig von der äußeren Erfahrung, durch eine innere Notwendigkeit unserer Natur uns auferlegt wäre. Alles, was uns aus jener wiederholten Wahrnehmung entstehen könnte, wäre, daß wir sagten: auf die Erscheinung A ist in allen Fällen, die ich bis jetzt beobachten konnte, die Erscheinung B gefolgt, und nie habe ich die Erscheinung B beobachtet, ohne daß die Erscheinung A vorausgegangen wäre, aber von dieser Bemerkung ist es noch himmelweit bis zur Verbindung beider als Ursache und Wirkung, worin noch etwas mehr liegt als bloße Aufeinanderfolge[96] – diese kann mich immer nur ein post hoc, aber nie ein propter hoc lehren, und wir würden in Ansehung aller Erscheinungen bei dem post hoc stehenbleiben, wie wir in gar vielen Fällen wirklich bei demselben stehenbleiben – selbst in Fällen, wo nicht einmal nur und zufällig, sondern wirklich nach einer Regel eines auf das andere folgt, und wo wir uns wohl hüten, beide Erscheinungen miteinander in Kausalnexus zu bringen. Wenn wir die eine Art von Folge, das post hoc, wo eine bloß äußere Folge ist, von der andern, dem propter hoc, wohl zu unterscheiden wissen, warum sollten wir dies nicht in allen Fällen können? Ich will indes auf dieser Reflexion gar nicht einmal bestehen, so wie ich überhaupt fragen möchte, ob es zur Widerlegung des Humeschen Zweifels gerade des großen Apparats der Kritik der reinen Vernunft bedurfte. Es ist sonderbar genug, daß man diese Widerlegung so schwer gefunden, wie niemand bis jetzt das ganz Einfache bemerkt hat, daß er selbst aus bloßer Erfahrung widerlegt werden kann. Hume erklärt das Kausalprinzip aus einer Angewöhnung; zu jeder Angewöhnung gehört aber eine gewisse Zeit; Hume muß also dem einzelnen Menschen nicht nur, er muß dem ganzen Menschengeschlecht eine gewisse Zeit zugeben, während deren es immer auf eine gewisse Erscheinung A die andere Erscheinung B folgen hat sehen, und so sich endlich gewöhnt hat, diese Folge als notwendig zu betrachten (denn dies liegt im Kausalbegriff). Aber eben dies, was Hume stillschweigend voraussetzt und also voraussetzen zu können meint, ist gar nicht vorauszusetzen. Denn ich bin überzeugt, keiner von uns wird geneigt sein, eine Zeit zuzugeben, wo das Menschengeschlecht nicht nach dem Gesetz der Ursache und Wirkung geurteilt hätte, und Hume selbst, wenn wir ihm die Frage vorlegen könnten, ob er sich den Menschen in irgendeinem Zeitpunkt seiner Existenz ohne diesen Begriff und ohne die Anwendung desselben denken könne, würde mit seinem Ja auf diese Frage zaudern; er würde fühlen, daß der Mensch, dem er das Urteil nach Ursache und Wirkung entzogen hätte, uns gar nicht mehr als Mensch erscheinen[97] könnte. Wir können also völlig gewiß sein, daß schon der erste Mensch gleich am ersten Tage seines Daseins nach diesem Prinzip urteilte, weil es zur menschlichen Natur gehört, so zu urteilen, wie denn die Schlange im Paradies, welche doch übrigens nach der mosaischen Erzählung dem ersten Menschen gleich skeptische Bemerkungen gegen das göttliche Verbot zuflüstert, ihm nicht etwa Unterricht über das Kausalgesetz erteilt, sondern voraussetzt, er verstehe sie wohl, wenn sie ihm sagt: So ihr die Frucht esset, werden eure Augen aufgetan sein, oder des Tages, da ihr von dieser Frucht esset, werdet ihr wie Gott sein; was doch so viel heißt: die Frucht oder das Essen der Frucht wird die Ursache davon sein, daß eure Augen aufgetan werden, die Wirkung dieses Genusses wird sein, daß ihr Gott gleich werdet. – Es existiert in arabischer Sprache ein Roman oder eine Erzählung unter dem Titel: Philosophus Autodidactus, wo ein Kind fingiert wird, das von seiner Mutter gleich nach der Geburt auf einer Insel des Indischen Ozeans ausgesetzt wird und das nur stufenweise durch Anwendung des ihm an- oder eingeborenen Verstandes zu allen philosophischen Begriffen und Einsichten gelangt. Allein wir bedürfen keiner solchen Fiktion, um Hume zu widerlegen; denn das Kind in der Wiege, das noch keine Gelegenheit gehabt hat, sich an eine gewisse Aufeinanderfolge von Erscheinungen zu gewöhnen, und dem noch weniger jemand von Ursache und Wirkung gesprochen, das Kind in der Wiege, wenn es ein Geräusch hört, wendet es sich nach der Gegend, wo das Geräusch herkommt, in keiner andern Absicht, als um die Ursache dieses Geräusches zu sehen, die es sonach voraussetzt.
Nach dem Gesetz der Ursache und Wirkung zu urteilen, ist uns also durch eine nicht bloß von unserem Wollen, sondern selbst von unserem Denken unabhängige und diesem vorausgehende Notwendigkeit auferlegt; was aber von unserem Wollen und Denken unabhängig ist, das nennen wir ein reales Prinzip. Es ist daher durch die Erfahrung selbst bewiesen, daß es ein reales Prinzip ist, das gleichsam wie eine universelle Schwerkraft – so wie diese[98] den Körper bestimmt, gegen das Zentrum sich zu bewegen, so uns nötigt, nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung zu urteilen wie nach dem Gesetz des Widerspruchs zu denken.
Gehen wir jedoch nun zu Kants Kritik der reinen Vernunft fort, so liegt dieser im allgemeinen der Gedanke zugrunde: ehe man etwas erkennen wolle, sei es nötig, unser Vermögen, zu erkennen, selbst einer Prüfung zu unterwerfen. Wie ein vorsichtiger Bauherr, eh' er sich ein Haus aufführe, seine Mittel wohl überlege, ob sie nämlich auch zur festen Begründung und zur glücklichen Hinausführung des Baus zureichen, so müsse der Philosoph, eh' er daran denke, ein Gebäude der Metaphysik aufzuführen, erst sich der Materialien desselben versichern, ob er sie auch herbeischaffen könne, und da diese Materialien hier aus einer geistigen Quelle geschöpft werden, so müsse diese selbst erst untersucht sein, damit man gewiß sei, ob sie zu dem beabsichtigten Bau auch wirklich zureichenden Stoff enthalte oder darbiete. Ehe man sich Hoffnung auf Erkenntnis – besonders der übersinnlichen Gegenstände – mache, müsse erst untersucht sein, ob wir auch das Vermögen besitzen, sie zu erkennen.
Auf den ersten Blick ist dieser Gedanke ungemein einleuchtend. Bei näherer Betrachtung findet sich aber, daß es dabei um ein Erkennen des Erkennens zu tun ist, und daß dieses Erkennen des Erkennens eben auch wieder ein Erkennen ist. Demnach bedürfte es erst einer Untersuchung über die Möglichkeit einer solchen Erkenntnis des Erkennens, und so könnte man ins Unendliche zurückfragen.
Wenigstens wird Kant, da er so kritisch zu Werk geht, sich selbst eines leitenden Prinzips und einer zuverlässigen Methode für seine Untersuchung des Erkenntnisvermögens versichert haben. Leider ist dies nicht der Fall. Er schickt keine allgemeine Untersuchung über die Natur des Erkennens voraus, sondern geht gleich über zu der Aufzählung der einzelnen Quellen der Erkenntnis oder der einzelnen erkennenden Fakultäten, die er aber nicht etwa wissenschaftlich[99] ableitet, die er vielmehr aus der bloßen Erfahrung aufnimmt, ohne ein Prinzip, das ihn der Vollständigkeit und der Richtigkeit seiner Aufzählung versicherte. Insofern kann seine Kritik der reinen Vernunft selbst nicht als eine wissenschaftliche Ausmessung des menschlichen Erkenntnisvermögens gelten.
Die drei Quellen der Vernunft sind ihm Sinnlichkeit, Verstand und Vernunft. Die Sinnlichkeit bezieht sich entweder auf die außer uns befindlichen Gegenstände oder unser eignes Innere, inwiefern wir die in uns selbst vorgehenden Veränderungen wahrnehmen – das Vermögen dieser Wahrnehmung der in uns selbst gesetzten Affektionen oder Veränderungen nennt er den inneren Sinn, wo also (ohne daß ein Grund angegeben wird) nur von einem Sinn, nicht von mehreren Sinnen die Rede ist, wie bei den äußeren Gegenständen. Die Erkenntnis, welche aus dieser ersten Quelle, aus der Sinnlichkeit entsteht – in der also schon mehr gedacht ist als der bloße Sinneneindruck –, heißt Anschauung. In der Anschauung aber unterscheiden wir das Zufällige, das anders sein könnte, und ein anderes, das nicht anders sein könnte. In Ansehung der äußeren Gegenstände ist dies der Raum. Wir können uns die äußeren Gegenstände nicht anders als im Raume vorstellen, der Raum ist also die notwendige und allgemeine Form unserer äußeren Anschauung. Hier beweist nun Kant aus der Notwendigkeit und Allgemeinheit dieser räumlichen Form unserer äußeren Anschauung, daß der Raum nicht ebenso wie das bloß Zufällige und Materielle der Dinge etwas bloß Empirisches oder erst mit der wirklichen Anschauung Entstehendes sein könne, daß er eine Form sei, die der wirklichen Anschauung in uns vorausgehe und also in der Natur unseres Erkenntnisvermögens selbst gegründet sei, woraus denn folgt, daß er nicht den Gegenständen selbst an sich oder unabhängig von unserer Vorstellung inhäriert, sondern nur den Gegenständen, sofern sie von uns angeschaut worden. Daraus würde denn weiter folgen, daß das Wesen der Gegenstände außer uns an sich unräumlich und unsinnlich sei. Allein Kant überläßt uns diese Folgerung[100] ebenso, als er uns überläßt, selbst uns auszudenken, wie denn nun der an sich unräumliche Stoff, der doch den letzten Grund unserer Vorstellungen von Gegenständen außer uns hergeben muß, wie dieser Stoff sich in unserer Anschauung zu jener Form des Raums bequeme, räumliche Form annehme.
Was für die äußere Anschauung der Raum, das ist für die innere die Zeit. Unsere Vorstellungen, Empfindungen usw., und zwar sowohl die Vorstellungen, die rein aus uns selbst, aus der eignen Tätigkeit unseres Geistes entstehen, als die Vorstellungen zu welchen wir durch äußere Gegenstände veranlaßt sind, sukzedieren sich; die Form, unter der wir sie wahrnehmen, ist Sukzession – Zeit. Daraus folgt also, daß in dem, was unsere Vorstellung von äußeren Dingen veranlaßt, weder Sukzession noch Zeit ist, ja es folgt sogar, daß eigentlich nicht einmal die sinnlich vorgestellten Dinge selbst, sondern nur die Vorstellungen, sofern wir sie durch den innern Sinn wahrnehmen, in der Zeit sind. Es folgt also, daß die Zeit noch weniger Unabhängigkeit von unseren Vorstellungen hat als der Raum, daß sie noch subjektiver ist als selbst dieser.
Bei alledem hat nun aber Kant außer Zeit und Raum, die bloß Formen unseres Anschauens und Vorstellens sind, den an sich raum- und zeitlosen Grund unserer Anschauungen, jenes Unbekannte, das er mit x (dem Zeichen der unbekannten Größe in der Mathematik) bezeichnet und das er sonderbar genug das Ding an sich nennt (eigentlich wäre es das Ding an und vor sich selbst, d.h. eh' es zum Ding wird, denn zum Ding wird es erst in unserer Vorstellung.) Was nun aber dieses außer allem Raum und außer aller Sukzession und Zeit Gesetzte, das, inwiefern es außer allem Raum, ein Geistiges, weil außer aller Zeit, ein Ewiges ist, was dieses Unbekannte sein könne, wenn es nicht etwa Gott ist, ist schwer zu sagen. Als Gott aber es zu bestimmen, ist Kant weit entfernt, denn er nennt den Idealismus des Berkeley, der die ganze Sinnenwelt für eine durch göttliche Einwirkung auf unser Vorstellungsvermögen erzeugte Vorspiegelung erklärt – diesen Idealismus,[101] der wenigstens noch zu denken ist, nennt Kant schwärmerisch. Mag er dies sein, aber das Schwärmerische selbst, wenn nur noch etwas bei ihm zu denken ist, ist philosophisch besser, als was in einem völligen Nichtgedanken oder Ungedanken endigt, wie Kants Theorie der sinnlichen Anschauung, die mit zwei reinen Unbegreiflichkeiten endigt, nämlich mit der unbegreiflichen Einrichtung des Vorstellenden in uns, das genötigt ist, das, was an sich außer allem Raum und außer aller Zeit ist, im Raum und in der Zeit vorzustellen, und mit jenem ebenso unbegreiflichen Außer-uns, von dem wir nicht wissen, weder was es ist, noch wie es auf uns wirkt, und welche Notwendigkeit oder welches Interesse es hat, auf uns zu wirken und uns zur Vorstellung einer Sinnenwelt zu veranlassen.
Kant geht jedoch nun von der Sinnlichkeit weiter zu der zweiten erkennenden oder Erkenntnis bestimmenden Fakultät in uns – dem Verstand. Er bemerkt, daß das sinnlich Wahrgenommene für uns nicht bloß notwendig im Raum und Zeit ist, daß wir, sowie es erkannt wird – sowie es sich zum Gegenstand des Urteils für uns erhebt –, daß wir alsdann ebensowohl genötigt sind, ihm gewisse Verstandesbestimmungen beizulegen, z.B. es als Substanz oder als Akzidenz, als Ursache oder als Wirkung, als Eins oder als Vieles usf. zu bestimmen. Alle diese Bestimmungen sind nun nicht mehr bloß Formen des Anschauens, sie sind Bestimmungen des Denkens, Begriffe – Begriffe des reinen Verstandes. Und dennoch ist unsere Meinung, daß diese Begriffe in den vorgestellten Gegenständen selbst seien, daß unser Urteil, dies oder jenes sei Substanz oder sei Ursache, nicht ein bloß subjektives, sondern ein objektiv gültiges ist und die Dinge so wenig ohne diese Begriffe gedacht als z.B. ohne den Raum angeschaut werden können. Dennoch – weil jene Bestimmungen Begriffe sind, die nur in einem Verstande sich denken lassen, so – sollte man meinen, beweisen sie einen unabhängig von uns in den Dingen selbst gegenwärtigen Verstand – aber Kant schließt nicht auf diese Weise, sondern – so können sie nur von den vorgestellten Gegenständen als solchen,[102] nicht aber über diese hinaus, d.h. auch vom Ding an sich, gelten; sie sind nicht anwendbar auf jenes Unbekannte, das den letzten Grund unserer Vorstellungen enthält. Dieses Unbekannte ist aber gerade das in letzter Instanz Erklärende, um das es uns also vorzugsweise zu tun sein muß. Fragen wir nun, was das noch sein könne, das nicht im Raum, nicht in der Zeit, das nicht Substanz, nicht Akzidenz, nicht Ursache, nicht Wirkung ist, so werden wir gestehen müssen, daß jenes Unbekannte nicht mehr = x, wie Kant es bezeichnet (= die unbekannte Größe einer mathematischen Formel), sondern daß es = 0, daß es uns zum völligen Nichts geworden ist. Da ihm also jenes außer der Erfahrung Vorausgesetzte (denn unter Erfahrung versteht Kant nicht die bloße Anschauung, sondern die durch jene Verstandesbegriffe bestimmte und so zur Erkenntnis erhobene Anschauung) – indem ihm jenes außer aller Erfahrung Vorausgesetzte eben damit zugleich völlig zu nichts wird, sehen wir, daß Kant uns am Ende eben wieder dahin bringt, wo wir zuvor waren, zu der völlig unerklärten Erfahrung. Dennoch hat Kant das Verdienst, die Allgemeinheit und Notwendigkeit in unserer Erkenntnis, ohne welche es gar keine Gewißheit mehr geben würde, erhalten, wenn auch nicht erklärt zu haben. Selbst des sinnlichen Phänomens kann ich nicht gewiß sein, wenn nicht in meinem Geiste ein notwendiges Prinzip sich findet, das mir ihre Gültigkeit versichert. Man käme am Ende darauf es ist unmöglich, daß ich das, was ich empfinde, nicht empfinde.
Kants Kritik ist aber vorzüglich durch die Behauptung berühmt geworden, daß die Verstandesbegriffe (oder, wie er mit dem von Aristoteles entlehnten Wort sie nennt, die Kategorien) auf das Übersinnliche nicht anwendbar seien; damit glaubt Kant aller Metaphysik, inwiefern sie auf eine Erkenntnis des Übersinnlichen geht, ein Ende gemacht zu haben. Allein er hat hierin mehr getan, als er wollte. Denn wenn es mit jener Nichtanwendbarkeit der Verstandesbegriffe auf das Übersinnliche seine Richtigkeit hat, so folgt, daß das Übersinnliche nicht nur nicht zu erkennen, sondern[103] daß es auch nicht einmal zu denken ist. Dadurch gerät aber Kant in einen Widerspruch mit sich selbst. Denn wenigstens die Existenz des Übersinnlichen leugnet ja er selbst nicht und setzt es bei seiner Konstruktion der Erfahrung selbst voraus. Denn was ist doch eigentlich jenes Ding an sich, wie er es nennt? Ist es nicht auch ein Übersinnliches? Zum wenigsten ist es doch ein Außer- und Unsinnliches. Als solches kann es aber nur zweierlei sein, entweder etwas, das über oder das unter der sinnlichen Erfahrung ist. Unter der sinnlichen Erfahrung wäre es, wenn es als bloßes Hypokeimenon, bloßes Substrat, als reine Materie ohne alle aktuelle Eigenschaft (die es erst in der sinnlichen Anschauung erhält) gedacht würde. Der Begriff Substrat ist aber von dem Begriff Substanz nicht verschieden. Da hat er also etwas außer der sinnlichen Erfahrung Liegendes, das er genötigt ist als Substanz zu bestimmen. Oder will er es als Übersinnliches denken. Hier würde sich zuerst fragen: wie dieses Übersinnliche sich von dem Übersinnlichen der anderen Art, das Kant immer wenigstens als Gegenstand unseres Erkenntnisbestrebens darstellt, wenn er gleich leugnet, daß es wirklich erkannt zu werden vermöge, wie es sich zu jenem Übersinnlichen, das Kant in Gott, in der menschlichen Seele, in der Freiheit des Willens usw. erkennt, wie es sich zu diesem verhalte. Nichts ist auffallender, als daß Kant bei dem gerühmten kritischen Verfahren doch nie auf diese naheliegende und sich aufdringende Frage geraten ist: wie sich denn das eine Außersinnliche oder bloß Intelligible zu dem andern, dem eigentlich Übersinnlichen, verhalte, daß er diese beiden ruhig nebeneinander stehen läßt, ohne sie irgendwie entweder zu unterscheiden oder miteinander in Verbindung zu bringen.
Kant selbst nennt das sogenannte Ding an sich (was nach seinen eignen Begriffen ein wahres hölzernes Eisen ist, denn inwiefern es Ding [Objekt] ist, ist es nicht an sich, und wenn es an sich ist, ist es nicht Ding), aber er selbst erklärt dieses Ding an sich als den intelligiblen Grund unserer Vorstellungen. Das Wort Grund läßt nun freilich auch[104] eine bloß logische Bedeutung und demnach ein bloß logisches Verhältnis jenes Intelligiblen zu unserer Vorstellung zu. Allein da er der wirklichen Vorstellung einen Eindruck auf die Sinne vorausgehen läßt, dieser Eindruck aber nicht von dem schon Vorgestellten, also nicht von dem schon mit den Formen der reinen Sinnlichkeit und mit der Form des Verstandes bekleideten Objekt, sondern nur von dem Ding außer und über aller Vorstellung herkommen kann, so muß er den Eindruck von jenem Intelligiblen herleiten, dieses Intelligible zur causa efficiens unserer Vorstellung machen, d.h. es selbst als Ursache (vermöge eines Verstandesbegriffs) bestimmen; wobei noch das Merkwürdige sich ereignet, daß er diesem Intelligiblen, diesem Noumenon, wie er es nennt, kein unmittelbares Verhältnis zur Intelligenz, zum Nus, zum eigentlich erkennenden Vermögen, sondern zu unseren bloß materiellen Sinnen oder zu den körperlichen Sinnesorganen zugesteht. Wenn jener intelligible Grund, den Kant das Ding an sich nennt, eigentlich die bloße Materie, den Stoff zu unsern Vorstellungen hergibt, welcher dann erst in der transzendentalen Synthesis der Apperzeption, wie Kant diese Operation nennt, auf jeden Fall also erst in dem Subjekt jenes Gepräge des Verstandes annimmt, welches wir in ihm voraussetzen müssen, wenn er Gegenstand eines objektiven Urteils sein soll, so fragt es sich, 1. wie jener intelligible Grund an das Subjekt komme, auf dasselbe wirke, 2. wie sich dieser Stoff so willig der Verstandesform füge, 3. woher dem Subjekt diese Gewalt über den Stoff komme. Diese Fragen sind in der Kantschen Kritik nicht beantwortet, ja nicht einmal aufgeworfen.
Zwei Forderungen werden an die Philosophie gemacht: erstens, die Genesis der Natur zu erklären, sei es nun, daß man diese als etwas objektiv, auch außer unsern Vorstellungen, so wie wir sie vorstellen, Seiendes, oder daß man sie idealistisch als bloß in unserer Vorstellung so existierend annehme. Hier muß nämlich wenigstens gezeigt werden, durch welchen – und zwar notwendigen – Prozeß unseres Innern wir genötigt sind, eine solche Welt mit[105] diesen Bestimmungen und mit solchen Abstufungen uns vorzustellen. Kant hat diese Forderung umgangen. Die zweite Forderung, welche an die Philosophie gemacht wird, ist, jene eigentlich metaphysische Welt, die übersinnliche Region, wohin Gott, Seele, Freiheit, Unsterblichkeit gehören, uns aufzuschließen. Gegen diesen höheren Teil der Philosophie hat nun Kant ein eigentümliches Verhältnis. Wie schon bemerkt, will er in Ansehung dieses Metaphysischen eigentlich dasselbe, was die hergebrachte Metaphysik vor ihm gewollt hatte. Wenn es eine wahre Metaphysik gäbe (diese Meinung gibt Kant überall zu erkennen), so müßt; sie Gott als freien Urheber der Welt, sie müßte die moralische Freiheit des Menschen neben dem unverbrüchlichen Kausalnexus in der Natur und die Unsterblichkeit des menschlichen Wesens dartun. Dabei setzt aber Kant keine andern Mittel zur Erreichung dieses Zwecks voraus, als welche auch die frühere Metaphysik gekannt hat. Seine Kritik bezieht sich so sehr bloß auf diese, daß man wohl sieht, es ist ihm nie auch nur eingefallen, daß es außer dieser eine andere geben könnte. Ja sogar nur auf eine bestimmte Form dieser Metaphysik bezieht sich Kants Kritik, auf die nämlich, welche sie zufällig gerade zur Zeit seiner Jugend durch Christian Wolff, und noch mehr durch Alexander Baumgarten (Kants Lehrer, unter den Wolffianern noch immer einer der besten Köpfe) angenommen hatte. Kant ignoriert alles, was über den subjektiven Rationalismus jener Metaphysik hinausgeht. Insofern ist seine Kritik von keiner Anwendung z.B. auf Spinozismus. Kant sagt zwar: der Begriff einer Substanz kann und darf auf übersinnliche Gegenstände, also auf Gott nicht angewendet werden. Dies kann gegen den Spinozismus gesagt scheinen, allein dieser Grund trifft den Spinoza nicht, weil dieser eben Gott nicht als ein im Sinne Kants und jenes subjektiven Rationalismus Übersinnliches denkt. Gott ist dem Spinoza nur die unmittelbare Substanz des sinnlichen wie alles anderen Seins. Kant müßte also erst beweisen, daß Gott notwendig ein in seinem Sinn Übersinnliches sei, dies beweist er aber nicht, sondern[106] setzt es bloß aus der allgemeinen Lehre oder der vor ihm angenommenen Metaphysik voraus. Indem er also die Unzulänglichkeit der gewöhnlichen metaphysischen Beweise, z.B. in bezug auf das Dasein Gottes, Unzerstörlichkeit und Unsterblichkeit der menschlichen Seele dargetan hat, glaubt er über alle wissenschaftliche Metaphysik den Stab gebrochen; das letzte Resultat seiner anstrengungsvollen Kritik ist, daß keine wirkliche Erkenntnis des Übersinnlichen möglich sei. Die eigentlichen metaphysischen Gegenstände sind ihm bloße Vernunftideen, die, wie er sagt, in keiner möglichen Erfahrung vorkommen können. Aber in dieser Allgemeinheit und Unbestimmtheit, wie dies behauptet wird, ist es noch keineswegs ausgemacht, daß Gott kein Gegenstand der Erfahrung sei oder sein könne. Freilich nicht der Erfahrung, die er allein so nennt; allein er selbst statuiert doch außer der Erfahrung durch die äußeren Sinne auch eine innere Erfahrung; ferner sagt er zwar: wirkliche Erfahrung sei nur in jenem Zusammentreffen der außer uns liegenden intelligiblen Ursache der Materie unserer Vorstellungen und unseres (ebenfalls intelligiblen) Subjekts, das durch seine Natur genötigt ist, ihr die Formen des Verstandes aufzudrücken. Insofern ist also jenes Intelligible selbst einer der Faktoren unserer Erkenntnis und scheint eben darum selbst nicht Gegenstand der Erkenntnis sein zu können. Gegenstand der Erkenntnis ist immer nur das Erzeugnis dieser beiden Faktoren. Allein eben weil jenes Intelligible einer der Faktoren aller Erkenntnis ist, so ist es als eine Voraussetzung aller wirklichen Erkenntnis ein gegen diese als notwendig Erscheinendes, während die Erkenntnis als solche gegen diese Voraussetzung derselben als ein Zufälliges erscheint. Zugegeben also, es folge aus dieser Ansicht, daß jenes Intelligible nicht Gegenstand einer wirklichen Erkenntnis sein könne, so zeigt es sich doch als Gegenstand eines notwendigen Denkens, und mehr als dieses – mehr, als daß z.B. Gott Gegenstand eines notwendigen Denkens sei, hat auch die alte Metaphysik nicht gewollt. Allein es verhält sich mit der Kantschen Kritik wirklich so, wie schon gesagt[107] worden, daß sie genau genommen nicht bloß die Erkenntnis, sondern daß sie alles Denken des Übersinnlichen aufhebt und unmöglich macht, indem sie nämlich, wie sie sich ausdrückt, alle Anwendung der Verstandesbegriffe auf dasselbe verbietet. Nun führt aber bekanntlich Kant selbst, nachdem er Gott aus der theoretischen Philosophie verwiesen, ihn dennoch durch die praktische wieder zurück, indem er wenigstens den Glauben an die Existenz Gottes als einen durch das Sittengesetz geforderten darstellt. Ist nun dieser Glaube nicht ein völlig gedankenloser, so ist Gott hier wenigstens gedacht. Nun möchte ich wissen, wie es Kant anfängt, Gott zu denken, ohne ihn als Substanz sich zu denken, freilich nicht als Substanz im Sinn des Spinoza, als id quod substat rebus, aber unstreitig denkt er Gott als absolut geistige und sittliche Persönlichkeit. Nun ist freilich in dem Begriff einer solchen Persönlichkeit mehr enthalten als in dem Begriff der Substanz. Gott ist insofern nicht bloße Substanz; wie z.B. auch ein Mensch dadurch nicht hinlänglich charakterisiert ist, daß man sagt, er sei eine Substanz. Aber ist er darum überall nicht Substanz? Ebensowenig sehe ich ein, was noch von dem Begriff Gottes übrigbleibt, wenn ich ihn nicht als Ursache denken darf. Kant hat also durch seine Kritik über sein eignes Ziel hinausgeschossen.
Wenn nun nach dem bisher Gezeigten das materielle Resultat der Kantischen Kritik zuletzt und im Grunde ein so leeres und nichtiges ist, worauf beruht das dennoch unleugbar Große und Außerordentliche seiner Wirkung, wodurch verdient er gleichwohl ein Instaurator der Philosophie genannt zu werden? Man könnte zunächst verschiedenes anführen. 1. Schon dadurch wirkte Kant wohltätig, daß er nur überhaupt wieder methodisch und mit Ernst zu Werke ging und dadurch jener philosophischen Anarchie, die ihm voranging – ich meine damit nicht die äußere, daß in jener Zeit kein herrschendes Haupt in der Philosophie gewesen, sondern die innere Anarchie – die völlige Prinzipienlosigkeit (archê, woher anarchia kommt, heißt bekanntlich Prinzip), daß er also dieser völligen[108] Prinzipienlosigkeit der Philosophie ein Ende machte; 2. daß, wenn er jene tieferen Fragen, die sich hauptsächlich auf den intelligiblen Grund alles erkennbaren Seins bezogen – wenn nicht beantwortete, ja nicht einmal aufwarf, daß er sie wenigstens unvermeidlich anregte, insbesondere aber, wie schon bemerkt worden, daß er die Allgemeinheit und Notwendigkeit in der menschlichen Erkenntnis gegen einen zerstörenden Skeptizismus und Sensualismus behauptete. Allein in allem diesem ist die eigentliche historische Wirkung Kants nicht zu suchen – das, wodurch er bestimmend war für die Folge der deutschen Philosophie. Diese Wirkung war vielmehr dadurch veranlaßt, daß er ihr die Richtung auf das Subjektive gab, die sie durch Spinoza völlig verloren hatte; denn das Eigentümliche des Spinoza ist eben die Substanz, die bloß Objekt, subjektlos ist, die als Subjekt sich völlig vernichtet hat. Zwar eine gewisse Ängstlichkeit, die Kant nicht überwinden konnte, und die noch vermehrt wurde, weil man seiner Philosophie gleich mit allen möglichen gehässigen Prädikaten entgegenkam, hatte ihn bewogen, Stellen in der ersten Ausgabe der Kritik der reinen Vernunft, in welchen er sich sogar beinahe als Idealist erklärt hatte, in den späteren Ausgaben mit andern zu vertauschen, in denen er scheinbar den Idealismus widerlegte. Aber der Weg zum Idealismus war dennoch gebahnt, das Ding an sich ein zu unbestimmtes, ja nichtiges (denn alles, was das Objekt zum Ding, zum Wirklichen macht, kam vom Subjekt), als daß es hätte bestehen können, und so war denn der nächste Schritt unstreitig der daß das Subjekt, das Ich allein übrigblieb. Dieser Schritt ist durch Fichte geschehen, welcher geradezu aussprach: das Ich, nämlich eines jeden Ich, ist die einzige Substanz.
Fichte faßt nicht etwa das Ich als allgemeines oder absolutes, sondern nur als menschliches Ich auf. Das Ich, als das sich ein jeder in seinem Bewußtsein findet, ist das einzige wahrhaft Daseiende. Alles ist für jeden nur mit seinem Ich und in seinem Ich gesetzt. Für jeden Menschen ist mit jenem transzendentalen, d.h. mit jenem das empirische Bewußtsein selbst erst bedingenden und ihm daher vorausgehenden[109] Akt, mit diesem Aktus des Selbstbewußtseins ist für jeden Menschen das ganze Universum zumal gesetzt, das eben darum nur im Bewußtsein da ist. Mit dieser Selbstsetzung: Ich bin, beginnt für jedes Individuum die Welt, dieser Akt ist in einem jeden der gleich ewige, zeitlose Anfang seiner selbst sowohl als der Welt. Jeder Mensch fängt gleichsam ewiger Weise (modo aeterno) an, mit ihm ist für seine Vorstellung seine ganze Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gesetzt. Wenn aber Fichte glauben konnte, den Schwierigkeiten, denen der philosophische Geist unter Voraussetzung des objektiven Daseins der Dinge bei Erklärung der Welt begegnet, dadurch entgangen zu sein, daß er die ganze Erklärung in das Ich verlegte, so mußte er nur um so mehr sich verbunden erkennen, ausführlich zu zeigen, wie mit dem bloßen Ich bin für einen jeden die ganze sogenannte Außenwelt mit allen ihren sowohl notwendigen als zufälligen Bestimmungen gesetzt sei. Er hätte die außer dem unmittelbaren Bewußtsein gesetzten Dinge wenigstens als Durchgangspunkte, als Vermittlungen jenes Aktes der Selbstsetzung nachweisen können. Allein es ist, als ob Fichte in der Außenwelt gar keine Unterschiede wahrgenommen hätte. Die Natur ist ihm in dem abstrakten, eine bloße Schranke bezeichnenden Begriff des Nicht-Ich, des völlig leeren Objekts, an dem gar nichts wahrzunehmen ist, als daß es eben dem Subjekt entgegengesetzt ist – die ganze Natur ist ihm in diesem Begriff so zusammengeschwunden, daß er eine Deduktion, die weiter als dieser Begriff sich erstreckte, nicht für nötig hielt. Am Ende war in Kants Kritik mehr Objektivität als in Fichtes Wissenschaftslehre. Denn Kant ließ sich bei der unternommenen Kritik, bei der Ausmessung des Erkenntnisvermögens, unbedenklich von der Erfahrung leiten, bei Fichte war es doch nur seine, also eine zufällige Reflexion, die alle Kosten der Fortschreitung bestritt.
Nach Fichte also war alles nur durch das Ich und für das Ich. Fichte hatte damit die Selbständigkeit oder die Autonomie, welche Kant dem menschlichen Selbst für[110] seine moralische Selbstbestimmung zuschrieb, zur theoretischen erweitert, oder dieselbe Autonomie dem menschlichen Ich auch für seine Vorstellungen von der Außenwelt vindiziert. Jener Satz: Alles ist nur durch das Ich und für das Ich, schmeichelt daher anfänglich zwar dem menschlichen Selbstgefühl und scheint dem inneren Menschen die letzte Unabhängigkeit von allem Äußeren zu geben. Aber näher betrachtet hat er etwas Thrasonisches oder Großsprecherisches, solang nicht gezeigt ist, wie, auf welche Weise dies alles, was wir als existierend anerkennen müssen, durch das Ich und für das Ich ist. Die Meinung dieses subjektiven Idealismus selbst konnte nicht sein, daß das Ich die Dinge außer sich frei und mit Wollen setzte; denn nur zu vieles ist, das das Ich ganz anders wollte, wenn das äußere Sein von ihm abhinge. Der unbedingteste Idealist kann nicht vermeiden, das Ich, was seine Vorstellungen von der Außenwelt betrifft, als abhängig zu denken – wenn auch nicht von einem Ding an sich, wie es Kant nannte, oder überhaupt von einer Ursache außer ihm selbst, aber doch wenigstens abhängig von einer inneren Notwendigkeit, und wenn er dem Ich ein Produzieren jener Vorstellungen zuschreibt, so muß dieses wenigstens ein blindes, nicht in dem Willen, sondern in der Natur des Ich gegründetes Produzieren sein. Um dies alles zeigte sich nun Fichte unbekümmert, er gab sich gegen die gesamte Notwendigkeit mehr das Verhältnis eines unwillig sie Negierenden als eines sie Erklärenden. Angewiesen nun, die Philosophie da aufzunehmen, wo sie Fichte hingestellt hatte, mußte ich vor allem sehen, wie jene unleugbare und unabweisliche Notwendigkeit die Fichte gleichsam nur mit Worten hinwegzuschelten sucht, mit den Fichteschen Begriffen, also mit der behaupteten absoluten Substanz des Ich sich vereinigen ließe. Hier ergab sich nun aber sogleich, daß freilich die Außenwelt für mich nur da ist, inwiefern ich zugleich selbst da und mir bewußt bin (dies versteht sich von selbst), aber daß auch umgekehrt, sowie ich für mich selbst da, ich mir bewußt bin, daß, mit dem ausgesprochenen Ich bin,[111] ich auch die Welt als bereits – da – seiend finde, also daß auf keinen Fall das schon bewußte Ich die Welt produzieren kann. Nichts verhinderte aber, mit diesem jetzt in mir sich-bewußten Ich auf einen Moment zurückzugehen, wo es seiner noch nicht bewußt war – eine Region jenseits des jetzt vorhandenen Bewußtseins anzunehmen und eine Tätigkeit, die nicht mehr selbst, sondern nur durch ihr Resultat in das Bewußtsein kommt. Diese Tätigkeit konnte nun keine andere sein als eben die Arbeit des Zu-sich-selbst-Kommens, des sich Bewußtwerdens selbst, wo es denn natürlich ist und nicht anders sein kann, als daß diese Tätigkeit mit dem erlangten Bewußtsein aufhört und bloß ihr Resultat stehenbleibt. Dieses bloße Resultat, in welchem sie dem Bewußtsein stehenbleibt, ist dann eben die Außenwelt, der sich eben darum das Ich nicht als einer von ihm selbst produzierten, sondern nur als einer zugleich mit ihm daseienden bewußt sein kann. Ich suchte also mit einem Wort den unzerreißbaren Zusammenhang des Ich mit einer von ihm notwendig vorgestellten Außenwelt durch eine dem wirklichen oder empirischen Bewußtsein vorausgehende transzendentale Vergangenheit dieses Ich zu erklären, eine Erklärung, die sonach auf eine transzendentale Geschichte des Ichs führte. Und so verriet sich schon durch meine ersten Schritte in der Philosophie die Tendenz zum Geschichtlichen wenigstens in der Form des sich selbst bewußten, zu sich selbst gekommenen Ich. Denn das Ich bin ist eben nur der Ausdruck des Zu-sich-Kommens selber – also dieses Zu-sich-Kommen, das im Ich bin sich ausspricht, setzt ein Außer– und Vonsich-Gewesensein voraus. Denn nur das kann zu sich kommen, was zuvor Außer sich war. Der erste Zustand des Ichs ist also ein außer-sich-Sein. Hierbei ist nur noch zu bemerken (und dies ist ein sehr wesentlicher Punkt), daß das Ich, inwiefern es jenseits des Bewußtseins gedacht wird, eben darum noch nicht das individuelle ist, denn zum individuellen bestimmt es sich eben erst im Zu-sich-Kommen, also das jenseits des Bewußtseins oder des ausgesprochenen Ich bin gedachte Ich ist für alle menschlichen[112] Individuen das gleiche und selbe, es wird in jedem erst sein Ich, sein individuelles Ich, indem es eben in ihm zu sich kommt. Daraus, daß das jenseits des Bewußtseins gedachte für alle Individuen dasselbe ist, daß hier das Individuum noch nicht mitwirkt, daraus erklärt sich alsdann, warum ich für meine Vorstellung von der Außenwelt unbedingt, und ohne selbst erst eine Erfahrung darüber gemacht zu haben, auf die Übereinstimmung aller menschlichen Individuen zähle (das Kind schon, das mir einen Gegenstand zeigt, setzt voraus, daß dieser Gegenstand ebensowohl für mich als für es existieren müsse). Allerdings nun indem das Ich zum individuellen wird – was eben durch das Ich bin sich ankündigt – angekommen also bei dem Ich bin, womit sein individuelles Leben beginnt, erinnert es sich nicht mehr des Wegs, den es bis dahin zurückgelegt hat, denn da das Ende dieses Wegs eben erst das Bewußtsein ist, so hat es (das jetzt individuelle) den Weg zum Bewußtsein selbst bewußtlos und ohne es zu wissen zurückgelegt. Hier erklärt sich die Blindheit und Notwendigkeit seiner Vorstellungen von der Außenwelt, wie dort die Gleichheit und Allgemeinheit derselben in allen Individuen. Das individuelle Ich findet in seinem Bewußtsein nur noch gleichsam die Monumente, die Denkmäler jenes Wegs, nicht den Weg selbst. Aber eben darum ist es nun Sache der Wissenschaft, und zwar der Urwissenschaft, der Philosophie, jenes Ich des Bewußtseins mit Bewußtsein zu sich selbst, d.h. ins Bewußtsein, kommen zu lassen. Oder: die Aufgabe der Wissenschaft ist, daß jenes Ich des Bewußtseins den ganzen Weg von dem Anfang seines Außersichseins bis zu dem höchsten Bewußtsein – selbst mit Bewußtsein zurücklege. Die Philosophie ist insofern für das Ich nichts anderes als eine Anamnese, Erinnerung dessen, was es in seinem allgemeinen (seinem vorindividuellen) Sein getan und gelitten hat: ein Ergebnis, das mit bekannten Platonischen Ansichten (wenngleich diese zum Teil einen andern Sinn und nicht ohne eine gewisse Zutat von Schwärmerischem verstanden waren) übereinstimmte.[113]
Dies war also der Weg, den ich zuerst und noch eben von Fichte herkommend, einschlug, um meinerseits wieder ins Objektive zu kommen, und leicht begreiflich konnte es dieser Wendung des Fichteschen Begriffs, wodurch dieser eigentlich erst verständlich und die Haupteinwendung gegen denselben entfernt wurde, bei ihrem ersten Hervortreten nicht an Beifall fehlen. Es war ein Versuch, den Fichteschen Idealismus mit der Wirklichkeit auszusöhnen oder zu zeigen, wie gleichwohl, auch unter Voraussetzung des Fichteschen Satzes, daß alles nur durch das Ich und für das Ich ist, die objektive Welt begreiflich sei.
So wenig habe ich mich beeilt, ein eigenes System aufzustellen, daß ich mich begnügt, wie es auch meiner damaligen Jugend geziemte, vorerst nur das Fichtesche System begreiflich zu machen, in Hoffnung, Fichte selbst werde diesen seinem System gegebenen Sinn billigen, was freilich nachher sich anders gefunden. Mir war es nicht um ein System zu tun, dessen ich mich als eines eignen rühmen konnte, sondern nur um ein solches, das mich selbst befriedigte. Auch war ich nicht in dem Fall, wie so manche, die, zumal nach der großen Anregung durch Kant und Fichte, sich auf die Philosophie warfen, lediglich weil sie nichts anderes gelernt hatten und weil sie meinten, in der Philosophie sei noch am ehesten ohne Kenntnisse auszukommen; ich hatte noch mehr als eine Region menschlicher Forschung, in der ich zu meiner eigenen Befriedigung mich ergehen konnte und zu der mich meine frühesten Neigungen hinzogen. – – Also ich wollte damals nur Fichtes System erklären, ob ich gleich nie Fichtes Zuhörer gewesen, was ich rein bloß als historische Berichtigung bemerke, nicht etwa, um mich des Danks gegen Fichte zu entledigen oder ihn als Lehrer und Vorgänger zu verleugnen, denn er war mir dies, wie er es allen gewesen ist, inwiefern er zuerst das Wort einer auf Freiheit gegründeten Philosophie aussprach, auf die Selbständigkeit des Ich nicht bloß, wie Kant, die praktische, sondern ebensowohl die theoretische, und demnach die ganze Philosophie begründete – ich suchte also damals zuerst nur zu[114] zeigen, wie man sich mit dem menschlichen Ich alles gesetzt denken könne. Diese Ausführung des Fichteschen Idealismus ist enthalten in meinem anno 1800 erschienenen System des transzendentalen Idealismus. Ist einer unter Ihnen, der jetzt oder in der Zukunft den allmählichen Entwicklungsgang der neueren Philosophie genau und urkundlich kennenlernen will, so kann ich nicht anders, als ihm dieses System des transzendentalen Idealismus zum Studium empfehlen; er wird darin unter der Hülle des Fichteschen Gedankens schon das neue System erkennen, das früher oder später diese Hülle durchbrechen mußte, er wird in diesem Werk schon jene Methode in voller Anwendung finden, die später nur in größerem Umfang gebraucht wurde; indem er diese Methode, welche nachher die Seele des von Fichte unabhängigen Systems geworden ist, hier schon findet, wird er sich überzeugen, daß diese gerade das mir Eigentümliche, ja dergestalt Natürliche war, daß ich mich derselben fast nicht als einer Erfindung rühmen kann, aber eben darum kann ich sie auch am wenigsten mir rauben lassen oder zugeben, daß ein anderer sich rühme, sie erfunden zu haben. Ich sage dies nicht, mich zu rühmen, sondern ganz allein, weil man die Pflicht hat, der Unwahrheit überhaupt, zumal wenn sie durch Schweigen beglaubigt wird, entgegenzutreten2.
Die Aufgabe, die ich mir zuerst gesetzt, war also: die von unserer Freiheit schlechterdings unabhängige, ja diese Freiheit beschränkende Vorstellung einer objektiven Welt durch einen Prozeß zu erklären, in welchem sich das Ich eben durch den Akt des Selbstsetzens unbeabsichtigter, aber notwendiger Weise verwickelt sieht. Indem nämlich das Ich sich selbst zum Gegenstand macht, kann es nicht umhin, sich selbst anzuziehen (in dem Sinn, wie man sagt: ich ziehe mir dieses oder jenes nicht an – ich ignoriere es), und es konnte sich selbst nicht anziehen, ohne sich dadurch zu begrenzen, seine an sich ins Unendliche strebende Tätigkeit[115] zu hemmen, sich selbst, das zuvor lautere Freiheit und als nichts war, für sich selbst zu etwas, also zu einem Beschränkten, zu machen. Die Schranke, welche Fichte außer das Ich fallen ließ, fiel auf diese Art in das Ich selbst, und der Prozeß wurde ein völlig immanenter, in welchem das Ich nur mit sich selbst, mit dem eignen, in sich gesetzten Widerspruch, zugleich Subjekt und Objekt, endlich und unendlich zu sein, beschäftigt war. Das Ich hatte nämlich, indem es sich selbst Objekt wurde, sich zwar gefunden, aber nicht als das Einfache, das es zuvor war, sondern als ein Doppeltes, als Subjekt und Objekt zugleich, – es war nun für sich selbst, hatte aber eben damit aufgehört an sich zu sein: diese in ihm gesetzte Zufälligkeit mußte überwunden werden, die Momente dieser sukzessiven Überwindung wurden als identisch nachgewiesen mit den Momenten der Natur, und dieser Prozeß wurde von Stufe zu Stufe, von Moment zu Moment fortgeführt bis zu dem Punkt, wo das Ich aus der Beschränkung wieder in die Freiheit durchbrach und nun erst sich wirklich hatte, oder für sich selbst war, wie es an sich war – als lautere Freiheit. Damit war die theoretische Philosophie geschlossen, und es begann die praktische. Zuerst in der Philosophie hatte ich hier die geschichtliche Entwicklung versucht – die ganze Philosophie war mir Geschichte des Selbstbewußtseins, die ich förmlich in Epochen abteilte, z.B. erste Epoche von der ursprünglichen Empfindung (der durch die Selbstobjektivierung im Ich gesetzten Begrenztheit) bis zur produktiven Anschauung. Das Instrument war jedoch zu beschränkt, um die ganze Melodie darauf ausführen zu können. – Das Prinzip des Fortschreitens oder die Methode beruht auf der Unterscheidung des sich entwickelnden oder mit der Erzeugung des Selbstbewußtseins beschäftigten Ichs und des auf dieses reflektierenden, gleichsam ihm zuschauenden, also philosophierenden Ichs. Durch jeden Moment war in das objektive Ich eine Bestimmung gesetzt, aber diese Bestimmung war nur für den Zuschauer in ihm gesetzt, nicht für es selbst. Der Fortschritt bestand also jederzeit darin, daß,[116] was im vorhergehenden Moment im Ich bloß für den Philosophierenden gesetzt war, im Folgenden dem Ich selbst objektiv – für das Ich selbst in ihm gesetzt wurde, und daß auf diese Art zuletzt das objektive Ich selbst auf den Standpunkt des Philosophierenden gebracht war oder das objektive Ich dem philosophierenden, insofern subjektiven, völlig gleich wurde; der Moment, in welchem diese Gleichheit eintrat, wo also in dem objektiven Ich genau dasselbe gesetzt war, was im subjektiven, war der Schlußmoment der Philosophie, welcher sich damit zugleich ihres Endes bestimmt versichert hatte. Zwischen dem objektiven Ich und dem philosophierenden bestand ungefähr das Verhältnis wie in den Sokratischen Gesprächen zwischen dem Schüler und dem Meister. In dem objektiven Ich war jederzeit eingewickelter Weise mehr gesetzt, als es selbst wußte, die Tätigkeit des subjektiven, des philosophierenden Ich bestand nun darin, dem objektiven Ich selbst zu der Erkenntnis und dem Bewußtsein des in ihm Gesetzten zu verhelfen und es so endlich zur völligen Selbsterkenntnis zu bringen. Dieses Verfahren, wobei stets, was im vorhergehenden Moment bloß subjektiv gesetzt ist, im folgenden zum Objekt hinzutritt, hat auch in der folgenden, größeren Entwicklung ersprießliche Dienste geleistet.
Die Anfänge dieser Darstellung des Idealismus finden sich in den einzelnen Abhandlungen, die im ersten Teil meiner philosophischen Schriften wieder abgedruckt worden. Wer mir die Ehre erweisen will, den Gang meiner philosophischen Entwicklung zu beurteilen, und besonders wer das eigentlich heuristische Prinzip, das Prinzip der Erfindung, welches mich leitete, kennenlernen will, muß bis dahin zurückgehen.[117]
Zur Geschichte der neueren Philosophie读后感篇四
[118] Ich gehe nun über zur Darstellung des Systems, wie es in der völligen Unabhängigkeit von Fichte hervorgetreten ist. Hier war es also nicht mehr das endliche oder menschliche Ich, von dem ausgegangen wurde, sondern das unendliche Subjekt, nämlich 1. das Subjekt überhaupt, weil das allein unmittelbar Gewisse, aber 2. das unendliche Subjekt, d.h., das nie aufhören kann Subjekt zu sein, nie im Objekt untergehen, zum bloßen Objekt werden, wie es dem Spinoza durch einen Akt, dessen er selbst sich nicht bewußt ist, geschehen ist.
Das Subjekt, inwiefern es noch in seiner reinen Substantialität gedacht wird, insofern ist es noch frei von allem Sein, und obgleich nicht nichts, doch als nichts. Nicht nichts, weil doch Subjekt, als nichts, weil nicht Objekt, weil nicht im gegenständlichen Sein seiend. Aber es kann in dieser Abstraktion nicht bleiben, es ist ihm gleichsam natürlich, sich selbst als Etwas und demnach als Objekt zu wollen. Aber der Unterschied dieses Objektwerdens von dem, was auch der Spinozischen Substanz vorausgedacht werden muß, ist dieser, daß letzteres mit gänzlichem Verlust seiner selbst, also ganz und ohne Rückhalt übergeht in das Objekt und nur als solches (als Objekt) noch angetroffen wird, jenes Subjekt aber nicht blindes, sondern vielmehr unendliches Selbstsetzen ist, d.h. das im Objekt-Werden nicht aufhört Subjekt zu sein, unendliches also – nicht in dem bloß negativen Sinn, daß es nur nicht endlich ist oder gar nicht endlich werden könnte, sondern in dem positiven, daß es sich verendlichen (sich zu etwas machen) kann, aber aus jeder Endlichkeit siegreich, wieder als Subjekt, hervortritt, oder: daß es durch jedes Endlich-, Objekt-Werden sich nur wieder in eine höhere Potenz der Subjektivität erhebt.[118]
Aber eben darum, weil dies seine Natur ist, nie bloß Objekt sein zu können, sondern immer und notwendig zugleich Subjekt zu sein, so ist, die Bewegung einmal angefangen, oder ihren Anfang gesetzt – ist sie eine notwendig fortschreitende.
Der Anfang ist natürlich das erste sich zu etwas Machen das erste Objektiv-Werden; denn mit diesem war infolge der Unendlichkeit des Subjekts, nach welcher jedem Objektiv-Werden unmittelbar nur eine höhere Potenz der Subjektivität folgt – aus diesem Grunde also war mit dem ersten Objektiv-Werden der Grund aller folgenden Steigerung und damit der Bewegung selbst gelegt. Das Wichtigste ist daher die Erklärung dieses Anfangs, dieses ersten Etwas-sein. Dies wurde nun auf folgende Weise gedacht. Das Subjekt noch in seiner reinen Substantialität oder Wesentlichkeit, vor allem Aktus gedacht, ist, wie schon bemerkt, zwar nicht nichts, aber als nichts; dieses als drückt immer etwas über das Wesen Hinzukommendes aus und bezieht sich demnach auf das gegenständliche, auf das über das Wesen hinausgehende Sein; wenn also gesagt wird, das Subjekt oder Ich in seiner reinen Substantialität war als nichts, so drückt dies nichts anderes aus als die Negation alles gegenständlichen Seins. Dagegen wenn wir nun zuerst von ihm sagen: es ist als Etwas, so wird eben damit ausgedrückt, daß dieses Etwassein als Sein ein Akzessorisches, Hinzugekommenes, Zugezogenes, in gewissem Betracht Zufälliges ist. Das als bezeichnet hier eine Anziehung, eine Attraktion, ein angezogenes Sein. Zur Erläuterung! Es gibt gewisse moralische und andere Eigenschaften, die man gerade nur hat, inwiefern man sie nicht hat, oder wie die deutsche Sprache trefflich dies ausdrückt, inwiefern man sich dieselben nicht anzieht. Z.B. wahre Anmut ist gerade nur möglich im Nichtwissen ihrer selbst, dagegen eine Person, die um ihre Anmut weiß, sie sich anzieht, sogleich aufhört, anmutig zu sein, und wenn sie als anmutig sich gebärdet, vielmehr das Gegenteil wird. Ebenso ist es mit der Unbefangenheit. Das unbefangene Sein ist überall nur das, was sich[119] selbst nicht weiß; sowie es sich selbst Gegenstand wird, ist es auch schon ein befangenes. Wenden Sie diese Bemerkungen auf das Vorliegende an, so ist das Subjekt in seiner reinen Wesentlichkeit als nichts – eine völlige Bloßheit aller Eigenschaften – es ist bis jetzt nur Es selbst, und so weit eine völlige Freiheit von allem Sein und gegen alles Sein; aber es ist ihm unvermeidlich, sich sich selbst anzuziehen, denn nur dazu ist es Subjekt, daß es sich selbst Objekt werde, da vorausgesetzt wird, daß nichts außer ihm sei, das ihm Objekt werden könne; indem es sich aber sich selbst anzieht, ist es nicht mehr als nichts, sondern als Etwas – in dieser Selbstanziehung macht es sich zu etwas; in der Selbstanziehung also liegt der Ursprung des Etwas-Seins oder des objektiven, des gegenständlichen Seins überhaupt. Aber als das, was es Ist, kann sich das Subjekt nie habhaft werden, denn eben im sich-Anziehen wird es ein anderes, dies ist der Grund-Widerspruch, wir können sagen, das Unglück in allem Sein – denn entweder läßt es sich, so ist es als nichts, oder es zieht sich selbst an, so ist es ein anderes und sich selbst Ungleiches – nicht mehr das mit dem Sein wie zuvor Unbefangene, sondern das sich mit dem Sein befangen hat – es selbst empfindet dieses Sein als ein zugezogenes und demnach zufälliges. Bemerken Sie hier, daß demgemäß der erste Anfang ausdrücklich als ein Zufälliges gedacht wird. Das erste Seiende, dieses primum Existens, wie ich es genannt habe, ist also zugleich das erste Zufällige (Urzufall). Diese ganze Konstruktion fängt also mit der Entstehung des ersten Zufälligen – sich selbst Ungleichen –, sie fängt mit einer Dissonanz an und muß wohl so anfangen. Denn zuvor – vor der Zuziehung des Seins, in seinem an und vor sich Sein, war das Subjekt auch unendlich, aber inwiefern es die Endlichkeit noch vor sich hatte, aber eben darum ist es dort noch nicht als unendlich gesetzt; um sich als unendlich zu setzen, muß es von dieser Möglichkeit, auch das Endliche zu sein, sich gereinigt haben, also die Endlichkeit selbst wird ihm zum Mittel, sich als unendlich (d.h. als Freiheit vom Sein, denn ein anderer[120] Begriff wird mit dem Wort unendlich hier nicht verbunden) sich als unendlich zu setzen. Nur durch wirklichen Gegensatz konnte es in sein wahres Wesen erhöht werden, konnte es sich als Unendliches erreichen.
Ich will das letzte noch in einer anderen, obwohl völlig äquivalenten Wendung erklären.
Das Subjekt, das erst reines, sich selbst nicht gegenwärtiges Subjekt ist – indem es sich haben will, sich selbst Objekt wird, ist es mit einer Zufälligkeit behaftet (Zufälligkeit ist Gegensatz des Wesens). Aber dadurch ist es als Wesen nicht aufzuheben, denn es ist nicht bloß Wesen überhaupt, sondern unendlicher Weise. Jene Zufälligkeit wird ihm also nur Anlaß, in sein Wesen zurücktretend sich gegen jenes Zufällige als Wesen zu setzen, das es zuvor nicht war. An und vor sich war es Wesen (= Freiheit vom Sein), aber nicht als Wesen, denn es hatte jenen, daß ich so sage, verhängnisvollen Akt des sich selbst-Anziehens noch vor sich; es stand noch an jenem Abhang, von dem es sich selbst nicht zurückhalten kann. Denn entweder bleibt es stehen (bleibt, wie es ist, also reines Subjekt), so ist kein Leben, und es selbst ist als nichts, oder es will sich selbst, so wird es ein anderes, sich selbst Ungleiches, sui dissimile. Es will sich zwar als solches, aber dies eben ist unmittelbar unmöglich, im Wollen selbst schon wird es ein anderes und entstellt sich aber es ergibt sich darein, weil ihm doch nur versagt ist unmittelbar sich als Wesen zu setzen, jenes endliche oder befangene Sein – das allein unmittelbar mögliche – stellt sich ihm selbst gleich nur dar als Vermittlung seines als unendlich-, als Wesen-Seins; insofern kann es jenes Sein wollen, ob es gleich nicht das ist, was es eigentlich will. Dieses endliche Sein vermittelt ihm, sich in einer zweiten Stufe oder Potenz zu setzen – nun als Wesen. Dieses in der zweiten Potenz gesetzte Wesen ist, was das unanfängliche ist, mit dem einzigen Unterschied, daß es (ohne sein eigenes Zutun) gleich als Wesen gesetzt und demnach festgemacht ist. Nennen wir das Wesen oder reine Subjekt A, so ist das Subjekt vor allem Aktus nicht als A,[121] also ist es auch nicht so A, daß es nicht nicht-A oder = B sein könnte. Nun aber macht es sich selbst zu B in der Selbstanziehung, wo es ein anderes wird. Aber die Notwendigkeit seiner Natur ist, unendliches Subjekt, unendliches A zu sein, d.h. nicht Objekt sein zu können, ohne Subjekt zu sein. Es kann also nicht B sein, ohne uno eodemque actu als A zu sein, nicht sofern es B ist, wohl aber in einer andern Gestalt seines Wesens. In dieser ist es nicht mehr bloßes A, sondern als A, als A, weil jetzt die Möglichkeit, nicht-A zu sein, schon ausgeschlossen ist. Das als A gesetzte A ist aber nicht mehr das einfache A, sondern A, das A ist, nicht – ist und nicht ist, sondern entschieden ist. A, das A ist, ist das mit sich selbst duplizierte A (in der älteren Logik wurde diese Art des Setzens, wo A nicht simpliciter, sondern als A gesetzt wird, die reduplikative oder Reduplicatio genannt), also das als A gesetzte A ist nicht mehr einfaches, sondern dupliziertes A, das wir (nachdem der Begriff erklärt ist) der Kürze wegen wohl A2 nennen können, und wir hätten also nun auf der einen Seite A, das B geworden ist, auf der andern im Gegensatz und in der Spannung mit diesem – aber eben darum zugleich in der Erhöhung durch dieses – A2 (das in sich selbst erhöhte A, denn das heißt das als solches gesetzte A).
Auf diese Weise wären wir also aus der Einheit heraus und bis zur Zweiheit gelangt, mit welcher nun, wie Sie zum voraus begreifen, der Grund eines ferneren notwendigen Fortschritts schon gelegt ist. Doch eh' ich zu diesem fortgehe, habe ich noch erst die nähere und bestimmtere Bedeutung jenes Gegensatzes aufzuzeigen.
In dem nun als A gesetzten A, in dem A2, hat sich das A zum Höheren seiner selbst, inwiefern es B ist, erhoben. Notwendig und immer aber ist das Höhere zugleich das Begreifende und Erkennende des Niederen, was unmittelbar auch so einzusehen ist. Das absolute Subjekt, das als nichts ist, macht sich zu Etwas, zu einem gebundenen, beschränkten, befangenen Sein. Aber es ist das unendliche, d.h. das nie und in nichts untergehen könnende Subjekt,[122] und demzufolge, indem es etwas ist, ist es auch unmittelbar wieder das über sich selbst Hinausgehende, also das sich selbst in diesem Etwas-sein Begreifende, Erkennende. Als das etwas seiende ist es das Reale, als das Begreifende desselben das Ideale, hier treten also zuerst auch diese Begriffe (des Realen und des Idealen) in unsere Betrachtung ein. Wenn nun aber diese Geschichte des sich selbst setzenden, sich selbst in allen Bestimmungen seines Seins erzeugenden Subjekts eine wahre, eine wirkliche Geschichte ist, so muß sich dieses erste Etwas-sein des Subjekts, so wie das ihm Entgegengesetzte, worin es als Subjekt ist – jenes Reale und dieses Ideale, diese beiden ersten Potenzen des Selbstsetzens – der Selbstverwirklichung – müssen sich in der Wirklichkeit nachweisen lassen oder einen entsprechenden Ausdruck in der Wirklichkeit haben. Als jenes erste überhaupt Etwas-sein des zuvor freien und als nichts seienden Subjekts, als das mit sich selbst also befangene oder verfangene Subjekt, als dieses erste wurde die Materie erklärt. Mehr wird nämlich vorerst im Begriff der Materie nicht gedacht als das überhaupt etwas, das nicht mehr nichts, d.h. das nicht mehr frei Seiende. Diese Materie, die nur das erste Etwassein selbst ist, ist allerdings nicht die Materie, die wir jetzt vor uns sehen, die geformte und mannigfach gebildete, also namentlich auch nicht die schon körperliche Materie; was wir als Anfang und erste Potenz, als das Nächste am Nichts, bezeichnen, ist vielmehr selbst die Materie dieser Materie, der schon geformten nämlich und uns sinnlich erkennbaren, mit sinnlichen Eigenschaften ausgestatteten Materie, ihr Stoff, ihre Grundlage; denn jene Materie, die nur das erste Etwas-sein überhaupt ist, wird, wie wir bald sehen werden, unmittelbar zum Gegenstand eines Prozesses, in welchem sie verwandelt und zur Grundlage eines höheren Seins gemacht wird, und nur indem sie dazu wird, nimmt sie jene sinnlich erkennbaren Eigenschaften an. Diesem ersten Realen nun, diesem ersten Etwas-sein steht das Ideale entgegen, das insofern das Nichts (nämlich das nicht Etwas) ist, aber weil es das[123] dem Etwas entgegengesetzte, das als solches gesetzte Nichts oder reine Wesen ist, insofern ist es doch eben darum selbst auch Etwas: wir werden sagen, oder vielmehr in der ersten Entwicklung dieser Philosophie wurde gesagt, dieses als solches gesetzte reine Wesen – das gegen die Materie als nichts ist – sei das Licht. Das Licht ist gegen die Materie als nichts und doch nicht nichts; dasselbe, was in der Materie als etwas ist, ist in dem Licht als nichts, und insofern allerdings auch als etwas, aber als ein anderes Etwas, als das rein ideale gesetzt. Das Licht ist offenbar nicht Materie, wozu frühere Hypothesen es herabgesetzt haben. Wenn selbst Materie, wie könnte es Körper geben, die das Licht in allen Richtungen nicht bloß, sondern in jedem Punkt ihrer Substanz geradlinig durchdringt? Wollte man dies durch Poren oder von Materie leere Zwischenräume erklären, so müßte der durchsichtige Körper von jedem Punkt seiner Oberfläche aus geradlinig durchbohrt sein (denn in jedem Punkt seiner Oberfläche ist er durchsichtig), also er müßte in jedem Punkt Porus und daher nichts als Porus sein. (Eben jetzt ist auch die beobachtende Physik geneigter, die Immaterialität des Lichts als seine Materialität zu behaupten. Bekanntlich wird die Undulationstheorie vorgezogen, nach welcher das Licht nur ein Akzidenz, insofern freilich nicht Materie ist, aber das Akzidenz einer Materie, was als Hypothese für den Kalkül gewisse Erleichterungen gewährt, und eben nur so weit zulässig ist wie auch die Atome, deren Gewicht die Stöchiometrie sogar bestimmt, ob sie gleich nie einen dieser Atome gesehen hat. Übrigens hat es etwas durchaus Widerstrebendes, die Phänomene das Lichts, in denen gerade die geradlinige Bewegung das Dominierende, unter die Vorstellung eines undulierenden Mediums zu subsumieren. Die Naturphilosophie erklärt das Licht nicht für immateriell in dem Sinn, daß es bloß Akzidenz, sondern es ist ihr auch Substanz, aber immaterielle – wie Spinoza ausgedehnte und denkende Substanz.) Das Licht ist also selbst nicht Materie, aber es ist im Idealen eben das, was die Materie im Realen ist; denn es[124] erfüllt den Raum auf seine, d.h. auf ideale Weise geradeso nach allen Dimensionen, wie ihn die Materie erfüllt; das Licht ist also der Begriff der Materie, nicht etwa innerlich oder bloß subjektiv, sondern es ist der selbst objektiv gesetzte Begriff der Materie, eine Bestimmung, bei der ich einen Augenblick verweile, indem sie Veranlassung gibt, einen wesentlichen Fortschritt dieser Philosophie in bezug auf Fichte und noch weiter zurück ins Licht zu setzen.
Descartes und sein Nachfolger Spinoza hatten das Denken von der Ausdehnung und dem Ausgedehnten rein ausgeschlossen. Aber z.B. das Licht ist in der ausgedehnten Welt offenbar ein Analogon des Geistes oder des Denkens, und wenn wir diesen unbestimmten Begriff eines Analogon auf einen bestimmten Begriff reduzieren, so ist das Licht gar nichts anderes als der Geist oder das Denken selbst, nur auf einer tieferen Stufe oder Potenz. Ganz auf dieselbe Weise hatte Fichte den Gegensatz von Ich und Nicht-Ich. Zwar hätte er seiner eignen Lehre zufolge, daß nur das Ich wahrhaft existiert, das Ich auch als die Substanz oder als das letzte Wesen der Natur erkennen, er hätte von der Natur behaupten müssen, daß auch sie wahrhaft nur existiere, inwiefern sie innerlich oder ihrem Wesen nach = Ich, Subjekt-Objekt sei. Er hätte dies behaupten müssen, wenn er ihr nicht alle Realität außer unsern Vorstellungen abgesprochen hätte. Also auch Fichte kannte nichts Subjektives als nur in dem menschlichen Ich oder Geist, während man z.B. von dem Licht sagen kann, es sei ein Subjektives, aber ein in die Natur selbst Gesetztes, das, worin die Natur gegen sich selbst subjektiv oder Subjekt ist, woraus denn auch folgt, daß die Natur nicht etwas bloß Objektives – bloßes Nicht-Ich sei. Denn das Ich ist gleichsam das Ich oder das erste Subjektive der Natur – das erste Subjektive außer uns. Nirgendwo, in keiner Sphäre ist ein bloß Subjektives oder ein bloß Objektives, sondern immer eine Einheit beider. Das Licht gehört für mich allerdings zu der mir objektiven Welt, zu der Welt, die für mich, der bereits auf eine höhere Stufe erhoben ist, als Objektiv sich verhält, die aber in[125] sich selbst auch ein Subjektives hat. Nur gegen ein noch höheres Ideales, z.B. gegen das menschliche Wissen, also überhaupt nur relativ, beziehungsweise gehört das Licht zur reellen Welt, für sich betrachtet aber, oder auch mit der Materie verglichen, ist es in seiner Art oder Potenz ebensowohl ein Ideales, als das menschliche Denken in seiner Potenz ein Ideales ist.
Aus den bisherigen Bestimmungen hat sich nun also ergeben, daß die ersten Momente des unendlichen sichselbst-Setzens oder, da in diesem das Leben des Subjekts besteht, daß die ersten Momente dieses Lebens Momente der Natur sind. Hieraus folgt also, daß diese Philosophie mit ihren ersten Schritten in der Natur ist oder von der Natur anfängt – natürlich nicht um in ihr zu bleiben, sondern um in der Folge durch immer fortschreitende Steigerung sie zu übertreffen, über sie hinauszukommen und zum Geist, in die eigentlich geistige Welt, sich zu erheben. Diese Philosophie konnte also in ihrem Anfang Naturphilosophie heißen, aber die Naturphilosophie war nur der erste Teil oder die Grundlage des Ganzen. Die Natur war selbst nur die eine Seite des Universums oder der absoluten Totalität, in welcher erst das absolute Subjekt ganz verwirklicht ist, die relativ ideale Welt. Die Welt des Geistes war die andere Seite. Die Philosophie mußte in die Tiefen der Natur hinabsteigen, nur um sich von dort aus zu den Höhen des Geistes zu erheben. Die andere Seite des Systems war also die Philosophie des Geistes. Wenn man daher das ganze System Naturphilosophie nannte, so war dies eine denominatio a potiori, oder eigentlich a priori, als eine Benennung von dem, was in dem System das Vorausgehende, das Erste, aber insofern vielmehr das Untergeordnete war. Es war im Grunde schwer, diesem System einen Namen zu finden, weil es eben die Gegensätze aller früheren Systeme in sich aufgehoben enthielt; in der Tat war es weder Materialismus noch Spiritualismus zu nennen, weder Realismus noch Idealismus. Man hätte es Real-Idealismus nennen können, inwiefern in ihm der Idealismus selbst einen Realismus[126] zur Basis hatte und aus einem Realismus entwickelt wurde. Nur einmal, in der Vorrede, also in dem exoterischen Teil meiner ersten Darstellung dieses Systems, hatte ich es das absolute Identitätssystem genannt, um eben anzudeuten, daß hier kein einseitiges Reales noch ein einseitiges Ideales behauptet werde, sondern in dem, was man von Fichte her das Reale, und in dem, was man das Ideale zu nennen gewohnt war, nur Ein letztes Subjekt gedacht werde. Allein auch diese Benennung wurde übel gedeutet und von denen, welche nie in das Innere des Systems eindrangen, benutzt, um daraus zu schließen, oder dem ununterrichteten Teil des Publikums glauben zu machen, es werden in diesem System alle Unterschiede, namentlich jeder Unterschied von Materie und Geist, von Gutem und Bösem, selbst von Wahrheit und Irrtum aufgehoben, nach diesem System sei im gemeinen Sinn alles eins. Ich setze nun übrigens die Darstellung desselben fort.
Wir hätten also nun die zwei ersten Potenzen, die Materie auf der einen Seite als Ausdruck des ersten noch mit oder von sich selbst Befangenseins des zuvor lauteren und freien Subjekts und das Licht als Ausdruck des als frei und unbefangen gesetzten Subjekts, was aber eben darum nicht mehr das ganze oder das absolute Subjekt sein kann, eben weil es das schon als solches gesetzte ist. Denn das absolute Subjekt ist noch rein unendlich, also auch noch nicht als solches gesetzt. Es ist nun zu zeigen, wie von diesem Punkt aus die Entwicklung weiter fortgeschritten. Hier kommt dann zuerst das eigentliche Prinzip des Fortschreitens oder die Methode zur Sprache, welche auf der Voraussetzung ruhte, daß immer das, was auf einer vorhergehenden Stufe noch subjektiv gesetzt ist, in einer folgenden selbst objektiv werde – zum Objekt hinzutrete, damit auf diese Weise zuletzt das vollkommenste Objekt entstehe, endlich aber das letzte, allein stehenbleibende Subjekt, das nicht mehr Objektiv werden könnende (weil alle Formen da sind), also wirklich das höchste, als solches gesetzte Subjekt sei, denn was im Lauf der Entwicklung als Subjekt erscheint, ist gleichsam nur für einen Moment[127] Subjekt, aber in einem folgenden Moment schon finden wir es als mit zum Objekt gehörig, selbst wieder objektiv gesetzt. Das Subjekt hat die notwendige Tendenz zum Objektiven, diese erschöpft sich.
Sie sehen von selbst, daß diese Methode nicht eine bloß äußerliche, nur von außen auf die Gegenstände angewendete, daß sie eine innere, immanente, dem Gegenstand selbst inwohnende war. Nicht das philosophierende Subjekt – der Gegenstand selbst (das absolute Subjekt) bewegte sich nach einem ihm inwohnenden Gesetz, welchem zufolge das, was auf einer früheren Stufe Subjekt, in einer folgenden zum Objekt wird. So steht nun auch – im gegenwärtigen Moment noch – das Licht, d.h. das relativ Ideale der Natur, der Materie, als Subjekt dem Objekt, entgegen. Aber dieses Ideale muß nun auch selbst zu dem Objekt hinzutreten – objektiv werden, damit auf diese Art das ganze, das vollkommene Objekt entstehe. In diesem ersten Idealen ist schon wieder ein höheres, weiter zurückliegendes verborgen, das nicht eher hervortritt und unterscheidbar wird, als jenes selbst real geworden ist. Es kann aber nicht real oder objektiv werden, ohne eben damit an dem Sein der Materie teilzunehmen (die den ganzen Raum des Objektiven genommen), d.h. nicht ohne die Materie ihres bisherigen Selbstseins zu berauben, nicht ohne ein Drittes hervorzubringen, von welchem Materie und Licht beide selbst nur noch Akzidenzen oder Attribute sind. Was zuvor (im vorhergehenden Moment) noch jedes ein selbst-Seiendes war – Materie und Licht – diese beiden sollen in einem folgenden Moment nur noch die gemeinschaftlichen Attribute eines Höheren, Dritten sein, beide gemeinschaftlich einer noch höheren Potenz untergeordnet werden. Diese Beraubung ihres Selbstseins kann sich nun aber die Materie, daß ich so sage, nicht ohne Widerstand gefallen lassen. Damit ist also ein Prozeß gesetzt, in welchem, wie ich schon zum voraus andeutete, die Materie zur bloßen Grundlage eines höheren Seins genommen oder darein verwandelt wird. Dieser Moment wurde der dynamische Prozeß genannt, der auch[128] wieder seine Momente hat. Als Erscheinungen dieser Momente wurden die jetzt noch in der Natur erkennbaren, der magnetische, der elektrische und der chemische angesehen, oder deutlicher: die drei Momente eines noch jetzt in der Natur wahrnehmbaren und immer fortgehenden Prozesses, die wir als Magnetismus, Elektrizität und Chemismus unterscheiden, diese drei Momente wurden angenommen auch als Momente der ursprünglichen Entstehung der geformten und differenten (mit unterscheidbaren Eigenschaften ausgestatteten) Materie. Ich nannte sie in dieser Beziehung die drei Kategorien aller materiellen Entstehung oder die drei Kategorien der Physik. Dieser dynamische Prozeß nun aber ist bloß Übergang und beruht noch immer auf der gegenseitigen Spannung der beiden Potenzen; der Chemismus z.B. ist nur das Phänomen, in welchem es der widerstrebenden Materie gelingt, die in ihr durch Magnetismus und Elektrizität gesetzten höheren Bestimmungen immer wieder auszulöschen und zu vernichten. Im dynamischen Prozeß behauptet die Materie noch immer ihre Selbstrealität; von dem Moment an aber, wo sie ihre Selbständigkeit oder ihren selbständigen Gegensatz gegen das Ideale verliert, tritt ein höheres Subjekt ein, gegen welches nun beide sich als die bloßen gemeinschaftlichen Attribute verhalten, wir wollen dieses Subjekt A3 nennen. Es ist das Subjekt oder der Geist der organischen Natur, der Geist des Lebens, welcher nun mit jenen Potenzen, mit Licht und Materie, als den seinigen wirkt. Dabei kommt also die Materie nicht mehr als Substanz in Betracht; in der Tat ist der Organismus nicht durch die materielle Substanz, die beständig wechselt, sondern nur durch die Art oder Form seines materiellen Seins – ist er Organismus. Das Leben hängt an der Form der Substanz, oder für das Leben ist die Form das Wesentliche geworden. Die Tätigkeit des Organismus hat daher auch nicht unmittelbar die Erhaltung seiner Substanz zum Zweck, sondern die Erhaltung der Substanz in dieser Form, in welcher sie eben Form der Existenz der höheren Potenz (A3) ist.[129]
Der Organismus hat eben davon seinen Namen, daß, was zuvor um seiner selbst willen zu sein schien, in ihm nur noch Werkzeug, als Organ eines Höheren ist. In dem früheren Moment – noch im dynamischen Prozeß- behauptet die Materie ihr Selbstsein und nimmt jene Tätigkeitsformen, die wir als Magnetismus, Elektrizität und Chemismus bezeichnet haben, nur als Akzidenzen in sich auf. Ein unorganischer Körper kann in elektrischem Zustand sein oder nicht sein ohne Nachteil für ihn selbst, dagegen sind die Tätigkeitsformen der organischen Materie ihr wesentlich; ein Muskel z.B. ohne Kontraktions- und Expansionsvermögen oder ohne Irritabilität gedacht, wäre eigentlich auch kein Muskel mehr.
Wenn nun aber das Reale als solches nur in der Spannung gegen das Ideale da ist, so existiert jetzt, da beide in einer höheren Potenz untergeordnet sind, weder mehr das eine noch das andere als solches, sondern nur das Dritte, in dem sie eins sind, zu dem sie beide sich gleichsam verständigt haben und für das es eben keinen andern Namen mehr gibt als den des Lebendigen.
Aber diese Unterordnung kann auch nur stufenweise, also durch einen Prozeß erreicht werden. Denn noch immer sucht die Materie ihre Selbständigkeit zu behaupten, wie z.B. in jenen unorganischen Absätzen der Schaltiere, die ihre Abhängigkeit von dem Leben nur durch die ihnen äußerlich aufgedrückte Form beurkunden, innerlich aber unbelebt sind; das Unorganische, d.h. die ein Selbstsein affektierende Materie, ist hier schon in den Dienst des Organismus getreten, aber ohne ihm völlig unterworfen zu sein. Das Knochensystem der höheren Tiere ist eben dieses nun nach innen zurückgedrängte und in den inneren Lebensprozeß mit aufgenommene Unorganische, das bei den Tieren niederer Ordnung (den Mollusken) noch äußerlich ist und als Schale und Gehäuse erscheint. Das Tier auch der höheren Klasse enthält in der Verschiedenheit seiner Organe noch die Andeutungen oder Reminiszenzen der Stufen, über welche der gesamte organische Naturprozeß emporgestiegen ist. Während des Prozesses, durch den die organische[130] Natur selbst ensteht, verhält sich jenes Höhere, das wir durch A3 bezeichnet haben, noch immer zum Teil subjektiv, denn noch ist es nicht ganz verwirklicht. Die Stufen, durch welche es bis zu seinem vollkommenen Objektivwerden hindurchgeht, sind durch die verschiedenen Organisationen bezeichnet. (Hier wurde in der vollständigen Entwicklung des Systems der Unterschied des Pflanzen- und des Tierreichs erörtert, ferner wurde hier die Stufenfolge der tierischen Oganisationen selbst erklärt. Hier kann ich überall den bloßen Grundriß geben, in die einzelnen Untersuchungen, in die zahlreichen Vermittlungen, welche wieder die Übergänge von der einen Stufe des organischen Lebens zu der anderen bilden, kann ich mich hier nicht einlassen, wo jenes System nicht mehr selbst Zweck ist, sondern bloß für den geschichtlichen erörtert wird.)
Diese Lehre, daß, was auf einer früheren Stufe als das Seiende sich darstellt, auf einer folgenden zum relativ nicht-Seienden, nämlich eben zur bloßen Stufe, also zum Mittel herabgesetzt wird, diese Lehre, die, so einfach und in der unmittelbaren Natur jedes Fortschritts gegründet sie ist, gleichwohl zuerst eine Sache der Philosophie war und von dieser ausgesprochen wurde, ist jetzt bereits in die Naturforschung gedrungen und im weitesten Umfang angewendet.
Hat nun der (organische) Prozeß sein Ziel erreicht, so tritt auch jenes bisher Subjektive selbst wieder zum Objekt hinzu, sein Reich, seine Herrschaft endet, um wieder einer höheren Potenz Platz zu machen. (Es entstehen jetzt keine ursprünglichen Organisationen mehr. Insofern ist auch historisch dieses ursprünglich organisierende, Organisationen hervorgerufene Prinzip zu einer Vergangenheit geworden.) Das Prinzip des organischen Lebens gehört also in bezug oder im Verhältnis zu dem höheren Prinzip der folgenden Periode selbst noch zur objektiven Welt und ist insofern Gegenstand sogar der empirischen Naturforschung. Der Moment, wo jenes bis jetzt Höchste, das A3, nun selbst auch ganz objektiv wird, also einem noch höheren Subjekt sich unterordnet, ist – die Geburt des[131] Menschen, mit welcher die Natur als solche vollendet ist und eine neue Welt, eine völlig neue Folge von Entwicklungen beginnt. Denn der Anfang der Natur war eben jenes erste Etwas-Sein, und der ganze Naturprozeß ging nur auf Überwindung desselben in seiner Selbständigkeit oder Substantialität, ging nur dahin, es selbst wieder zur bloßen Existenzform eines Höheren zu machen. Nachdem also dieses erste Sein von seiner Befangenheit erlöst und eben dadurch, daß es einem Höheren sich unterordnete, zu der Freiheit wieder gebracht ist, die es im Organischen schon zum Teil in den freiwilligen Bewegungen der Tiere erlangt hat, so ist der Naturprozeß als solcher geendigt; das Subjektive, das jetzt eintritt, hat nicht mehr unmittelbar, wie noch die vorhergehenden Potenzen, mit dem Sein zu tun, indem es dies als ein fertiges, vollendetes, abgeschlossenes vor sich hat; die höhere Potenz, die nun wieder über dieser Welt des Seins sich erhebt, hat zu dieser nur noch einen idealen Bezug, oder sie kann nur noch Wissen sein. Denn was sich gegen das gesamte Sein wieder als Höheres, es Begreifendes verhält, kann nur Wissen sein. Wir hätten also jetzt das Subjekt bis zu dem Punkt gebracht, wo es reines Wissen ist, oder wo es dasjenige ist, dessen Sein eben nur noch im Wissen besteht, das wir nicht mehr nachweisen können als ein Ding oder als Materie (hier war die Immaterialität der Seele oder dessen, was in uns unmittelbar nur noch Wissen ist, besser und einleuchtender erklärt als in allen früheren Theorien, für welche noch außerdem die Existenz dieses Einfachen und Immateriellen, wie sie es nannten, selbst nur eine zufällige war, während sie in jener Folge als eine notwendige einleuchtet) – es muß in dieser Folge ein Punkt kommen, wo das Subjekt nicht mehr zur Materie herabsinkt, wo es nur noch Wissen, also reines Wissen, d.h. reiner Geist ist, und wo es alles, was es außerdem und unmittelbar sein könnte, bereits außer sich, als ein Anderes vor sich, als ein für es selbst Objektives hat. Dennoch bleibt es zwar nur in idealer, aber doch in notwendiger Beziehung auf das, was es nun vor sich hat; denn es ist reines Wissen[132] eben nur, weil es das gesamte Sein schon außer sich hat; denn an sich ist es nicht ein anderes, sondern dasselbe Subjekt, das in seinem ersten und unmittelbaren Tun Materie geworden, in einer höheren Potenz als Licht, in einer noch höheren als Lebensprinzip erschien; könnte man also diese früheren Momente vor ihm hinwegnehmen, so würde das Subjekt nur wieder eben da anfangen können, wo es angefangen hatte, und es würde – auf dieser bestimmten Stufe – zu dieser Potenz seiner selbst abermals erhoben, wieder als reines Wissen sein; es ist als reines Wissen gesetzt nicht an sich, sondern nur vermöge dieser Stufe, d.h. inwiefern es jene Momente vor sich hat, inwiefern es von diesen, die in ihm, dem absolut oder an sich betrachteten, als Möglichkeiten waren, inwiefern es sich von diesen schon gereinigt, sie außer sich, also zugleich von sich ausgeschlossen hat, es ist als reines Wissen nicht an sich, sondern nur durch seine Potenz, als A4, als welches es aber sich selbst in den früheren Potenzen voraussetzt. Eben darum steht es in notwendigem und nicht aufzuhebendem Bezug zu jenen vorausgegangenen Momenten, in unmittelbarem Bezug aber zu dem, in welchem allein der Schluß und das Ende des vorhergehenden Seins ist, also zu dem Menschen (denn das folgende Moment muß immer das vorhergehende als seine unmittelbare Basis festhalten) – es ist also reines Wissen, das zwar auf die ganze Natur sich bezieht, seine unmittelbare Beziehung aber nur zum Menschen hat und insofern menschliches Wissen ist. Hiermit entsteht denn eine neue Folge von Momenten, welche nicht umhinkann, der Folge von Momenten, die wir bereits in der Natur erkannt haben, parallel zu sein. Aber der Unterschied ist, daß hier alles nur im Idealen vorgeht, was dort im Realen ist.
Die erste Stufe wird auch hier wieder das Objektive oder Endliche sein, die zweite das als solches gesetzte Subjekt oder Unendliche, die dritte – Einheit beider; aber wie dort, in der Natur, das Reale und das Ideale, Materie und Licht, beides, objektiv oder real ist, so wird hier (in der nun anfangenden geistigen Welt) Reales und Ideales[133] der Entgegensetzung ohnerachtet beides nur ein Ideales. Das Subjekt, welches wir als über die ganze Natur erhabenes bestimmt haben, ist unmittelbar nur reines Wissen, als solches unendlich und in völliger Freiheit; insofern steht es wieder an demselben Punkt wie das erste in seiner reinen Freiheit und Unendlichkeit gesetzte Subjekt, aber es steht in unmittelbarer Beziehung zu einem Endlichen und Begrenzten, dem menschlichen Wesen, und indem es nicht umhinkann, zur unmittelbaren Seele desselben zu werden, ist es auch genötigt, an allen Bestimmungen, Verhältnissen und Begrenzungen desselben teilzunehmen, und auf diese Weise, indem es in alle Formen der Endlichkeit eingeht, sich selbst zu verendlichen, und obgleich es selbst immer ideal bleibt, dennoch mit der im Gebiete des Seins oder des Realen herrschenden Notwendigkeit (ideal) sich zu verwickeln. Aus diesem Verhältnis nun des in sich unendlichen Wissens und eines Endlichen, mit welchem es in Bezug steht, wurde das ganze System der notwendigen Vorstellungen sowie der Begriffe, nach welchem sich die objektive Welt dem menschlichen Bewußt sein bestimmt, abgeleitet; die eigentlich erkennende oder theoretische Seite des menschlichen Bewußtseins wurde hier entwickelt der ganze, wiewohl berichtigte, Inhalt der Kantischen Vernunftkritik, oder was in dieser Inhalt der gesamten theoretischen Philosophie war, wurde hier, aber als Inhalt eines bloßen Moments, in das Gesamtsystem aufgenommen. Aber indem nun auf diese Weise das an sich freie und unendliche Wissen sich den Endlichen einbildet und durch ein neues Herabsinken in die reale Welt sich mit der Notwendigkeit befängt und nun selbst als notwendiges und gebundenes Wissen erscheint: so wird eben dadurch der Grund zu einer neuen Steigerung gelegt; denn das unüberwindliche Subjekt tritt auch aus dieser Gebundenheit, die es im Menschen angenommen, nochmals in sein Wesen zurück und wird im Gegensatz mit seiner Gebundenheit als das freie, als zweite Potenz seiner selbst und außer jener Notwendigkeit, als sie selbst beherrschend, behandelnd und begreifend gesetzt; der Gegensatz,[134] der durch die ganze Folge hindurchging, erhält hier seinen höchsten Ausdruck als Gegensatz von Notwendigkeit und Freiheit. Die Notwendigkeit ist das, womit der Mensch in seinem Erkennen zu tun hat, dem er in seinem Erkennen unterworfen ist; die Freiheit ist Freiheit des Handelns und des Tuns; alles Handeln setzt ein Erkennen voraus, oder im Handeln macht sich der Mensch sein eignes Erkennen wieder objektiv oder gegenständlich und erhebt sich über dasselbe; was im Erkennen Subjekt war, wird im Handeln Objekt, Werkzeug, Organ, und wenn es Ihnen früher oder bisher nicht klar gewesen sein sollte, wie jenes Übertreten des Subjekts ins Objekt oder jenes selbst Objektivwerden eines soeben noch Subjektiven geschehe, so haben Sie hier ein ganz naheliegendes Beispiel. (Bild der magnetischen Linie.)
In einer neuen Steigerung also, wodurch ihm die in seinem Erkennen gesetzte Notwendigkeit selbst wieder objektiv wird, befreit sich das Subjekt von eben dieser Notwendigkeit und erscheint nun als frei, zwar nicht in Ansehung des Erkennens oder Wissens, wohl aber in Ansehung des Handelns. Aber der Gegensatz ist damit nicht aufgehoben, sondern eben erst gesetzt, der Gegensatz zwischen Freiheit und Notwendigkeit, der durch immer weiter ausgedehnte Verzweigungen, welche ich hier nicht darstellen kann, endlich jene hohe Bedeutung annimmt, die er in der Geschichte hat, in der nicht das Individuum sondern die ganze Gattung handelt.
Hier also war der Punkt des Systems, wo es in die Sphäre des Handelns, die praktische Philosophie überging, wo demnach die moralische Freiheit des Menschen, der Gegensatz des Guten und Bösen und die Bedeutung dieses Gegensatzes, wo dann insbesondere auch der Staat als eine, wiewohl untergeordnete Vermittlung der Freiheit und Notwendigkeit, als ein Erzeugnis der zwischen beiden ringenden Menschheit, und endlich die Geschichte selbst als der große Prozeß, in den die ganze Menschheit verwickelt ist, zur Sprache kam. Und so wurde denn dieselbe Philosophie, welche auf einer früheren Stufe. Naturphilosophie[135] war, hier Philosophie der Geschichte. In dieser zeigte sich, daß eine schrankenlose Freiheit, die durch keine Gesetzmäßigkeit gezügelt wäre, zu einer trostlosen und verzweiflungsvollen Ansicht der Geschichte führe. Hier, wo die höchste und am meisten tragische Dissonanz hervortritt, in welcher der Mißbrauch der Freiheit uns selbst wieder die Notwendigkeit zurückzurufen lehrt, hier sieht der Mensch sich genötigt, etwas zu erkennen, das höher ist denn die menschliche Freiheit; die Pflicht selbst könnte ihm nicht gebieten, sobald sie entschieden habe, über die Folgen seiner Handlung ruhig zu sein, wenn er sich nicht bewußt sein dürfte, daß seine Handlung zwar von ihm, von seiner Freiheit, die Folgen aber oder das, was aus dieser Handlung für sein ganzes Geschlecht sich entwickelt, von einem Anderen und Höheren abhängig ist, welches durch die freieste, ja gesetzloseste Handlungsweise des Individuums hindurch eine höhere Gesetzmäßigkeit handhabt und behauptet.
Ohne diese Voraussetzung würde nie ein um die Folgen seiner Handlung ganz unbekümmerter Mut, zu tun, was die Pflicht gebietet, ein menschliches Gemüt begeistern; ohne diese Voraussetzung könnte nie ein Mensch wagen, eine Handlung von großen Folgen zu unternehmen, wäre sie ihm selbst durch die heiligste Pflicht vorgeschrieben. Hier wird also für die Geschichte selbst eine Notwendigkeit gefordert, die auch gegen die moralische Freiheit noch besteht und sich behauptet, die also nicht blinde Notwendigkeit (über welche die Freiheit allerdings erhoben ist) sein kann, welche vielmehr nur darum die Freiheit mit der Notwendigkeit vermittelt, weil sie selbst nicht (wie menschliche Freiheit) mit der Notwendigkeit in Konflikt tritt, und nicht bloß relativ, sondern absolut frei gegen sie, immer Vorsehung, also immer und gegen alles Subjekt – reines, freies, unbeteiligtes und daher wahrhaft unendliches Subjekt bleibt. Hier kam also die Philosophie auf jenes letzte, über alles siegreiche Subjekt, das selbst nicht mehr objektiv wird, sondern immer Subjekt bleibt, und das der Mensch nicht mehr wie im Wissen als [136] Sich, sondern als über Sich und eben darum als über allem erkennen muß, dem zuletzt alles unterworfen ist, und das nun nicht mehr bloß, wie im ersten Ausgang, Geist und Vorsehung ist, sondern auch als Vorsehung sich erklärt und am Ende zeigt, was es im Anfang schon war. Die letzte Aufgabe konnte nun bloß noch sein, das Verhältnis dieses seiner Natur nach unzugänglichen und wie in einem unzugänglichen Licht wohnenden – weil nie Objekt werden könnenden – Subjekts zum menschlichen Bewußtsein zu zeigen; denn irgendein Verhältnis zu diesem mußte ihm zukommen. Da aber bereits ausgesprochen ist, daß es selbst nie und durch keinen weiteren Fortschritt zum Objekt werden könne, sondern als herrschend über allem stehenbleibe, so läßt sich kein weiteres Verhältnis zum menschlichen Bewußtsein als das der bloßen Manifestation denken. Denn da es nicht mehr selbst Objekt wird oder werden kann, so kann man nur sagen, daß es sich manifestiere. Es fragt sich also, ob im menschlichen Bewußtsein solche Manifestationen oder, um einen Leibnizischen Ausdruck zu brauchen, der hier passender angewendet sein möchte, ob solche Fulgurationen jenes Höchsten, über alles Erhabenen im menschlichen Bewußtsein nachzuweisen sind, Erscheinungen, in denen das menschliche Selbst sich als Werkzeug oder Organ jenes Höchsten verhält; denn was sich bloß manifestiert, wirkt nicht unmittelbar, sondern nur durch ein anderes hindurch. (So in der ganzen Linie des Fortschritts.) Nun müssen wir uns erinnern, daß jenes höchste Subjekt zwar an sich nur Eines ist, aber im Verhältnis zu den zwei Seiten des jetzt vollendet vor uns stehenden Universums unter drei Gestalten gedacht werden kann; denn es ist, eben weil das Höchste, und weil alles unter ihm, ebensowohl das Letzte, final Hervorbringende der Natur, der realen Welt, als es Herr der geistigen, der idealen Welt und wieder das beide Vermittelnde, als eins unter sich Begreifende ist. Als Hervorbringendes nun wird es sich im Menschen manifestieren ebenfalls durch Hervorbringung, reale Produktion; es wird sich zeigen 1. als das Macht über den Stoff, über die Materie[137] hat, sie bewältigen und zwingen kann, der Ausdruck des Geistes, ja der höchsten Ideen selbst zu sein – so weit geht die bildende Kunst bloß als solche, aber 2. in der Poesie, welche von der bildenden Kunst vorausgesetzt wird, und zu welcher jene selbst wieder nur in einem werkzeuglichen Verhältnis steht, in der Poesie wird es sich manifestieren als Geist, welcher Gewalt hat, auch den Stoff selbst hervorzubringen oder zu schaffen.
Die höchste Wahrheit und Trefflichkeit des plastischen Kunstwerks besteht nicht in der bloßen Übereinstimmung mit dem Geschöpf oder geschöpflichen Vorbild, sondern darin, daß der Geist der Natur selbst es hervorgebracht zu haben scheint; in ihm offenbart sich also eine Tätigkeit, die selbst nicht mehr geschöpflicher Art ist, sondern in der man den Schöpfer zu sehen glaubt. In dem höchsten Werk, der mit Kunst vereinigten Poesie – in dem höchsten Werk der Dichtkunst, der Tragödie, erscheint in den Stürmen blind gegeneinander wütender Leidenschaften, wo für die Handelnden selbst die Stimme der Vernunft verstummt und Willkür und Gesetzlosigkeit immer tiefer sich verwickelnd zuletzt in eine gräßliche Notwendigkeit sich verwandeln – mitten unter allen diesen Bewegungen erscheint der Geist des Dichters als das stille, allein noch leuchtende Licht, als das allein oben bleibende, in der heftigsten Bewegung selbst unbewegliche Subjekt, als weise Vorsehung, welche das Widerspruchsvollste doch zuletzt zu einem befriedigenden Ausgang zu leiten vermag.
Hier also manifestiert sich jenes Höchste als Genius der Kunst. Ist nun die Kunst das Objektivste menschlicher Tätigkeit, so ist die Religion die subjektive Seite derselben, inwiefern diese nicht, wie jene, darauf geht, ein Sein, sondern im Verhältnis zu jenem höchsten Subjekt alles Seiende als nicht seiend zu setzen. Hier offenbart sich also jenes höchste Subjekt eben als das, wogegen alles in nichts versinkt, als solches offenbart es sich in der Begeisterung jener sittlich-religiösen Heroen, durch welche die Menschheit selbst verherrlicht und als göttlich erscheint.
Es gibt eine dritte menschliche Tätigkeit, welche das[138] Objektive der Kunst und das Subjektive (oder die Unterwerfung) der Religion in sich vereinigt – die Philosophie. Sie ist objektiv wie die Kunst, denn sie zeigt den Gang des hervorbringenden, von Stufe zu Stufe wandelnden, durch alle hindurchgehenden, aber in keiner bleibenden Schöpfers. Sie ist subjektiv wie die Religion, weil sie alles nur in die Wirklichkeit bringt, zeigt oder als seiend setzt, um es am Ende dem höchsten Subjekt, der an sich selbst der höchste Geist ist, zu überantworten.
Kunst, Religion und Philosophie, dies sind die drei Sphären menschlicher Tätigkeit, in denen allein der höchste Geist als solcher sich manifestiert, er ist der Genius der Kunst, der Genius der Religion, der Genius der Philosophie. Diesen drei Sphären wird allein Göttlichkeit und daher auch ursprüngliche Begeisterung zugestanden (alle andere Begeisterung ist schon nur eine abgeleitete, und wie Homer durch das einstimmige Zeugnis aller Zeiten, so ist auch Platon von seiner Nachwelt der göttliche genannt worden). Betrachten wir jenes höchste Subjekt nicht in einer jener besonderen Beziehungen, sondern schlechthin und allgemein, so bleibt uns für dasselbe kein anderer Name, als den ihm alle Völker ohne Unterschied geben, der Name des Gottes – nicht bloß Gottes, nicht theou, sondern tou theou, des bestimmten Gottes, dessen, der Gott ist. In diesem Begriff endigt also die Philosophie, er ist, nachdem die drei Potenzen der realen und der idealen Welt, gleichsam als ebensoviel sukzessive Herrscher verschwunden und untergegangen sind, der letzte, allein überbleibende, in welchem die Philosophie ruht von ihrer Arbeit und gleichsam ihren Sabbat feiert.
Auf diese Weise war also von dem Tiefsten, das sich uns darstellt, bis zu dem Höchsten, dessen die menschliche Natur fähig ist, eine Linie, ein stetiger und notwendiger Fortschritt dargetan. –
Mit dem zuletzt vorgetragenen System wird sich auch heutzutage noch jeder, der es in seiner echten und ursprünglichen Gestalt kennenlernt, in einer eignen Lage befinden. Einerseits wird ihm gleichsam unmöglich scheinen,[139] daß dieses System falsch sei, von der anderen wird er etwas empfinden, das ihn verhindert, es wenigstens als das letzte wahre auszusprechen. Er wird es als wahr erkennen innerhalb einer gewissen Begrenzung, nicht aber unbedingt und schlechthin. Es wird also, um ein gegründetes Urteil darüber zu haben, vorzüglich darauf ankommen, sich jener Begrenzung bewußt zu werden.
Man kann dem System 1. hinsichtlich seines Umfangs nicht absprechen, daß es alles Erkennbare, alles, was auf irgendeine Weise Gegenstand der Erkenntnis werden kann, umfaßt, daß es nichts ausgeschlossen hat und daß es außerdem im Besitz einer Methode ist, durch die es sich der Vollständigkeit seiner Erfassung versichert; man kann sogar behaupten, daß es für jede künftige Erweiterung der menschlichen Erkenntnis schon zum voraus den Ort und gleichsam die Stelle enthalte. Was 2. die Methode betrifft, so war durch diese selbst dafür gesorgt, der Subjektivität des Philosophen keinen Einfluß zu gestatten. Es war der Gegenstand selbst, der sich nach einem ihm inwohnenden Prinzip fortbestimmte, es war der nach innerem Gesetz fortschreitende Gedanke, der sich seinen Inhalt gab. 3. Der Form nach war durch dieses System zuerst in die Philosophie eingeführt der Begriff des Prozesses und von Momenten dieses Prozesses. Sein Inhalt war die Geschichte des unvermeidlich sich verendlichenden, aber aus jeder Verendlichung wieder siegreich hervortretenden Subjekts, das am Ende als über alle Objektivität und Blindheit erhabenes, im höchsten Sinn sich bewußtes Subjekt, als Vorsehung stehenblieb. Bedenkt man außerdem, welche Gewalt aller natürlichen Vorstellung durch den Subjektiven Fichteschen Idealismus angetan, wie das Bewußtsein durch die frühere absolute Entgegensetzung von Natur und Geist sich zerrissen, nicht weniger aber durch den krassen Materialismus und Sensualismus, der sich eben damals über das übrige Europa (außer Deutschland) verbreitet hatte, sich verletzt fühlte so begreift man, daß dieses System im Anfang mit einer Freude aufgenommen wurde, die kein früheres erregt hatte[140] oder ein späteres wieder erregte. Denn man weiß jetzt nicht mehr, wie manches damals errungen werden mußte, was heutzutage zum Gemeingut und in Deutschland gleichsam zum Glaubensartikel aller höher denkenden und fühlenden Menschen geworden ist. Hiezu gehört namentlich die Überzeugung, daß, was in uns erkennt, dasselbe ist mit dem, was erkannt wird.
Da jene Philosophie die gesamte Wirklichkeit – Natur, Geschichte, Kunst – alles Niedere und Höhere umfaßte, also dem Menschen gleichsam sein ganzes Wissen vor Augen stellte, mußte es mehr oder weniger auch auf den Geist der andern Wissenschaften wirken, und man kann wohl sagen, daß es nicht bloß in der Philosophie als solcher, daß es eine Veränderung in der Ansicht und Betrachtungsweise der Dinge überhaupt hervorgebracht hat. Ein neues Geschlecht entstand, das sich gleichsam mit neuen Organen des Denkens und des Wissens ausgestattet fühlte, das ganz andere Forderungen an die Naturwissenschaft, andere an die Geschichte stellte.
Die früheren mechanischen und atomistischen Hypothesen in der Physik ließen für die Naturerscheinungen fast kein anderes Interesse als etwa das übrig, mit welchem die Neugierde den Kunststücken eines Taschenspielers auf den Grund zu kommen sucht. Ihr erklärt wohl, könnte man zu solchen Theoretikern sagen, ihr erklärt freilich zur Not, wenn man euch diese Körperchen, diese Figuren derselben, diese feinen Materien, diese bald so, bald anders gebohrten, in dieser oder jener Richtung mit Klappen versehenen Kanäle zugibt, aber eins laßt ihr unerklärt, wozu alle diese Anstalten selbst gemacht sind, wie die Natur in solchen Taschenspielereien sich gefällt.
Glücklicherweise traten zu jenen durch die Philosophie gewonnenen, tieferen Ansichten der Natur, nach welcher auch sie ein Autonomisches, ein sich selbst Setzendes und Betätigendes ist, die Entdeckungen der neueren Experimentalphysik hinzu, welche die Voraussagungen der Philosophie erfüllten, zum Teil übertrafen. Die bis dahin für tot geachtete Natur gab jene Zeichen eines tieferen Lebens,[141] die das Geheimnis ihrer verborgensten Prozesse offen darlegten. Was man kaum zu denken gewagt hatte, schien Sache der Erfahrung zu werden.
Wie man früher die Natur in eine bloße Äußerlichkeit, in ein Spiel ohne alles innere Leben, ohne ein wahres Lebens-Interesse verwandelt hatte, so gefiel man sich nicht weniger, die Geschichte als das zufälligste Spiel gesetzloser Willkür, eines sinn- und zwecklosen Treibens erscheinen zu lassen, ja derjenige Gelehrte galt als der geistreichste, der das Sinnlose, ja Unsinnige der Geschichte am meisten hervorzuheben, und je größer das Ereignis, je erhabener die historische Erscheinung war, desto kleinere, zufälligere und nichtswürdigere Ursachen zur Erklärung derselben aufzubringen wußte. Dies war besonders so ziemlich der herrschende Geist der Universitäten. Ausnahmen gibt es freilich zu jeder Zeit. Eine große Ausnahme dieser Art war Johannes von Müller, den, während mehr oder weniger alle Stände sich selbst untergruben, aber besonders der größte Teil der Gelehrten vorzüglich in den positiven Fächern sich gleichsam um die Wette bemühten, durch Wegerklärung alles höheren Geistes ihre eigne Wissenschaft verächtlich zu machen, den, sage ich, während einer solchen Zeit die angeborene Ehrfurcht vor der Geschichte davor bewahrt hatte, in diesen Ton einzustimmen, aber es war auch höchstens seine Gelehrsamkeit, die Anerkennung fand, seinen Geist zu würdigen war einer späteren Zeit vorbehalten.
Der Wert und das Interesse der Wissenschaften steigt immer in dem Verhältnis, in welchem man sie eines tiefen und reellen Bezugs auf die höchste aller Wissenschaften, die Philosophie, fähig sieht, und diejenigen, welche aus einem bedauerlichen Mißverstand sich Mühe geben, ihre spezielle Wissenschaft so weit möglich von der Philosophie loszureißen, wissen nicht, was sie tun; denn die Achtung, in der sie ihre Wissenschaft sehen und bei der sie sich wohl befinden, ist selbst nur eine Folge davon, daß in ihnen jener Bezug auf die höhere, wenn nicht ausgesprochen, doch infolge der früheren philosophischen[142] Entwicklungen als vorhanden gesehen wird. Wenn einmal ein veränderter Gang der Literatur bevorstand, so mußte er sich zuerst in den höheren, eben darum sensibleren Organen (in Poesie und Philosophie) ankündigen, wie zarte und geistiger organisierte Naturen Witterungsveränderungen, bevorstehende Gewitter und andere physische Ereignisse eher als materieller organisierte empfinden. Goethe war wohl der erste Verkünder einer neuen Zeit, aber er blieb eine isolierte, nicht bloß seiner Zeit, sondern zum Teil sogar sich selbst unbegriffene Erscheinung; das wahre Licht über ihn gab ihm selbst erst die große durch Kant bewirkte Veränderung, von welcher an der durch sie geweckte Geist sukzessiv alle Wissenschaften und die ganze Literatur ergreifen mußte. Auch Herder verdient wohl unter den Genien erwähnt zu werden, die diese neue geistige Bewegung zum Teil ohne Wissen und ohne Wollen vorbereitet haben.
Wie kam es nun, daß diese Philosophie in der Gestalt, in welcher sie zuerst eine fast allgemeine Anziehungskraft ausübte, dennoch nicht lange nachher sich in ihrer Wirkung gehemmt sah, einen abstoßenden Pol zeigte, der im Anfang weniger bemerkt wurde? Nicht die großenteils sinnlosen und ungerechten Angriffe, denen sie von vielen Seiten ausgesetzt war, wohin z.B. das Triviale, das Gewöhnliche gehörte, daß sie Spinozismus, Pantheismus sei – nicht diese Angriffe konnten sie eigentlich hemmen; es war vielmehr ein Mißverstand, in dem sie sich über sich selbst befand indem sie sich für etwas gab oder (man könnte eher sagen) sich für etwas ansehen ließ, was sie nicht war, was sie dem ursprünglichen Gedanken nach nicht sein sollte.
Um dies zu erklären, muß ich etwas weiter ausholen.
Der Punkt, in welchem jede Philosophie mit dem allgemeinen menschlichen Bewußtsein immer entweder in Übereinstimmung oder in Konflikt sich finden wird, ist die Art, wie sie sich über das Höchste, über Gott erklärt. Welche Stellung hatte nun Gott in der zuletzt vorgetragenen Philosophie? Zunächst die Stellung eines bloßen Resultats, des höchsten und letzten, alles abschließenden[143] Gedankens – ganz der Stellung gemäß, welche er auch in der früheren Metaphysik gehabt und die ihm auch Kant gelassen hatte, dem Gott bloß der zur formalen Abschließung der menschlichen Erkenntnis notwendige Gedanke war. In dem zuletzt vorgetragenen System war Gott jenes zuletzt als Subjekt, als über alles siegreich stehenbleibende Subjekt, das nicht mehr zum Objekt herabsinken kann; eben dieses Subjekt war durch die ganze Natur, durch die ganze Geschichte, durch die Aufeinanderfolge aller der Momente hindurchgegangen, von denen es nur das letzte Resultat schien, und dieses Hindurchgehen wurde als eine wirkliche Bewegung (nicht als ein Fortschreiten im bloßen Denken), es wurde sogar als realer Prozeß vorgestellt. Nun kann ich mir Gott wohl als das Ende und das bloße Resultat meines Denkens, wie er es in der alten Metaphysik war, aber ich kann ihn nicht als Resultat eines objektiven Prozesses denken; dieser als Resultat angenommene Gott könnte ferner, wenn er Gott ist, nicht etwas außer Sich (praeter se), er könnte höchstens sich selbst zur Voraussetzung haben; nun hat er aber in jener Darstellung allerdings die früheren Momente der Entwicklung zu seiner Voraussetzung. Hieraus – aus dem letzten – folgt, daß dieser Gott am Ende denn doch bestimmt werden muß, als der auch schon im Anfang war, daß also jenes Subjekt, das durch den ganzen Prozeß hindurchgeht im Anfang und Fortgang schon Gott ist, eh' es im Resultat auch als Gott gesetzt wird – daß in diesem Sinn allerdings alles Gott ist, daß auch das durch die Natur hindurchgehende Subjekt Gott ist, nur nicht als Gott – also Gott nur außer seiner Gottheit oder in seiner Entäußerung, oder in seiner Anderheit, als ein anderer von sich selbst, als welcher er erst im Ende ist. Wird nun aber wieder dies angenommen, so zeigen sich folgende Schwierigkeiten. Teils ist Gott offenbar in einem Prozeß begriffen und wenigstens gerade, um als Gott zu sein, einem Werden unterworfen, was die angenommenen Begriffe zu sehr vor den Kopf stößt, als daß es je auf allgemeine Zustimmung rechnen könnte. Die Philosophie ist aber nur[144] Philosophie, um allgemeine Verständigung, Überzeugung und daher auch allgemeine Zustimmung zu erhalten, und jeder, der eine philosophische Lehre aufstellt, macht diesen Anspruch. Man kann freilich sagen: der Gott begibt sich in dieses Werden, eben um sich als solchen zu setzen, und dies muß man freilich sagen. Aber sowie dies ausgesprochen ist, sieht man auch ein, daß man alsdann entweder eine Zeit annehmen muß, wo Gott nicht als solcher war (dem widerspricht aber wieder das allgemeine religiöse Bewußtsein), oder man leugnet, daß je eine solche Zeit gewesen, d.h. jene Bewegung, jenes Geschehen wird als ein ewiges Geschahen erklärt. Ein ewiges Geschehen ist aber kein Geschehen. Mithin ist die ganze Vorstellung jenes Prozesses und jener Bewegung eine selbst illusorische, es ist eigentlich nichts geschehen, alles ist nur in Gedanken vorgegangen, und diese ganze Bewegung war eigentlich nur eine Bewegung des Denkens. Dies hätte jene Philosophie ergreifen sollen; damit setzte sie sich außer allen Widerspruch, aber eben damit begab sie sich ihres Anspruchs auf Objektivität, d.h., sie mußte sich als Wissenschaft bekennen, in der von Existenz, von dem, was wirklich existiert, und also auch von Erkenntnis in diesem Sinn gar nicht die Rede ist, sondern nur von den Verhältnissen, welche die Gegenstände im bloßen Denken annehmen, und da Existenz überall das Positive ist, nämlich das, was gesetzt, was versichert, was behauptet wird, so mußte sie sich als rein negative Philosophie bekennen, aber eben damit den Raum für die Philosophie, welche sich auf die Existenz bezieht, d.h. für die positive Philosophie, außer sich frei lassen, sich nicht für die absolute Philosophie ausgeben, für die Philosophie, die nichts außer sich zurückläßt. Es bedurfte einer geraumen Zeit, bis sich die Philosophie hierüber ins klare setzte, denn alle Fortschritte in der Philosophie geschehen nur langsam. Wodurch übrigens jener Zeitraum noch beträchtlich verlängert wurde, war eine Episode, die dieser letzten Entwicklung entgegentrat, und von der nun auch wenigstens das Notwendige zu erwähnen ist.[145]
Zur Geschichte der neueren Philosophie读后感篇五
[20] Die Geschichte der neueuropäischen Philosophie wird gerechnet vom Umsturz der Scholastik bis auf die gegen wärtige Zeit. René Descartes, geb. 1596, Anfänger der neueren Philosophie, revolutionär im Geiste seiner Nation, begann damit, allen Zusammenhang mit der früheren Philosophie abzubrechen, über alles, was in dieser Wissenschaft vor ihm geleistet war, wie mit dem Schwamm wegzufahren, und diese ganz von vorn, gleich als wäre vor ihm nie philosophiert worden, wieder aufzubauen. Die notwendige Folge einer solchen gänzlichen Losreißung war allerdings, daß die Philosophie wie in eine zweite Kindheit zurücktrat, eine Art von Unmündigkeit, über welche die griechische Philosophie fast schon mit ihren ersten Schritten hinaus war. Von der andern Seite konnte dies Zurücktreten in die Einfalt der Wissenschaft selbst vorteilhaft sein; sie zog sich dadurch aus der Weite und Ausbreitung, die sie in dem Altertum sowie in dem Mittel alter schon erhalten, fast auf ein einziges Problem zurück, das nun durch sukzessive Ausdehnung, und nachdem im einzelnen alles dazu vorbereitet war, zu der großen, alles umfassenden Aufgabe der neueren Philosophie sich erweitert hat. Es ist beinah die erste sich von selbst darbietende Definition der Philosophie, wenn man sagt, sie sei die schlechterdings von vorn anfangende Wissenschaft. Es mußte also schon viel wirken, wenn man auch nur in dem Sinn von vorn anfing, daß man nichts aus der früheren Philosophie und als von ihr bewiesen voraussetzte. Der griechische Thales soll so gefragt haben: Was das Erste und in der ganzen Natur der Dinge Älteste sei. Hier war das von vorn anfangen objektiv gemeint. Descartes aber fragt nur: Was ist das für mich Erste, und darauf konnte er denn natürlich nichts antworten als: Ich selbst, und[21] auch Ich selbst höchstens in Ansehung des Seins. An dieses erste, unmittelbar Gewisse sollte sich ihm dann erst alles andere Gewisse anknüpfen, alles nur wahr sein, inwiefern und inwieweit es mit jenem unmittelbar Gewissen zusammenhängt. Nun ist aber offenbar der Satz: Ich bin, höchstens Ausgangspunkt für mich – und nur für mich; der Zusammenhang, der durch das Anknüpfen an diesen Satz oder an das unmittelbare Bewußtsein des eignen Seins entsteht, kann also immer nur ein subjektiv logischer sein, d.h., ich kann immer nur schließen: so gewiß Ich bin, so gewiß muß ich auch annehmen, daß A, B, C usw. seien. Aber wie eigentlich A, B und C unter sich, oder mit ihrem wahren Prinzip, oder auch nur, wie sie mit dem Ich bin selbst zusammenhangen, wird durchaus nicht gezeigt. Die Philosophie bringt es also hier nicht weiter als zu einer bloß subjektiven Gewißheit, und zwar nicht über die Art der Existenz (die allein eigentlich zweifelhaft ist), sondern nur über die Existenz alles dessen, was außer dem Subjekt ist. Dies im allgemeinen.
Um nun aber das Verfahren des Descartes im einzelnen zu beschreiben, so macht er sich zum Grundsatz, vorläufig an allem zu zweifeln, ja, um recht sicherzugehen und ganz gewiß zu sein, sich von jedem Vorurteil befreit zu haben, vorläufig alles für falsch zu halten, was er bis dahin als wahr angenommen. Dieser Maxime wurde besonders von den Theologen heftig opponiert; sie meinten, auf die Weise sei Descartes ein temporärer Atheist; wenn einer stürbe, eh' er die gehoffte Demonstration vom Dasein Gottes geschrieben oder gefunden, würde er als Atheist sterben; auf die Art werde wenigstens vorläufig eine verderbliche Lehre gelehrt; man dürfe aber nicht Böses tun, damit Gutes herauskomme u. dgl. Allein der Sinn ist doch eigentlich nur der, daß man in der Philosophie nichts für wahr annehmen soll, eh' man es in seinem Zusammenhang erkannt. Indem ich die Philosophie anfange, weiß ich philosophisch eigentlich noch nichts. Dies versteht sich von selbst; dagegen ist jene Maxime weniger zu billigen, wenn sie darauf hinführt, nur das mir unmittelbar Gewisse,[22] also, da nur Ich selbst mir unmittelbar gewiß bin, nur mich selbst als Fundament erkennen zu wollen, denn dieses sogenannte unmittelbar Gewisse, mein eigenes Sein, ist mir in der Tat ebenso unbegreiflich – ja vielleicht noch unbegreiflicher als alles das, was ich vorläufig für falsch oder doch für zweifelhaft angenommen. Verstehe ich den Zweifel an den Dingen recht, so habe ich ebensowohl an meinem eigenen Sein zu zweifeln. Der Zweifel des Descartes, der sich zunächst nur auf die sinnlich erkannten Dinge erstreckt, kann sich nicht auf ihre Realität überhaupt oder in jedem Sinn beziehen – denn in irgendeinem muß ich sie ihnen doch zugestehen. Der wahre Sinn meines Zweifels kann nur sein, daß ich diese sinnlich erkennbaren Dinge nicht in dem Sinn zu sein glauben kann, in welchem das Original-, das von sich selbst Seiende ist: denn ihr Sein ist kein originales, wir sehen in ihnen etwas Gewordenes; und inwiefern alles Gewordene von bloß abhängiger und insofern zweifelhafter Realität ist, insofern kann man sagen, sie seien an sich selbst von zweifelhaftem Dasein, oder es sei ihre Natur, zwischen Sein und Nichtsein zu schweben. Eben dieses zweifelhafte Sein muß ich aber auch in mir anerkennen; aus demselben Grunde, aus welchem ich an den Dingen, müßte ich also auch an mir selbst zweifeln. Indes der Zweifel des Descartes an der Realität der Dinge hat wirklich nicht die spekulative Bedeutung, die wir ihm soeben gegeben; der Grund seines Zweifels ist ein bloß empirischer, wie er selbst sagt, weil er nämlich öfters erfahren, daß ihn die Sinne getäuscht, weil er manche Male sich im Traum überredet, daß dies oder jenes außer ihm sei, wovon sich nachher das Gegenteil befunden; ja setzt er hinzu, er habe Leute gekannt, die Schmerzen in Gliedern empfunden, die ihnen vorlängst abgenommen worden – in diesem Argument erkennt man den ehemaligen Militär, übrigens lag es nahe zu überlegen, daß solche Personen doch nur Schmerzen in Gliedern empfunden, die sie einmal gehabt haben, und kein Beispiel vorhanden ist von Leuten, die Schmerzen empfunden härten in Gliedern, die sie niemals gehabt. Durch diese letzte[23] Erfahrung glaubt er sich jedoch noch insbesondere berechtigt, auch an der Existenz seines eigenen Körpers zu zweifeln.
Von hier geht er dann fort auf die nicht aus den Sinnen geschöpften, also mit dem Charakter der Notwendigkeit und Allgemeinheit ausgestatteten Erkenntnisse, namentlich die mathematischen Wahrheiten, für deren Bezweifelbarkeit er den seltsamsten Grund anführt, der nicht, wie die der alten Skeptiker, aus dem Innern dieser Gegenstände und ihren Voraussetzungen selbst, sondern von etwas Äußerem hergenommen ist. Nämlich, so erklärt er sich, obgleich ich so gewiß als von meinem eigenen Leben überzeugt bin und nicht einen Augenblick umhin kann zu erkennen, daß die drei Winkel eines Dreiecks = zwei Rechten, so ist doch meiner Seele die Meinung – ich weiß nicht recht, ob beigebracht oder sogar eingepflanzt, daß es einen Gott gebe, von dem ich gehört habe, daß er alles vermöge, und daß ich (der Zweifelnde) ganz und gar mit allem, was ich sei und wisse, dessen Geschöpf sei. Nun hätte dieser, fährt er fort, doch auch bewirken können, daß ich über diese Dinge mich täuschte, welche mir übrigens als die klarsten erscheinen. Als ob man nicht weit mehr Ursache härte, an einem solchen Zweifel zu zweifeln. Ehe man diesen aufwürfe, müßte man doch irgendein Interesse anzugeben wissen, das der Schöpfer haben könnte, mich mit den notwendigen Wahrheiten zu täuschen. Das wahre Verhältnis, in dem sich die Philosophie in ihrem Anfang gegen alles, und also auch gegen die mathematischen Wahrheiten, befindet, ist, nicht sie zu bezweifeln (denn wie käme sie nur überhaupt dazu, sie jetzt schon zum Gegenstand ihres Denkens zu machen?), sondern sie einfach dahingestellt sein zu lassen, bis sie im Verlauf ihrer schlechthin von vorn anfangenden Untersuchung von selbst auf die Voraussetzungen geführt wird, von denen ihre Wahrheit abhängt.
Nachdem nun Descartes auf diese nicht eben sehr tiefe Weise an allem ihm vors Bewußtsein Gekommenen gezweifelt, fragt er, ob ihm denn gar nichts übrigbleibe,[24] woran er aus den früher angeführten oder an dern Gründen ebenfalls noch zweifeln könnte. Obgleich er nun an allem gezweifelt zu haben schien, blieb ihm doch noch etwas übrig, nämlich Er selbst, welcher so zweifelte, nicht sofern er aus Kopf, Händen, Füßen und andern körperlichen Gliedmaßen bestand – denn an der Realität von diesen hatte er bereits gezweifelt –, sondern nur inwiefern er zweifelte, d.h., inwiefern er dachte. Indem er nun dieses genau untersuchte, meinte er zu finden, daß er an diesem, nämlich an Sich selbst, sofern er dachte, aus keinem der Gründe zu zweifeln vermöge, die ihn an den andern Dingen zu zweifeln bewogen. Denn, sagt er, ich mag nun wachen oder träumen, so denke ich doch und bin, und sollte ich mich in Ansehung alles anderen geirrt haben, so war ich doch, denn ich irrte, eram quia errabam, und der Urheber der Natur mag noch so kunstvoll angenommen werden, so kann er mich doch in dieser Hinsicht nicht täuschen, denn um getäuscht zu werden, muß ich sein. Ja, je mehr Gründe des Zweifels vorgebracht werden, desto mehr Gründe erlange ich, die mich von meiner Existenz überzeugen, denn je öfter ich zweifle, desto öfter bewähre ich meine Existenz – also, daß, wie ich mich auch wende, ich immerhin genötigt bin, in die Worte auszubrechen: Ich zweifle, ich denke, also bin ich!
Dies ist also das berühmte Cogito ergo sum des Descartes, mit dem denn allerdings auf lange Zeit gleichsam der Grundton der neueren Philosophie angegeben war das wie ein Zauber gewirkt hat, durch den die Philosophie in den Umkreis des Subjektiven und der Tatsache des bloß subjektiven Bewußtseins gebannt war. Höher genommen aber lag in dem Cogito ergo sum oder in dem Entschluß, vorerst alles für zweifelhaft zu halten, bis es mit jenem allein unmittelbar Gewissen auf irgendeine Weise in Verbindung gebracht sei – in diesem Entschluß lag die entschiedenste Losreißung von aller Autorität, damit war die Freiheit der Philosophie errungen, die sie von diesem Augenblick an nicht wieder verlieren konnte.
Es ist klar genug, wie Descartes auf dieses Cogito ergo[25] sum geführt wurde. Sein Hauptzweifel war, wie man sich von irgendeiner Existenz überzeugen könne. Dieser Zweifel schien ihm in Ansehung der äußeren Dinge unüberwindlich. Wir stellen äußere Dinge vor – dies wird nicht geleugnet, und wir sind sogar genötigt, sie uns vorzustellen –, aber ob die Dinge, die wir uns vorstellen, und wie wir sie uns vorstellen, auch sind, nämlich außer uns, unabhängig von uns so sind, dies ist die Frage, auf die es keine unmittelbare Antwort gibt. Descartes wollte also einen Punkt finden, wo Denken oder Vorstellen (denn Er unterscheidet beides nicht) und Sein unmittelbar in eins zusammenfallen – und diesen glaubte er durch sein Cogito ergo sum gefunden, und da sich aller Zweifel seiner Meinung nach nur auf die Existenz bezieht, so glaubte er mit diesem Satz auch allen Zweifel überwunden. Im Cogito ergo sum glaubte Descartes Denken und Sein als unmittelbar identisch erkannt zu haben. Denn er leugnet in späteren Erklärungen aufs bestimmteste, daß der Satz: Cogito ergo sum von ihm als ein Schluß (ein Syllogismus) gemeint sei. Zu einem vollständigen Schluß würde allerdings ein Obersatz gehören, der so lautete: Omne, quod cogitat, est – der Untersatz wäre dann: Atqui cogito, und der Schlußsatz: Ergo sum. So kann es freilich Descartes nicht gemeint haben; denn damit würde der Satz: Ich bin, zu einem durch einen allgemeinen Satz vermittelten; in dieser syllogistischen Form wäre die unmittelbare Gewißheit verloren. Die Meinung des Descartes ist also, das Sum sei in dem Cogito eingeschlossen, in ihm schon mitbegriffen und ohne weitere Vermittlung gegeben. Hieraus folgt denn, daß das cogito eigentlich so viel sagt als: cogitans sum (wie denn überhaupt das Zeitwort keine andere Bedeutung hat und nur eine Zusammenziehung von Prädikat und Copula ist, z.B. lego heißt nichts anderes als sum legens, ich bin lesend oder ein Lesender). Dieses Sum cogitans kann nun außerdem nicht die Bedeutung haben, als wäre ich nichts als denkend, als wäre ich nur im Denken da, oder als wäre Denken die Substanz meines Seins. Denn Descartes spricht jenes: Ich denke, selbst nur aus, [26] indem er denkt oder zweifelt, im actu seines Zweifels. Das Denken ist also nur eine Bestimmung oder eine Art und Weise des Seins, ja das cogitans hat sogar nur die Bedeutung: ich bin im Zustande des Denkens. Der Zustand des eigentlichen Denkens ist bekanntlich für die meisten Menschen ein höchst seltener, vorübergehender, ja ein unnatürlicher, aus dem sie gewöhnlich sobald als möglich herauszutreten suchen. Bekannt ist das Schillersche: Oft schon war ich und hab' wahrlich an gar nichts gedacht. Zwar Descartes braucht, wie schon bemerkt, das Wort denken in einem sehr allgemeinen Sinn, wo es z.B. auch das sinnliche Gewahrwerden oder Wahrnehmen bedeutet. Allein ich bin ja auch nicht immer im Zustande des sinnlichen Wahrnehmens. Wollte man sagen, selbst im Schlafe höre es nicht auf, denn ich träume wenigstens, so bleibt immer die Ohnmacht, in der ich zwar nicht ausspreche: Ich bin, wie ich es im Schlaf, ja im Verlauf des gewöhnlichen wachenden Lebens auch nicht ausspreche, und doch unstreitig bin. Das in dem cogito begriffene sum heißt also nur: sum qua cogitans, ich bin als denkend, d.h. in dieser bestimmten Art des Seins, welche denken genannt wird, und die nur eine andere Art zu sein ist als z.B. die des Körpers, dessen Art zu sein darin besteht, daß er den Raum erfüllt, d.h. von diesem Raum, den er einnimmt, jeden andern Körper ausschließt. Das in dem cogito eingeschlossene sum hat also nicht die Bedeutung eines unbedingten Ich bin, sondern nur die Bedeutung eines »Ich bin auf gewisse Weise«, nämlich eben als denkend, in dieser Art zu sein, welche man denkend nennt. Daher kann auch in dem Ergo sum nicht enthalten sein: Ich bin unbedingter Weise sondern nur: Ich bin auf gewisse Weise. Von den Dingen kann man aber, wie schon gezeigt, eigentlich auch nur zweifeln, daß sie unbedingt sind; daß sie aber auf gewisse Weise sind, dies läßt sich auf dieselbe Weise herausbringen, wie Descartes sein Sum herausbringt. Es ist ebenso richtig zu schließen: Ich zweifle an der Realität der Dinge, also sind sie, oder wenigstens: also sind sie nicht gar nicht. Denn an dem, was gar nicht und auf keine Weise ist, kann[27] ich auch nicht zweifeln. Aus meinem Zweifel selbst an der Realität der Dinge folgt also – zwar nicht, daß sie unzweifelhaft oder unbedingt sind, aber doch, daß sie auf gewisse Weise sind; mehr folgt aber, wie gezeigt, auch aus dem Ich denke nicht, als daß ich auf gewisse Weise bin. Alles aber, was nur auf gewisse Weise ist, ist schon ebendarum ein zweifelhaft Seiendes. Im wahren Sinn des nicht bloß empirischen und subjektiven, sondern des objektiven und philosophischen Zweifels ist also das Sein, das ich mir selbst zuschreibe, so zweifelhaft als das, was ich den Dingen zuschreibe.
Allein wir können noch weiter zurückgehen und sogar das Ich denke selbst in Zweifel ziehen – wenigstens in der Bedeutung, die es unstreitig bei Descartes hat. Diesem Ausspruch: Ich denke, liegt nämlich zweierlei zugrunde: 1. das, was in mir denkt, z.B. was jetzt eben zweifelt, 2. das auf dieses Denken oder Zweifeln Reflektierende; nur indem dieses jenes Erste als mit sich identisch erkennt, sage ich: Ich denke. Das Ich denke ist also seiner Wahrheit nach keineswegs etwas Unmittelbares, es entsteht nur durch die Reflexion, welche sich auf das Denken in mir richtet, welches Denken übrigens auch unabhängig von jenem auf es Reflektierenden vonstatten geht, wie ich denn sogar in der Regel denke, ohne mir zu sagen, daß ich denke, ohne dieses Denken selbst wieder zu denken, ja das wahre Denken muß sogar ein objektiv unabhängiges von jenem auf es reflektierenden Subjekt sein, oder es wird um so wahrer denken, je weniger von dem Subjekt sich in es einmischt. Da es also zweierlei ist, das Denkende und das auf dies Denkende Reflektierende und es als eins mir sich Setzende, oder da es ein objektives, von mir unabhängiges Denken gibt, so könnte ja dieses in jener vermeinten Einheit oder, indem es das ursprüngliche Denken sich zuschreibt, eben darin könnte es sich täuschen, und das Ich denke könnte nicht mehr auf sich haben als der Ausdruck, dessen ich mich ja ebensowohl bediene: Ich verdaue, ich mache Säfte, ich gehe, oder ich reite; denn es ist doch nicht eigentlich das denkende Wesen, das geht[28] oder das reitet. Es denkt in mir, es wird in mir gedacht, ist das reine Faktum, gleichwie ich auch mit gleicher Berechtigung sage: Ich träumte, und: Es träumte mir. Die Gewißheit, welche Descartes dem cogito ergo sum zuschreibt, hält also selbst das Denken nicht aus; wenn es eine Gewißheit ist, so ist es eine blinde und gedankenlose. An diese Gewißheit indes knüpft Descartes alles andere an. Sein Prinzip ist: Alles, was ebenso klar und bestimmt eingesehen wird wie das Ich bin, muß auch wahr sein. Allein genauer ausgedrückt kann dies nur so viel heißen: Alles, was mit jener blinden, empirischen Gewißheit, die ich von meinem eignen Sein habe, zusammenhängt, oder was implizite mit dem Ich bin gesetzt ist oder sich erweisen läßt als zur Vollständigkeit dieser Vorstellung gehörig, muß ich also ebenso wahr annehmen wie dieses selbst (weiter geht's nicht); nämlich daß es auch objektiv und unabhängig von mir so sei, folgt nicht. Die Wahrheit des Ich bin kann ebensogut bestehen, wenn ich nur genötigt bin, jenes andere alles, z.B. meinen Körper und die andern auf ihn scheinbar einfließenden Dinge mir vorzustellen. Wenn ich einmal alles an das Ich bin knüpfen will, muß ich auch darauf Verzicht tun, jemals weiter zu kommen als zu dieser Notwendigkeit der Vorstellung alles andern; auch kann es mir, wenn ich mir selbst der Mittelpunkt alles Wissens bin, völlig gleichgültig sein, ob das, was ich mir vorzustellen genötigt bin, unabhängig von dieser Vorstellung da ist oder nicht, wie es, um Descartes' eignes Beispiel zu brauchen für den Träumenden, solang er träumt, völlig gleichgültig ist.
Descartes, dem es einmal nicht darum zu tun war, die Dinge zu begreifen, sondern nur darum, zu wissen, daß sie seien (das Wenigste, was man von den Dingen wissen kann), wurde durch seinen Vorgang Ursache, daß diese Frage: ob unseren Vorstellungen von den äußern Dingen in der Tat etwas entspreche, für geraume Zeit als Hauptfrage in der Philosophie betrachtet wurde. Es hätte dem Descartes ganz nahe gelegen, schon zum völligen Idealismus fortzugehen, d.h. zu dem System, welches behauptet,[29] daß die Dinge nicht objektiv außer uns, sondern nur in unsern, wenngleich notwendigen Vorstellungen existieren. Allein dies wollte er nicht; um daher jener notwendigen Konsequenz zu entgehen, nahm er zu einem andern Begriff seine Zuflucht. Weil die Vorstellungen keine Bürgschaft in sich selbst, so bedarf es eines Bürgen für die Wahrheit seiner Vorstellungen von Außendingen – hier sucht er aus dem Subjektiven ins Objektive zu kommen (metabasis) –, diesen Bürgen findet er in Gott, dessen Dasein aber dann vorher bewiesen sein muß. Dies bewerkstelligt er denn kürzlich auf folgende Art: Es ist in mir der Begriff eines allervollkommensten Wesens. (Dies wird als empirische Tatsache vorausgesetzt, wie das Ich denke eben auch nur ein empirisches Faktum ist.) Nun gehört aber zum Begriff des allervollkommensten Wesens – nicht, wie man späterhin sagte, der Begriff der Existenz überhaupt, denn so ungeschickt, wie Kant diesen Beweis vorstellt, pflegte Descartes, dem man innerhalb seiner Grenzen den ganzen Scharfsinn und die geistreiche Tüchtigkeit und Beweglichkeit seiner Nation zuerkennen muß, nicht zu schließen, der wohl wußte, daß Existenz überhaupt etwas gegen Vollkommenheit und Unvollkommenheit Gleichgültiges ist – es gehört zum Begriff des vollkommensten Wesens auch der Begriff der notwendigen Existenz. Sowie ich also Gott nur denke, muß ich auch einsehen, daß er existiert. Dies ist also der unter dem Namen des ontologischen bekannte Erweis des Daseins Gottes. Aus dem bloßen Begriff des allervollkommensten Wesens wird dann weiter geschlossen, das allervollkommenste Wesen würde dieses nicht sein, wenn es nicht auch das allerwahrhaftigste wäre (hier ein Übergang von dem Begriff, der bis jetzt nur als ein metaphysischer genommen schien, zu moralischen Eigenschaften), einem solchen also müßte es auch unmöglich sein, uns zu täuschen 1. in Ansehung der mathematischen Wahrheiten – (sonderbar, daß Descartes immer nur diese und nicht auch die allgemeinen Begriffe, so wie die Gesetze des Denkens, Urteilens und Schließens bezweifelt), 2. ebenso unmöglich (da nur Gott[30] diese Täuschung bewirken könnte) in Ansehung der sinnlichen Dinge. Hier wird daher nun Gott, nachdem ein ganz anderes principium cognoscendi angenommen war, doch auch noch anerkannt als das wahre Erkenntnisprinzip, d.h. als das, was aller Erkenntnis erst Wahrheit erteilt. Jene Berufung auf die Wahrhaftigkeit Gottes hat übrigens auf den Nachfolger des Descartes, den Franzosen Malebranche, so wenig gewirkt, daß er diesem Argument höchstens Wahrscheinlichkeit zugesteht und bemerkt, daß Gott, wenn er es sonst gut und nötig fände, uns gar wohl Körper vorstellen könnte, wenn es auch keine gäbe.
Was uns indes am wichtigsten sein muß, und weswegen ich von der Philosophie des Descartes vorzüglich einen Begriff zu geben gesucht habe, ist eben jenes von ihm auf die Bahn gebrachte ontologische Argument. Bei weitem weniger durch das, was er außerdem über die Anfänge der Philosophie behauptete, als durch die Aufstellung des ontologischen Beweises ist Descartes für die ganze Folge der neueren Philosophie bestimmend geworden. Man kann sagen: die Philosophie ist noch jetzt damit beschäftigt, die Mißverständnisse, zu denen dieses Argument Veranlassung gab, zu entwirren und auseinanderzusetzen. Merkwürdig ist dieses Argument auch noch, weil es unter den Schulbeweisen, mit denen die Existenz Gottes in der gewöhnlichen Metaphysik bewiesen zu werden pflegte, bis auf Kant noch immer obenan stand. Es ist wohl zu bemerken, daß dieses Argument von den Scholastikern keineswegs anerkannt wurde. Denn obgleich schon Anselm von Canterbury ein ähnliches aufgestellt hatte, so widersprach ihm doch Thomas von Aquin aufs bestimmteste. Vorzüglich wurde der sogenannte ontologische Beweis auch Gegenstand der Kantschen Kritik, allein weder Kant noch irgendeiner seiner Nachfolger hat den rechten Punkt getroffen. Der hauptsächlichste Einwurf gegen Descartes' Beweis, der vorzüglich von Kant geltend gemacht worden, beruht auf der schon erwähnten unrichtigen Vorstellung, als laute das Argument so: Ich finde in mir die Idee des vollkommensten Wesens, nun ist aber die Existenz selbst[31] eine Vollkommenheit, also ist in der Idee des vollkommensten Wesens von selbst auch die Existenz enthalten. Hier wird dann der Untersatz des Schlusses geleugnet. Man sagt, die Existenz sei keine Vollkommenheit. Ein Dreieck z.B. wird durch die Existenz nicht vollkommener, oder wenn dies wäre, so müßte mir ebensowohl verstattet sein zu schließen, das vollkommene Dreieck müsse existieren. Was nicht existiert, sagt man, ist weder vollkommen noch unvollkommen. Existenz drückt eben nur aus, daß das Ding, d.h., daß seine Vollkommenheiten, sind. Also ist die Existenz nicht eine dieser Vollkommenheiten, sondern sie ist das, ohne welches weder das Ding noch seine Vollkommenheiten sind. Allein ich habe schon bemerkt, daß Descartes nicht auf diese Weise schließt. Sein Argument lautet vielmehr so: der Natur des vollkommensten Wesens würde es widerstreben, bloß zufällig zu existieren (so wie z.B. meine eigne Existenz eine bloß zufällige prekäre und eben darum an sich zweifelhafte ist), also kann das vollkommenste Wesen nur notwendig existieren. Gegen dieses Argument wäre nun, besonders wenn man sich über den Begriff von notwendig Existieren verständigt und darunter nur das Gegenteil von zufällig Existieren versteht, so wäre, sage ich, gegen dieses Argument nichts einzuwenden. Aber der Schlußsatz des Descartes lautet anders. Wiederholen wir uns noch einmal den ganzen Syllogismus. Das vollkommenste Wesen kann nicht zufällig, mithin nur notwendig existieren (Obersatz); Gott ist das vollkommenste Wesen (Untersatz), also (sollte er schließen) kann er nur notwendig existieren, denn dies allein liegt in den Prämissen; statt dessen schließt er aber: also existiert er notwendig, und bringt dann auf diese Art scheinbar allerdings heraus, daß Gott existiert, und scheint die Existenz Gottes bewiesen zu haben. Aber es ist etwas ganz anderes, ob ich sage: Gott kann nur notwendig existieren, oder ob ich sage: er existiert notwendig. Aus dem Ersten (er kann nur notwendig existieren) folgt nur: also existiert er notwendig, N.B. wenn er existiert, aber es folgt keineswegs, daß er existiert. Darin liegt also[32] der Fehler des Descartesschen Schlusses. Wir können diesen Fehler auch so ausdrücken. In dem Obersatz (das vollkommenste Wesen kann nur notwendig existieren) ist bloß von der Art der Existenz die Rede (es ist nur gesagt, das vollkommenste Wesen könne nicht zufälligerweise existieren), im Schlußsatz (in der conclusio) ist aber nicht mehr von der Art der Existenz die Rede (in diesem Fall wäre der Schluß richtig), sondern von der Existenz überhaupt, also ist plus in conclusione quam fuerat in praemissis, d.h., es ist gegen ein logisches Gesetz gefehlt, oder der Schluß ist in der Form unrichtig. Daß dies der eigentliche Fehler sei, kann ich auch daraus beweisen, daß Descartes an mehreren Stellen selbst unmittelbar oder zunächst wenigstens nur auf die von mir angezeigte Art schließt. In einem Aufsatz, der überschrieben ist: Rationes Dei existentiam etc. probantes ordine geometrico dispositae, lautet die Konklusion so: Also ist es wahr, von Gott zu sagen, die Existenz sei in ihm eine notwendige, oder (setzt er hinzu) Er existiere. Das Letzte ist nun aber etwas ganz anderes als das Erste und kann nicht als gleichgeltend mit diesem an gesehen werden, wie durch das Oder angedeutet wird (Descartes selbst ist sich wohl bewußt, daß in seinem Begriff des vollkommensten Wesens eigentlich nur die Art der Existenz bestimmt ist. So sagt er in derselben Darstellung: Im Begriff eines limitierten, endlichen Dings ist enthalten die bloß mögliche oder zufällige Existenz, im Begriff des vollkommensten also der Begriff der notwendigen und vollkommenen Existenz). An einer andern Stelle, in seiner V. Meditation, führt er den Schluß so aus: Ich finde in mir die Idee Gottes nicht anders oder gerade so wie die Idee irgendeiner geometrischen Figur oder einer Zahl, nec, fährt er alsdann fort, nec minus clare et distincte intelligo, ad ejus naturam pertinere, ut semper existat. (Bemerken Sie dieses semper wohl; hier sagt er also nicht, ad ejus naturam pertinere, ut existat, sondern nur, ut semper existat.) Daraus folgt nun auch bloß, daß Gott wenn er existiert, nur immer existiert, aber es folgt nicht, daß er existiert. Der wahre Sinn des Schlusses ist[33] immer nur: entweder existiert Gott gar nicht, oder wenn er existiert, so existiert er immer, oder so existiert er notwendig, d.h. nicht zufällig. Aber damit ist klar, daß seine Existenz nicht bewiesen ist.
Mit dieser Kritik des Descartesschen Arguments geben wir nun aber zu, daß, wenn nicht die Existenz, doch die notwendige Existenz Gottes bewiesen sei – und dieser Begriff ist nun eigentlich derjenige, der von der bestimmendsten Wirkung für die ganze Folgezeit der Philosophie gewesen ist.
Was hat es also mit dieser notwendigen Existenz Gottes auf sich?
Schon indem wir als richtigen Schlußsatz nur diesen anerkennen: Also existiert Gott notwendig, wenn er existiert, schon dadurch sprechen wir aus, daß der Begriff Gottes und der Begriff des notwendig existierenden Wesens nicht schlechterdings identische Begriffe sind, so nämlich, daß der eine in dem andern genau aufginge, daß Gott nicht mehr wäre als das bloß notwendig existierende Wesen. Wäre er nur dieses, so wäre es allerdings ein von selbst sich verstehender Satz, daß er existiert. Vor allem fragt sich also:
1. Was ist unter dem notwendig existierenden Wesen zu verstehen?
2. Inwiefern ist Gott das notwendig existierende Wesen
3. Sind Gott und notwendig existierende Wesen identische Begriffe, inwiefern ist er mehr als nur dieses?
Um also das erste zu beantworten, soweit es auf dem Punkt, wo wir jetzt noch stehen, möglich ist (denn wir werden in der Folge noch mehr als einmal auf diesen Begriff zurückkehren), so unterscheiden wir in allem Sein
a) das was Ist, das Subjekt des Seins, oder wie man auch sonst sagt, das Wesen,
b) das Sein selbst, welches sich zu dem, was ist, als Prädikat verhält, ja von dem ich allgemein gesprochen sagen kann, daß es das Prädikat schlechthin ist, das was in jedem Prädikat eigentlich allein prädiziert wird. Es wird nirgends und in keinem möglichen Satz etwas anderes[34] ausgesagt als das Sein. Wenn ich z.B. sage: Phädon ist gesund, so wird eine Art des organischen, weiter des physischen, zuletzt des allgemeinen Seins ausgesagt; oder: Phädon ist ein Liebender, hier eine Art des gemütlichen Seins. Immer aber ist es das Sein, das ausgesagt wird. Nun steht es mir aber auch frei, das was Ist allein oder rein zu denken, ohne das Sein, das ich erst von ihm auszusagen hätte – habe ich es so gedacht, so habe ich den reinen Begriff gedacht, das, in dem noch nichts von einem Satz oder einem Urteil ist, sondern eben der bloße Begriff (es ist absurd, den reinen Begriff in das Sein zu setzen, was gerade das über den Begriff Hinausgehende, das Prädikat ist. Notwendig aber ist das Subjekt eher als Prädikat, wie denn schon in der alten gewöhnlichen Logik das Subjekt das Antecedens, das Prädikat das Consequens genannt wurde). Das was Ist ist der Begriff kat' exochên, es ist aller Begriffe Begriff, denn in jedem Begriff denke ich nur eben das, was Ist, nicht das Sein. Inwiefern ich nun das, was ist, rein denke, so ist also hier nichts über den bloßen Begriff Hinausgehendes, mein Denken ist noch in den reinen Begriff eingeschlossen, ich kann dem, was Ist, noch kein Sein beilegen oder attribuieren, ich kann nicht sagen, daß es ein Sein hat, und doch ist es nicht Nichts, sondern allerdings auch Etwas, es ist eben das Sein selbst, auto to ON, ipsum Ens – das Sein ist ihm noch im bloßen Wesen oder im bloßen Begriff, es ist das Sein des Begriffs selbst, oder es ist der Punkt, wo Sein und Denken eins ist. In dieser Bloßheit muß ich es wenigstens einen Augenblick denken. Aber ich kann es in dieser Abstraktion nicht erhalten; es ist nämlich unmöglich, daß das, was Ist, von dem ich nun weiter noch nichts weiß, als daß es der Anfang, der Titel zu allem Folgenden ist, aber noch nichts selbst ist – es ist unmöglich, daß das, was der Titel, die Voraussetzung, der Anfang zu allem Sein ist, daß dieses nicht auch sei – dies »sei« im Sinn von Existenz genommen, d.h. vom Sein auch außer dem Begriff. Damit wendet sich uns der Begriff nun unmittelbar, und zwar in sein Gegenteil um – wir finden das, was wir als das Seiende[35] selbst bestimmt hatten, nun auch wieder als das Seiende, aber als das Seiende in einem ganz andern – nämlich nur im prädikatlichen oder, wie wir auch sagen können, gegenständlichen Sinn, statt daß wir es vorher als das Seiende im urständlichen Sinn dachten. Hier ist die vollkommenste Conversio des Subjekts in das Objekt – wie es im reinen Begriff das bloße, reine Subjekt (suppositum, denn auch diese beiden Ausdrücke sind gleichbedeutend) oder der reine Urstand des Seins war – so ist es in unmittelbarer Folge seines Begriffs – eben vermöge seines Begriffs: das Seiende selbst zu sein – ist es unmittelbar, eh' wir es uns versehen, das objektiv, das gegenständlich Seiende.
Betrachten wir es nun näher als dieses gegenständlich Seiende, wie wird es sich uns darstellen? Offenbar als das nicht sein Könnende und demnach als das notwendig, das blind Seiende. Das blind Seiende insbesondere ist das, dem keine Möglichkeit seiner selbst vorausgegangen ist. Ich handle z.B. blind, wenn ich etwas tue, ohne mir vorher seine Möglichkeit vorgestellt zu haben. Wenn die Handlung dem Begriff der Handlung zuvoreilt, so ist dies eine blinde Handlung, und ebenso ist das Sein, dem keine Möglichkeit vorausgegangen, das nie nicht-sein und darum auch nie eigentlich sein konnte, das vielmehr seiner Möglichkeit als solcher zuvorkommt, ein solches Sein ist das blinde Sein. Man könnte einwenden: wir haben doch selbst zuerst von dem was Ist gesprochen und es als das Prius, als den Urstand, d.h. als die Möglichkeit des Seins, bestimmt. Ganz richtig; aber wir fügten auch gleich hinzu, es sei in dieser Priorität nicht zu erhalten, also, wenn auch das Prius, doch nie als das Prius, der Übergang sei ein unaufhaltsamer, es sei an sich, also es sei keinen Augenblick möglich, daß das was Ist nicht sei, also es als nicht seiend zu denken. Dasjenige nun aber, dem es unmöglich ist, nicht zu sein (quod non potest non-existere), diesem ist es auch nie möglich zu sein – denn jede Möglichkeit zu sein schließt auch die Möglichkeit nicht zu sein in sich -also ist das, dem es unmöglich ist, nicht zu sein, auch nie in der Möglichkeit zu sein, und das Sein, die Wirklichkeit,[36] kommt der Möglichkeit zuvor. Hier haben Sie nun also den Begriff des notwendig seienden, des notwendig existierenden Wesens, und Sie begreifen zugleich aus dieser Genesis desselben, mit welcher Gewalt er auf das Bewußtsein gleichsam einstürzt und ihm jede Freiheit nimmt. Es ist der Begriff, gegen welchen das Denken alle seine Freiheit verliert.
Nun entsteht aber die Frage, wie Gott, das notwendig seiende oder existierende Wesen, genannt werden könne. Descartes begnügt sich mit dem populären Argument, weil die nicht notwendige, d.h., die zufällige Existenz (wie er den Begriff bestimmt) eine Unvollkommenheit sei, Gott aber das allervollkommenste Wesen sei. Was er unter dem vollkommensten Wesen denkt, sagt er nicht; man sieht aber wohl, daß er darunter dasjenige denkt, was das Wesen alles Seins ist, das nicht ein Sein außer sich hat, gegen welches sein eignes Sein sich auch als ein Sein verhält, oder einfacher, das nicht ein Seiendes ist, das ein anderes Seiendes oder andere Seiende außer sich hat, sondern das schlechthin Seiende, das also in seinem höchsten Begriff nur eben das sein kann, was wir das Seiende selbst, ipsum Ens, genannt haben. Ist nun Gott nur als das Seiende selbst, und ist das, was das Seiende selbst ist, nur zu bestimmen als das nicht nicht sein Könnende, als das, dem es unmöglich ist, nicht zu sein, so ist Gott entschieden und ohne allen Zweifel das notwendig Existierende; – dieses ist nun der höchste Sinn, in welchem das eigentliche ontologische Argument zu nehmen ist; auf dieses kommt jener sogenannte Beweis des Anselm zurück. Es leuchtet nun aber auch sofort ein, woher das Mißtrauen gegen diesen sogenannten Beweis entstanden ist und warum namentlich die Scholastik ihn vielmehr zu widerlegen und abzulehnen als aufzunehmen für gut fand.
Hier kommen wir auf die Frage, ob der Begriff des notwendig existierenden Wesens mit dem Begriff Gottes identisch sei.
Wir haben eben das notwendig Existierende zugleich als das blindlings Existierende erwiesen. Nun ist aber nichts[37] der Natur Gottes, wie sie im allgemeinen Glauben gedacht wird – und nur aus diesem hat Descartes, haben also auch wir bis jetzt diesen Begriff aufgenommen –, nichts ist der Natur Gottes mehr entgegen als das blinde Sein. Denn das Erste im Begriff des blindlings Seienden ist doch, daß es gegen sein Sein ohne alle Freiheit ist, es weder aufheben noch verändern oder modifizieren kann. Was aber gegen sein eignes Sein keine Freiheit hat, hat überhaupt keine – ist absolut unfrei. Wäre also Gott das notwendig existierende Wesen, so könnte er nur zugleich als das starre, unbewegliche, schlechthin unfreie, keines freien Tuns, Fortschreitens oder von sich selbst Ausgehens Fähige bestimmt werden. Entweder müßten wir bei diesem blind Seienden stehenbleiben – wir kämen mit keinem Schritt über das blind Seiende überhaupt hinaus –, oder wenn wir von ihm aus fortschreiten, wenn wir von ihm aus etwa zu der Welt gelangen wollten, so könnte dies nur geschehen, inwiefern wir in seinem blinden Sein etwa eine emanative Kraft nachweisen könnten, vermöge dessen von diesem blinden Sein anderes Sein, z.B. das der Dinge, ausströmte – ich sage ausströmte – nicht ausginge, denn damit wäre noch immer der Gedanke einer Hervorbringung zu verknüpfen – aber eben dieser ist mit einem blinden Sein durchaus nicht zu vereinigen; ein solches könnte höchstens als emanative Ursache gedacht werden, und auch nur dies würde nicht geringe Schwierigkeit darbieten. Hier stoßen wir nun also, um einen Kantischen Ausdruck anzuwenden, auf eine Antinomie zwischen dem, was aus der Vernunft mit Notwendigkeit folgt, und dem, was wir eigentlich wollen, wenn wir Gott wollen. Denn bis jetzt ist Gott offenbar ein bloßer Gegenstand unseres Wollens – wir sind durch nichts genötigt, den Ausdruck Gott zu brauchen, von dem absoluten Vernunftbegriff, von dem Begriff dessen, was Ist, ausgehend, werden wir nur auf den Begriff des notwendig existierenden Wesens, nicht aber auf den Begriff Gottes geführt. Gehen wir aber sogar von dem Begriff Gott aus, so können wir nicht umhin, zu sagen: Gott ist das Wesen alles Seins, er ist das was[38] Ist im absoluten Sinn, to ON, wie er auch immer bestimmt wurde, ist er aber dies, so ist er auch das notwendig und blindlings Existierende. Allein wenn er das blindlings Existierende ist, so ist er eben darum nicht Gott – nicht Gott in dem Sinn, welchen das allgemeine Bewußtsein mit diesem Wort und Begriff verbindet. Wie ist nun hier zu helfen, oder wie ist dieser Enge oder Klemme, in der wir uns befinden, zu entkommen? Es wäre eine schlechte Hilfe, wenn man bloß widersprechen wollte, daß Gott das notwendig existierende Wesen ist. Denn damit würde der eigentliche Urbegriff aufgehoben, den wir schlechterdings nicht aufgeben dürfen, soll unserm Denken nicht überall der feste Ausgangspunkt fehlen.
Gott als solcher ist freilich nicht bloß das notwendig oder blindlings existierende Wesen, er ist es zwar, aber er ist als Gott zugleich das, was dieses sein eignes, von ihm selbst unabhängiges Sein aufheben, sein notwendiges Sein selbst in ein zufälliges, nämlich in ein selbst-gesetztes verwandeln kann, so daß es im Grunde (der Grundlage nach) zwar immer besteht, aber effektiv oder in der Tat in ein anderes umgesetzt ist, oder so: daß jenem selbst-gesetzten zwar immer das notwendige zugrunde liegt, ohne daß das effektive, das wirkliche Sein Gottes bloß dieses notwendige wäre.
Die Lebendigkeit besteht eben in der Freiheit, sein eignes Sein als ein unmittelbar, unabhängig von ihm selbst gesetztes aufheben und es in ein selbst-gesetztes verwandeln zu können. Das Tote, in der Natur z.B., hat keine Freiheit, sein Sein zu verändern, wie es ist, so ist es – in keinem Moment seiner Existenz ist sein Sein ein selbstbestimmtes. Der bloße Begriff des notwendig Seienden würde also nicht auf den lebendigen, sondern auf den toten Gott führen. Allgemein aber wird im Begriff Gottes gedacht, daß er tun kann, was er will, und da er keinen Gegenstand seines Tuns hat als seine Existenz, so – kann ich nicht sagen: es wird, aber es muß im Begriff Gottes gedacht werden, daß er frei ist gegen seine Existenz, nicht an sie gebunden, daß er sie selbst wieder zum Mittel machen,[39] in ihrer Absolutheit aufheben kann. Wenn freilich diejenigen, welche die Freiheit Gottes aussprechen und behaupten, nicht gewohnt sind, sie auf diese Art auszusprechen – sie zu denken als Freiheit Gottes gegen seine Existenz, als Freiheit, diese Existenz als eine absolut gesetzte aufzuheben: so wird doch allgemein im Begriff Gottes die absolute Freiheit des Tuns gedacht. Ich sage allgemein. Denn der Begriff Gottes gehört keineswegs der Philosophie insbesondere an, er ist unabhängig von der Philosophie vorhanden im allgemeinen Glauben. Nun steht es allerdings dem Philosophen frei, von diesem Begriff gar keine Notiz zu nehmen, ihn zu umgehen. Aber Descartes, mit dem wir uns beschäftigen, hat ihn vielmehr hereingezogen in die Philosophie, und da ist denn die Antinomie offenbar.
Gott kann nur als das notwendig existierende Wesen gedacht werden, und zwar in einem Sinn, in welchem diese notwendige Existenz alles freie Tun aufhebt. Aber das, was unabhängig von der Philosophie Gott genannt wird und unstreitig vor aller Philosophie so genannt worden, kann nicht in diesem Sinn das notwendig Existierende sein – er muß als frei gedacht werden – gegen sein eignes Sein – denn sonst könnte er sich nicht bewegen, nicht von sich, d.h. von seinem Sein, ausgehen, um ein anderes Sein zu setzen. Die Frage ist nur, wie diese Antinomie zu überwinden. Dieses zu zeigen ist Sache der Philosophie selbst.
Von einer anderen Seite wurde das System des Descartes folgereich und bestimmend für den ferneren Gang des menschlichen Geistes – durch die absolute Entgegensetzung zwischen Geist und Körper, die er in die Philosophie einführte. Man nennt dies gewöhnlich den Dualismus des Descartes. Sonst versteht man unter Dualismus das System, welches neben dem ursprünglich guten ein ebenso ursprünglich böses Prinzip behauptet, das bald als ein ihm völlig gleichmächtiges, bald wenigstens als ein ebenso ursprünglich wie jenes existierendes Prinzip angesehen wurde. So weit ging Descartes nicht, daß er die Materie, wie jener und die Gnostiker, als Quelle alles Bösen, als das[40] allem Guten Widerstrebende gesetzt hätte. In diesem Fall war ihm die Materie wenigstens ein wahres Prinzip. Allein sie ist ihm nicht das Prinzip der Ausdehnung, sondern die bloße ausgedehnte Sache. Er hatte anfangs, wie gesagt, an der Existenz des Körperlichen gezweifelt, dagegen, woran er nicht zweifeln zu können glaubte, war seine Existenz als denkendes Wesen, wiewohl der Schluß von dem bloßen actus cogitandi, dessen allein er unmittelbar gewiß sein konnte, weil dieser allein in der unmittelbaren Erfahrung vorkommt, auf eine ihm zugrunde liegende denkende Substanz, wofür er die Seele ansah, keineswegs außer allem Zweifel war. Im Fortgang seiner Betrachtungen stellte er nun zwar auf die Art, wie ich gezeigt, indem er Gott als einen wahren Deus ex machina herbeirief, und im Vertrauen, daß Gott als das wahrhafteste Wesen uns mit der Körperwelt nicht als mit einer bloßen Phantasmagorie täuschen könne – damit restituierte er zwar die Körperwelt in integrum; das Körperliche war ihm nun etwas Wirkliches, aber Geist und Körper waren einmal auseinander, und er konnte sie nicht mehr zusammenbringen. Er sah in dem Körperlichen nur den Gegensatz des Geistigen und Denkenden, ohne für möglich zu halten, daß es, so verschieden auch beide in ihrer Funktion erscheinen, dennoch ein und dasselbe Prinzip sein könnte, das dort in der Materie nur im Zustand seiner Erniedrigung, hier als Geist nur im Zustand seiner Erhöhung sich befinde, dort im Zustand seiner gänzlichen Selbstverlorenheit, des völligen außer-sich-Seins, hier im Zustand des Selbstbesitzes, des in-sich-Seins. Ihm schien es möglich, daß ein absolut Totes, d.h. ein solches Totes, in dem nie Leben war, also ein ursprünglich Totes, ein Äußerliches ohne alles Innerliche, ein Erzeugtes, ohne etwas von dem erzeugenden Prinzip in sich selbst zu haben, sein könne. Ein solches absolut oder ursprünglich Totes widerstrebt aber nicht bloß allem wissenschaftlichen Begriff, sondern selbst der Erfahrung. Denn 1. gibt es doch eine lebendige Natur (Tiere; Schwierigkeit, diese zu erklären), 2. die sogenannte tote ist eben nie als ein Totes zu begreifen, d.h. als ein[41] absoluter Mangel des Lebens, sondern nur als erloschenes Leben – als Residuum oder caput mortuum eines vorhergegangenen Prozesses, also eines vorhergegangenen Lebens. Dieses Tote, Gebundene der Materie schien lebendigen Geistern so wenig etwas Ursprüngliches sein zu können, daß manche es nur durch eine vorausgegangene Katastrophe sich erklären zu können glaubten, wie in Indien nur als etwas Zugezogenes, als Strafe einer Schuld, als Folge eines uralten Abfalls in der Geisterwelt, wie die älteste griechische Mythologie in der körperlichen Materie nur die erstickten Titanengeister der Urzeit erblickte. – Descartes hielt freilich diese tote, geistlose Materie auch für etwas, aber unmittelbar, nicht aus einem früheren Zustande Gewordenes; er läßt sie in Gestalt eines rohen zusammenhängenden Klumpens von Gott erschaffen, hierauf entzweischlagen, daß sie in unendlich viele Teile auseinanderfährt, die dann durch ihre Rotationen, Wirbel usw. das Weltsystem und seine Bewegung erzeugen. Diese Roheit des wissenschaftlichen Begriffs, die uns noch so nahe liegt und kaum durch zwei Jahrhunderte von uns getrennt ist, mag heutzutag fast unglaublich erscheinen. Man kann daran ermessen, welchen Weg der menschliche Geist seitdem zurückgelegt hat. Aber man mag daraus auch sehen, wie schwer und darum langsam die Fortschritte in der Philosophie sein müssen, die sich diejenigen, welchen sie zugut kommen, oder die davon profitieren, so leicht vorstellen – wenn Geister wie Descartes bei solchen Vorstellungen stehenbleiben konnten. Es wäre unrecht, darum geringer von ihnen zu denken.
Ich habe schon bemerkt, der Gegensatz ist bei Descartes nicht etwa ein Gegensatz zweier Prinzipien, so daß er ein Prinzip des Denkens und ein Prinzip der Ausdehnung annähme. Das bloße Prinzip der Ausdehnung könnte in seiner Art noch immer auch ein geistiges, es brauchte nicht notwendig selbst ein ausgedehntes zu sein, wie z.B. das Prinzip der Wärme darum, weil es dies ist, nicht selbst warm ist, obgleich es den Körper warm macht, ihm Wärme mitteilt. Descartes weiß nichts von einem Prinzip der[42] Ausdehnung, sondern nur von der ausgedehnten Sache, welche eben darum ein schlechthin Ungeistiges ist. Von der andern Seite spricht er von sich selbst als von einer Sache, die denkt: je suis une chose, qui pense1. Das Ding, das denkt, und das Ding, das ausgedehnt ist, sind ihm also zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschließen und nichts miteinander gemein haben; das ausgedehnte Ding ist das völlig entgeistete, geist-lose; hinwiederum ist das Geistige das schlechterdings immaterielle; das Ausgedehnte ist bloßes Neben- und Außereinandersein, reine Zerfallenheit, die, inwiefern sie gleichwohl als zusammengehalten erscheint, wie in den körperlichen Dingen, nicht durch ein inneres und demnach geistiges Prinzip, sondern nur durch äußeren Druck und Stoß zusammengehalten ist. Das ausgedehnte Ding besteht aus Teilen, die sich schlechterdings äußerlich sind, diesen Teilen selbst fehlt ein innerlich bewegendes Prinzip, also auch jede innere Bewegungsquelle. Alle Bewegung beruht auf Stoß, d.h., sie ist rein mechanisch. Wie in der Materie nichts von Geist, so ist nach Descartes hinwiederum in dem Geist nichts der Materie Verwandtes, das in der Materie Seiende nicht ein nur auf andere Art Seiendes, sondern ein toto genere Verschiedenes, beide sind außer aller Berührung, zwei ganz disparate Substanzen, zwischen denen eben darum auch keine Gemeinschaft möglich ist.
Zwei Dinge, die schlechterdings nichts miteinander gemein haben, können auch nicht aufeinander wirken. Für die Philosophie des Descartes war es daher eine sehr schwierige Aufgabe, jene unleugbare Wechselwirkung zu erklären, welche zwischen dem denkenden Wesen und dem ausgedehnten offenbar stattfindet. Wenn beide durchaus nichts miteinander gemein haben, wie können dennoch Körper und Geist so vieles gemeinschaftlich tun und gemeinschaftlich leiden? Wie wenn ein körperlicher Schmerz vom Geist empfunden wird oder ein bloß auf den Körper gemachter Eindruck zum Geist sich fortpflanzt und[43] in dem denkenden Ding, das wir unsere Seele nennen, eine Vorstellung erzeugt, oder wenn umgekehrt eine Anstrengung des Geistes, ein Schmerz unserer Seele den Körper ermüdet oder krank macht oder der Gedanke unseres Geistes, wie z.B. im Sprechen, bloß körperliche Organe ihm zu dienen zwingt oder ein Wille, ein Entschluß unseres Geistes in dem ausgedehnten Ding, das wir unsern Körper nennen, eine entsprechende Bewegung hervorbringt. Das hierüber – bis auf die Zeit des Descartes – in den Schulen angenommene ältere System war das System des sogenannten natürlichen oder unmittelbaren Einflusses (Systema influxus physici), das, wenn auch nicht deutlich bewußt, doch unbewußterweise auf der Voraussetzung einer gewissen Homogenität der letzten Substanz beruhte, der beiden, der Materie und dem Geist, zugrunde liegenden und daher gemeinschaftlichen Substanz. Freilich war es eine grobe Vorstellung, wenn man dies bloß durch ein allmähliches Feiner-werden der Materien erklären wollte, wie in gewissen Hypothesen der Physiologen, die zwar einen unmittelbaren Einfluß des Geistes auf das, was man das grob Körperliche nannte, für unmöglich hielten, die aber meinten, wenn man zwischen dem Geist und dem grob Körperlichen nur feinere Materien einschalte (ehemals sprach man von Nervensaft oder, wie man sich heutzutage vermeintlich vornehmer ausdrückt, Nervenäther), so müsse doch einmal ein solcher unmittelbarer Übergang möglich sein.
Descartes beseitigte die Schwierigkeiten, welche für seinen Dualismus durch die offenbare Wechselwirkung zwischen dem denkenden und ausgedehnten Ding entstanden, kürzlich damit, daß er 1. den Tieren alle Seele absprach, sie für bloße höchst künstliche Maschinen erklärte, die alle – auch ihre offenbar vernunftähnlichen Handlungen nur so ausüben, wie eine gute Uhr die Stunde zeigt. Eine Notwendigkeit, den Tieren die Seele abzusprechen, lag für ihn auch darin: Wo sich der Gedanke findet, da findet sich eine von der Materie ganz verschiedene, also unzerstörte, unsterbliche Substanz, also etc. 2. Was den Menschen[44] betrifft, so hält er ihn zwar dem Körper nach ebenfalls nur für eine höchst künstlich eingerichtete Maschine, die, wie ein aufgezogenes Uhrwerk, völlig unabhängig von der Seele nur ihrem eignen Mechanismus gemäß alle natürlichen Handlungen verrichtet; was aber die Bewegungen betrifft, welche nicht als automatische sich erklären lassen, die gewissen Bewegungen oder Willensakten des Geistes entsprechen, so weiß er sich hier nicht anders zu helfen, als indem er annimmt, daß in jedem solchen Fall, wenn z.B. in dem Geist ein Begehren oder Wollen entsteht, das der Körper vollziehen soll, Gott selbst ins Mittel trete und in dem Körper die entsprechende Bewegung hervorbringe – als ob es begreiflicher sein soll, wie der höchste Geist (denn Gott [ist] ihm nicht etwa Identität) als wie der menschliche auf das rein Körperliche einwirke. Und ebenso bei Gelegenheit jedes Eindrucks, den materielle Dinge auf unsern Körper hervorbringen, tritt der Schöpfer selbst ins Mittel und bringt die entsprechende Vorstellung in der Seele hervor; die Seele für sich selbst wäre unzugänglich für alle äußeren oder materiellen Eindrücke, nur Gott vermittelt, daß meine Seele eine Vorstellung von körperlichen Dingen hat. Dies ist also auch nicht eine wesentliche, sondern nur eine akzidentelle oder okkasionelle Einheit zwischen Materie und Geist. An sich bleiben beide untereinander. Es ist unitas non naturae sed compositionis. Weil nun Gott hierbei immer nur gelegenheitlich handelt, so erhielt dieses System in der Folge davon den Namen des Okkasionalismus. Aber wie Descartes überhaupt in der Philosophie fast nur erscheint, um einem andern Geist die Grundlage zu einem ganz andern System darzubieten, so hat auch diese Hypothese, wodurch der Zusammenhang zwischen Seele und Leib, Geist und Körper erklärt werden sollte, nur dadurch eine Bedeutung in der Geschichte der Wissenschaft, daß jene momentane und immer bloß vorübergehende Identität zwischen Materie und Geist, zwischen dem ausgedehnten und denkenden Ding, Veranlassung zu der bleibenden und substantiellen Identität gab, welche bald nachher Spinoza[45] nicht bloß zwischen dem denkenden und ausgedehnten Ding, sondern zwischen Denken und Ausdehnung selbst behauptete. – Eine andere Folge des Descartesschen Systems in dieser Beziehung war, daß die Frage nach dem sogenannten commercio animi et corporis – welche in einer hinsichtlich der Prinzipien höher gestellten Philosophie nur eine untergeordnete Stelle einnimmt – auf längere Zeit fast zur Hauptfrage in der Philosophie wurde, mit der man, wo nicht ausschließlich, doch vorzüglich sich beschäftigte, ja daß längere Zeit ein System von dem andern fast bloß durch die Art, wie es diese Frage beantwortete, sich unterschied.
Den allgemeinsten, aber zugleich schlimmsten Einfluß übte die Philosophie des Descartes aus, indem sie das schlechterdings Zusammengehörige, gegenseitig sich Erklärende und Voraussetzende, Materie und Geist, absolut auseinander riß und so den großen allgemeinen Organismus des Lebens zerstörte und mit dem niederen zugleich den höheren einer toten bloß mechanischen Ansicht preisgab, die nahezu bis auf die letzte Zeit in allen Teilen des menschlichen Wissens und selbst in der Religion die herrschende blieb.
So viel über diese Seite der Descartesschen Philosophie, die man ihren Dualismus zu nennen pflegt. Jetzt wollen wir noch einen allgemeinen Blick auf sie werfen.
Descartes ist groß durch den allgemeinen Gedanken, daß in der Philosophie nichts für wahr gehalten werden dürfe, als was deutlich und klar erkannt werde. Da nun aber dies unmittelbar wenigstens nicht überall möglich ist, so müsse wenigstens alles in einem notwendigen Zusammenhang erkannt werden mit dem, dessen ich mir unmittelbar und zweifellos bewußt bin. Er brachte auf diese Art zuerst mit deutlichem Bewußtsein in die Philosophie den Begriff eines Prinzips und einer gewissen Genealogie unserer Begriffe und Überzeugungen, in welchen nichts für wahr zu halten sei, als inwiefern es sich von dem Prinzip herschreiben und herleiten lasse. Seine Beschränkung nun aber bestand darin, daß er nicht das an sich Erste[46] suchte, sondern sich mit dem einem jeden, also auch mir Ersten begnügte. (Subjektive Allgemeinheit, nicht Allgemeinheit in der Sache selbst.) So hatte er im Grunde auch auf den Zusammenhang, wie er in der Sache, nämlich zwischen dem Prinzip und den Dingen selbst stattfindet, mit Einem Wort auf den objektiven Zusammenhang verzichtet und mit einem bloß subjektiven sich begnügt. Zwar ging er in der Folge fort zu dem Begriff des an sich Ersten, zum Begriff Gottes; allein er konnte diesen nicht wohl zum Prinzip machen, indem er an demselben eben nur die notwendige Existenz begriffen hatte, nicht aber was über diese hinzukommt und was Gott eigentlich erst zu Gott macht. Descartes dachte sich auch dieses Plus noch immer bei dem Begriff Gott, aber dieses Plus trat nicht herein in seine Erkenntnis, es blieb außerhalb desselben als ein bloß Vorausgesetztes, nicht Begriffenes.
Vergleichung Bacons und Descartes'. Hätten wir in der geschichtlichen Entwicklung der neueren Systeme der chronologischen Ordnung folgen wollen, so hätten wir Bacon zuerst und noch vor Descartes nennen müssen; denn er ist 1560, Descartes 1596 geboren. Indes fängt mit Bacon die Entwicklung des neueren Empirismus ebenso wie mit Descartes die Entwicklung des Rationalismus an. Bacons Hauptwerke (und darauf kommt es doch eigentlich an) sind übrigens fast gleichzeitig mit Descartes' ersten Schriften (denn dieser fing noch sehr jung schon an, seine neuen Grundsätze bekanntzumachen). Man sieht nicht, daß einer dieser beiden großen Schriftsteller auf den andern Einfluß geübt hätte. Der Sache nach stehen sie also nebeneinander – es ist eine gleichzeitige Erneuerung des Empirismus, die durch Bacon, und des Rationalismus, die durch Descartes geschehen ist. Von Anfang der neueren Philosophie gehen also Rationalismus und Empirismus nebeneinander her und sind sich bis jetzt parallel geblieben. In der Geschichte des menschlichen Geistes ist es leicht, eine gewisse Gleichzeitigkeit zwischen großen Geistern wahrzunehmen, die von verschiedenen Seiten dennoch am Ende auf dasselbe Ziel hinwirken. Dies gilt auch von Bacon[47] und von Descartes. Das Gemeinschaftliche beider ist die Losreißung von der Scholastik. Bacon setzt sich nicht eigentlich dem späteren, sondern nur dem scholastischen Rationalismus entgegen. Descartes so gut als Bacon will das, was im Gegensatz der Scholastik Realphilosophie zu nennen ist – (A. Scholastik. B. Realphilosophie: a) Rationalismus. b) Empirismus). Die ersten Maximen des Descartes führen in ihrer Entwicklung notwendig dahin, daß es die Sache, der Gegenstand selbst ist, der durch seine Bewegung die Wissenschaft erzeugt, nicht die bloß subjektive Bewegung des Begriffs, wie in der Scholastik. Aber eben dies will auch Bacon. Seine Philosophie ist insofern Realphilosophie, als er nicht vom Begriff, sondern von Tatsachen, d.h. von der Sache selbst, soweit sie in der Erfahrung gegeben ist, ausgehen will. Allein wenn man es genauer untersucht, sind beide sich noch näher verwandt. Denn Bacons Induktion ist ihm, wie man aus seiner Erklärung deutlich sieht, noch nicht eigentlich die Wissenschaft selbst, sondern nur der Weg zu ihr. Er spricht sich darüber auf folgende Art aus: »Ich überlasse, sagt er, den Scholastikern den Syllogismus. Dieser setzt bereits bekannte und bewahrheitete (als wahr erkannte) Prinzipien voraus (dies ist ganz richtig; der Gebrauch des Syllogismus fängt eigentlich erst an, nachdem man schon allgemeine und rationale Prinzipien hat, und ist daher eigentlich wichtiger in den untergeordneten Wissenschaften als in der Philosophie; denn die Philosophie ist die Wissenschaft, welche diese allgemeinen Prinzipien sucht) – ich überlasse, sagt also Bacon, der Scholastik den Syllogismus, der mir zu nichts nützen kann, denn er setzt schon die Prinzipien voraus, und diese sind es, die ich suche; ich halte mich also an die Induktion – nicht an jene niedrigste Art derselben, die auf dem Wege der bloßen Aufzählung fortschreitet (wie z.B. in den früheren Argumenten, wo wir die Apostel aufzählten), diese Art von Induktion hat den Nachteil, daß das kleinste widersprechende Faktum das Resultat zerstört; sondern ich halte mich an jene Art der Induktion, welche, indem sie mit[48] Hilfe richtiger und wohlgetroffener Ausschließungen und Verneinungen die notwendigen Tatsachen von den unnützen sondert, die ersten auf eine sehr kleine Anzahl zurückbringt und so die wahre Ursache in den kleinstmöglichen Raum einschließend deren Entdeckung um so leichter macht. Von diesen so reduzierten (auf wenige zurückgebrachten) Tatsachen und immer mit dem Licht der Induktion werde ich mich Schritt vor Schritt und mit äußerster Langsamkeit zu partikularen Sätzen erheben, von diesen zu mittleren, endlich von diesen zu den principiis generalissimis et evidentissimis – nun bleibt aber Bacon hier nicht stehen, sondern, nachdem er diese gefunden, sagt er: auf diese wie auf unerschütterliche Grundlagen mich stützend, werde ich mit Kühnheit in meinen Gedanken vorschreiten, sei es um neue Beobachtung vorzuschreiben, oder die Beobachtung gänzlich zu ersetzen, wo sie nicht möglich ist (d.h. doch wohl nach den gefundenen allgemeinsten Prinzipien über diejenigen Fragen oder Gegenstände entscheiden, die durch keine Beobachtung erreichbar sind), und nachdem ich mit dem Zweifel (also wie Descartes) angefangen, werde ich mit der Gewißheit enden und eine richtige Mitte halten zwischen der dogmatischen Philosophie der Peripatetiker (d.h. der Scholastiker), die anfängt, womit sie enden sollte (den allgemeinen Prinzipien), und der wankenden Philosophie der Skeptiker, die da aufhört womit man etwa anfangen könnte« (mit dem Zweifel). Im Grunde will also Bacon so gut wie Descartes auch am Ende eine vorschreitende Philosophie; nur soll diese durch Induktion, regressiv begründet werden. (Bacon verwirft keineswegs die allgemeinen Prinzipien, wie er von seinen Nachfolgern, namentlich von Locke, David Hume und noch mehr von den Sensualisten verstanden worden. Er will vielmehr eben zu diesen durch Induktion gelangen und von ihnen aus, wie er sagt, dann erst zur Gewißheit gelangen). Bacon ist freilich über die Begründung nicht hinaus – und nicht in die Wissenschaft selbst hineingekommen. Aber dasselbe ist ja der Fall mit Descartes; denn auch er endigt eigentlich mit[49] dem, wovon anfangend erst eigentlich progressive Wissenschaft möglich gewesen wäre, mit dem Höchsten, mit Gott. Beide sind eins in ihrem Gegensatz gegen die Scholastik, in dem gemeinschaftlichen Streben nach einer reellen Philosophie. Sie trennen sich entschieden erst in bezug auf den höchsten Begriff, welchen Descartes durch ein Argument a priori, von aller Erfahrung, also auch von seinem eignen Ausgangspunkt (der unmittelbaren Tatsache Ich denke) unabhängig machen will – dadurch Urheber der apriorischen, rational-apriorischen Philosophie, während Bacon unstreitig auch noch das Höchste als ein Empirisches will.[50]
Zur Geschichte der neueren Philosophie读后感篇六
Sollte der Empirismus das allein Ausreichende in der Philosophie sein, so müßte uns der höchste Begriff, d.h. der Begriff des höchsten Wesens müßte uns zugleich mit der Existenz desselben durch die bloße Erfahrung gegeben sein. Hier bieten sich nun mehrere Möglichkeiten dar. Dürfen wir für möglich halten, daß uns der Begriff und mit ihm die Existenz des höchsten Wesens durch unmittelbare Erfahrung gegeben sei? Unmittelbare Erfahrung ist entweder äußere oder innere. Wie könnte nun aber ein Begriff, der doch immer Sache des Verstandes ist, durch äußere Erfahrung gegeben sein? Offenbar doch nur durch eine Tatsache oder Wirkung, welche unmittelbar unsern Verstand affizierte. Ein äußere Wirkung aber, die unmittelbar unsern Verstand in Anspruch nimmt, also unmittelbar auch auf diesen wirkt, kann nur Lehre, Unterricht sein. Der höchste Begriff müßte uns also durch eine von außen an uns kommende Lehre, und zwar durch eine Lehre von irrefragabler, unwiderstehlicher Autorität gegeben sein, und da eine solche unwiderstehliche Autorität nur der Lehre zuzuschreiben wäre, die von dem höchsten Wesen selbst käme (denn dieses allein ist in Ansehung seiner selbst die unwidersprechliche Autorität), so müßte uns der höchste Begriff durch eine Lehre gegeben sein, die sich in ihrer letzten Quelle auf das höchste Wesen selbst zurückführen ließe. Diese Zurückführung selbst könnte nur geschichtlich (auf historischem Wege) geschehen. Im übrigen ließe sich, wenn als höchstes Prinzip der Philosophie eine äußere Autorität angenommen wird, bloß zweierlei denken. Entweder ist eine völlig blinde Unterwerfung gemeint, oder man will, daß diese Autorität doch selbst auch wieder begründet, durch Vernunftgründe, welcher Art sie nun sein mögen, gestützt werde. Will man das[184] erste, so ist diese Annahme einer völligen Aufhebung der Philosophie gleichzuschätzen. Will man das zweite, so würde also doch (wenn nicht Zirkel) wieder eine von dieser Autorität unabhängige Philosophie erforderlich sein, sie zu begründen, und der Kreis dieser Philosophie müßte so weit und umfassend gezogen sein als nur immer der Kreis der freien und unabhängigen Philosophie.
Anstatt auf eine unmittelbare äußere Erfahrung sich zu stützen, könnte sich nun aber die Philosophie etwa auf eine unmittelbar innere Erfahrung, auf ein inneres Licht, auf ein inneres Gefühl sich berufen. Dies könnte nun wieder auf zweierlei Art geschehen. Einmal, indem man sich dieses (wahren oder angeblichen) Gefühls bloß als polemischen Mittels etwa gegen die bloß rationalistischen Systeme bediente, ohne selbst auf Wissen, nämlich auf eine aus diesem Gefühl oder aus dieser geistigen Intuition zu schöpfende Wissenschaft Anspruch zu machen. Oder diese (wahre oder angebliche) innere Erfahrung suchte sich zugleich zur Wissenschaft auszubilden, sich als Wissenschaft geltend zu machen. Wir beschränken uns nun zunächst wieder auf die erste Möglichkeit. Durch die Verzichtleistung auf Wissenschaft würde jenes Gefühl sich schon von selbst als ein bloß subjektives und individuelles erklären. Denn wäre es ein objektives und allgemein gültiges, so müßte es sich auch zu Wissenschaft gestalten können. So aber hat die Äußerung dieses Gefühls gegenüber von den rationalistischen Systemen nur den Wert einer individuellen Erklärung: »ich will dieses Resultat nicht, es ist mir zuwider, es widerstrebt meinem Gefühl.« Wir können eine solche Äußerung nicht für unerlaubt erklären, denn wir selbst räumen dem Wollen eine große Bedeutung wenigstens für die vorgängige Begriffsbestimmung der Philosophie ein. Die erste (der Philosophie selbst noch vorausgehende) Erklärung der Philosophie kann sogar nur der Ausdruck eines Wollens sein. Es muß insofern verstattet sein, nachdem eine Denkweise sich hinlänglich exponiert oder erklärt hat, zu sagen: ich mag sie nicht, ich will sie nicht, kann sie nicht mit mir vereinigen. Es ist schön, wie[185] Jacobi zu sagen: ich verlange einen persönlichen Gott, ein höchstes Wesen, zu dem ein persönliches Verhältnis möglich ist, ein ewiges Du, das meinem Ich antwortet, nicht ein Wesen, das bloß in meinem Denken ist, in meinem Denken ganz aufgeht und mit diesem völlig identisch ist – ich verlange nicht ein bloß immanentes Wesen in diesem Sinn, das außer meinem Denken nichts ist, ich verlange ein transzendentes, das auch noch außer meinem Denken etwas für mich ist – es ist löblich dies zu sagen; aber diese Äußerungen für sich allein sind schöne Worte, denen keine Taten entsprechen. Gibt es, im Widerspruch mit unserem Gefühl und unserem besseren Wollen, ein Wissen, das vielleicht sogar sich das Ansehen eines notwendigen und unausweichlichen zu geben weiß, so bleibt uns vernünftigerweise nur die Wahl, entweder in die Notwendigkeit uns zu ergeben, unserem Gefühl Stillschweigen zu gebieten, oder jenes Wissen durch wirkliche Tat zu überwinden. Jene Art von Philosophie aber, welche wir als die nächste Stufe empirischer Philosophie jetzt betrachten und als deren Repräsentant wir Fr. H. Jacobi ansehen können, diese, anstatt das Wissen, das ihr mißfällt, wirklich anzugreifen, räumt ihm vielmehr gänzlich das Feld, indem sie sich ins Nichtwissen zurückzieht, mit der Versicherung, nur im Nichtwissen sei Heil. Hieraus folgt also daß sie jenes bloß substantielle, Aktus ausschließende Wissen, das im Rationalismus herrschend ist, selbst für das einzig mögliche echte und wahre Wissen hält, indem sie ihm nicht ein anderes Wissen, sondern bloßes Nichtwissen entgegensetzt, da eigentlich dieses rationale Wissen selbst = nicht Wissen ist. Seiner eigenen Meinung, daß jenes substantielle Wissen das einzig mögliche Wissen sei, hat Jacobi kein Hehl. Unter seinen frühesten Behauptungen steht diese obenan, daß alle wissenschaftliche Philosophie unausbleiblich auf Fatalismus, d.h. auf ein bloßes Notwendigkeitssystem, hinausführe. Gegen Kant, Fichte und den, der nach ihm kam, gab sich Jacobi ein eignes Verhältnis. Nicht die Vernunftwahrheit, die Konsequenz ihrer Systeme griff er an, er gestand ihnen diese zu, jubelte aber[186] um so mehr, jetzt sei es am Tag, wohin eigentliches Wissen, Wissen aus einem Stück führe, nämlich unvermeidlich auf Spinozismus, Fatalismus usw. Jacobi gestand also selbst, daß ihm gegen jenes übermächtige Wissen, das er in den rein rationalen Systemen anerkannte, nichts übrigbleibe als die Appellation an das Gefühl, er gestand, daß er es wissenschaftlich nicht zu überwinden wisse; er bekannte, daß er auf dem Standpunkt des Wissens selbst nichts Besseres wisse und z.B. seiner wissenschaftlichen Einsicht nach selbst nur Spinozist sein würde. Kein anderer Philosoph hat dem reinen Rationalismus (womit ich, wie Sie wissen, nicht eine speziell theologische, sondern eine philosophische Denkart bezeichne) so viel eingeräumt als Jacobi. Er streckte vor ihm recht eigentlich die Waffen. Es wird daher wohl jedem einleuchten, daß ich Jacobi mit Recht an die Stelle des Übergangs vom Rationalismus zum Empirismus stelle. Mit seinem Verstand gehörte er ganz und ungeteilt dem Rationalismus an, mit dem Gefühl strebte er, aber vergebens, über ihn hinaus. Insofern ist vielleicht Jacobi die lehrreichste Persönlichkeit in der ganzen Geschichte der neueren Philosophie, womit ich jedoch nicht sagen will, daß er eine solche für jeden sei – auch etwa für den Anfänger, denn diesen können seine Schriften, so vielen Wert sie für den Kenner haben, eben wegen der zweideutigen Stellung des Verfassers, fast nur verwirren, und werden ihn unmerklich an eine gewisse Erschlaffung des Geistes gegenüber von den höchsten Aufgaben des menschlichen Verstandes gewöhnen, eine Erschlaffung, die durch ekstatische Gefühlsäußerungen nicht gutgemacht wird. Indes kann ich Jacobi gewiß nicht mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen, als indem ich ihm zugestehe, daß er von allen neueren Philosophen am lebhaftesten das Bedürfnis einer geschichtlichen Philosophie (in unserem Sinn) empfunden hat. Es war in ihm von Jugend auf etwas, das sich gegen ein alles auf bloße Vernunftverhältnisse reduzierendes, Freiheit und Persönlichkeit ausschließendes System gleichsam empörte. Zeugnis des geben einige seiner früheren Schriften, z.B. sein Brief[187] über Theismus an Schlosser, worin er die Leere des absolut ungeschichtlichen Theismus, der sogenannten reinen Vernunftreligion noch vollkommen einsah. Auf diesem Wege fortgehend hätte er vor allem zum Begriff einer geschichtlichen Philosophie gelangen müssen. Er hatte den wahren Charakter aller neueren Systeme erkannt, daß sie uns nämlich statt dessen, was wir eigentlich zu wissen verlangen, und, wenn wir aufrichtig sein wollen, allein zu wissen der Mühe wert halten können, nur einen leidigen Ersatz bieten, ein Wissen, in welchem das Denken nie über sich selbst hinauskommt und nur innerhalb seiner selbst fortgeht, während wir eigentlich über das Denken hinaus verlangen, um durch das, was höher ist als das Denken, von der Qual desselben erlöst zu werden. So der frühere Jacobi. In seinen frühesten Schriften hatte er sogar den Ausdruck »geschichtliche Philosophie« gebraucht; der Zusammenhang zeigte zwar, daß er damit nicht eine innerlich geschichtliche, sondern vielmehr eine solche verstand, welche Offenbarung und Geschichte zur äußeren Grundlage habe. Insofern konnte seine Philosophie scheinen, zu der ersten Art empirischer Philosophie zu gehören. Damals schien er mit den eigentlichen Offenbarungsgläubigen, den sogenannten Superrationalisten oder Supernaturalisten in völliger Übereinstimmung, z.B. mit Lavater Schlosser. Dies brachte ihn für eine Weile in einen sehr schlimmen Ruf bei der Zeit, welche damals auf das Ziel einer allgemeinen, nämlich bloß subjektiven Vernünftigkeit, worin allein die sogenannte Aufklärung bestand mächtig hinstrebte, und gegen welche er die Ansprüche des Gemüts und einer poetischen Natur geltend zu machen suchte. Dem damals erworbenen schlimmen Ruf hat er es wohl zu danken, wenn auch heutzutage noch übrigens ernst und christlich gesinnte Schriftsteller ihn gleichsam unter den Zeugen der Wahrheit anführen. Von diesem schlimmen Ruf strebte er jedoch in der Folge, sich immer mehr zu reinigen und die Welt über seinen vermeinten Super-Rationalismus vollkommen zu beruhigen, obgleich noch einer seiner letzten Anhänger nötig fand, sich seiner in dieser[188] Hinsicht anzunehmen und nach Jacobis Tode noch zu erklären, wie bitteres Unrecht dem Mann geschehen, wenn man ihn für einen Offenbarungsgläubigen im gemeinen Sinn genommen, sein Glaube sei (dies könne er versichern) ein reiner Vernunftglaube. Es bedurfte dessen nicht, indem er zumal gegen das Ende seines Lebens zur wahren Betrübnis nicht bloß der Besseren unter seinen Verehrern, sondern selbst derer, die er angegriffen und verfolgt hatte, die aber darum nicht aufhörten, mit freiem und unabhängigem Gemüt in ihm einen der besseren Geister zu erkennen – späterhin warf er sich, sage ich, dem leersten Rationalismus in die Arme, nicht jenem, der in der Philosophie eine so hohe Ausbildung erlangt hatte und der sich rühmte, daß in ihm die Vernunft selbst sich erkenne, sondern jenem dürftigen, bloß subjektiven Rationalismus, der eigentlich den Hauptinhalt dessen ausmacht, was insgemein Aufklärung genannt worden, durch den er aus der Gesellschaft von Spinoza, Leibniz und anderen großen Geistern einer früheren Zeit zuletzt auf gleiche Linie und in die Gesellschaft der tiefsten philosophischen Mittelmäßigkeit herabsank. Seine Äußerungen über Christus und Christentum in seinen späteren Schriften sind völlig übereinstimmend mit den Ansichten des tollsten theologischen Rationalismus.
Durch diesen Ausgang seiner Philosophie wurde Jacobi sehr unähnlich zweien Männern, die auf seine Bildung großen Einfluß gehabt hatten und die ich für Unrecht halten würde, in dieser geschichtlichen Entwicklung zu übergehen.
Der eine dieser Männer ist Pascal.
Wer noch im Suchen begriffen ist, wer ein Maß verlangt für den Punkt von Verständlichkeit und Begreiflichkeit, bis zu dem eine wahrhaft geschichtliche Philosophie gelangen muß, der lese Pascals Pensées. Wer nicht durch die Widernatürlichkeit irgendeiner anderen Philosophie etwa allen Sinn für das Natürliche und Gesunde bereits unwiederbringlich verloren hat, den wird bei einem aufmerksamen Lesen von Pascals Gedanken die Idee eines[189] geschichtlichen Systems, im Großen wenigstens, anwandeln.
Der andere dieser Männer ist Johann Georg Hamann, dessen jetzt gesammelte, früher wie sybillinische Blätter zerstreute und nicht leicht zu habende Schriften ohne alle Frage die wichtigste Bereicherung sind, welche die Literatur in der letzten Zeit erhalten, ich sage dies nicht etwa in der Absicht, Ihnen diese Schriften unmittelbar zu empfehlen; es gehört mannigfaltige Gelehrsamkeit dazu, ihre zahlreichen Anspielungen zu verstehen, tiefere Erfahrung, sie in ihrer ganzen Bedeutung zu erfassen; sie sind keine Lektüre für Jünglinge, aber für Männer, Schriften, die der Mann nie aus der Hand legen, die er fortwährend als Prüfstein seines eigenen Verständnisses betrachten sollte -Hamann, von dem Jacobi urteilte, er sei ein wahres pan von Gereimtheit und Ungereimtheit, Licht und Finsternis, Spiritualismus und Materialismus.
Hamann hatte kein System und stellte auch keines auf; aber wer eines Ganzen sich bewußt wäre, das alle die verschiedenartigen und disparaten Aussprüche, die gereimten und die scheinbar ungereimten, die höchst freien und auf der andern Seite wieder kraß orthodoxon Äußerungen Hamanns in einen Verstand zusammenfaßte, der dürfte, soweit ein Mensch überhaupt sich vorstellen darf, etwas zu verstehen, sich selbst sagen, daß er zu einiger Einsicht gelangt sei. Die Philosophie ist wirklich eine tiefe Wissenschaft, ein Werk großer Erfahrung, Menschen ohne geistige Erfahrung, bloße Mechaniker können hier nicht richten, wenn es ihnen gleich frei steht, in einem Urteil über Hamann ihre Natur zur Schau zu stellen, und da sie in den Kern seiner Denkart nicht einzudringen vermögen, sich an seine persönlichen Fehler und Schwächen zu halten, ohne welche übrigens der Mann schwerlich dieser Mann gewesen sein würde, und die mit den Tugenden und Vortrefflichkeiten seines Geistes so zusammenhängen, daß sie sich nicht davon trennen lassen. Jacobi wirft seinem Freunde Hamann Ungereimtheiten vor. An manchen Äußerungen desselben würde er freilich um keinen Preis teilgenommen[190] haben. Es ist leicht gesagt, daß alles mit bloßer Vernunft zusammenhange, aber es ist die blindeste Voraussetzung, die gewisse Systeme freilich machen müssen. Wenn es nun aber anderes wäre! und es ist anders; dies läßt sich freilich nicht a priori einsehen; denn das, was ist, ist überhaupt nur a posteriori einzusehen; a priori nur, was nicht anders sein kann.
Es hängt eben nicht alles so plan und einfach, als man sich vorstellt, sondern gar wunderlich und insofern, wenn man will, ungereimt zusammen. Gott heißt im A. T. selbst ein wunderlicher Gott, d.h., über den man sich wundern muß, und Hamann mit ganz eigentümlichem Witz versteht in diesem Sinn die bekannten Worte, die Simonides zum Tyrannen von Syrakus sagte: Je länger ich über Gott nachdenke, desto weniger begreife ich ihn (er versteht diese Worte nicht anders, als man sie auch von einem wunderlichen oder gar paradoxen Menschen verstehen würde). Muß man dasselbe doch zuweilen von einem originalen Menschen eingestehen, und ist doch selbst ein gewöhnlicher Mensch mehr, als a priori begriffen werden kann.
Wir kehren nun wieder zu Jacobi zurück. Haben wir bisher in Jacobi zwei Perioden unterschieden, eine, wo seine Philosophie eine supernaturalistische zu sein scheinen konnte, eine andere, wo er sich gegen Supernaturalismus, gegen Abhängigkeit von Offenbarung (vom Geschichtlichen) erklärte und bei einem bloß subjektiven Gefühl stehenblieb und sich mit demselben leeren Theismus begnügte, den er vorher angegriffen hatte, so suchte er in der späteren Zeit nicht bloß seinen Frieden mit dem gemeinen subjektiven Rationalismus zu schließen, auch dem objektiven, wissenschaftlichen suchte er sich zu nähern durch eine ihm eigentümliche Erfindung, welche nämlich darin bestand, an die Stelle des anfänglich gebrauchten Worts Gefühl das Wort Vernunft zu setzen und dieser ein unmittelbares gleichsam blindes Wissen von Gott zuzuschreiben, ja sie für ein unmittelbares Organ für Gott und göttliche Dinge auszugeben. Dies war noch das schlimmste Geschenk, das Jacobi der Philosophie machte,[191] indem dieses bequeme unmittelbare Wissen, wodurch man wie mit einem Wort über alle Schwierigkeiten hinweggehoben ist, von vielen unfähigen Köpfen ergriffen wurde, die bei höheren und niederen Schulen, zu denen sie durch Jacobis Einfluß befördert wurden, zumal bei uns der echt wissenschaftlichen Bildung der Jugend ungemein vielen Schaden getan hat. Man konnte in dieser der Vernunft gegebenen Bestimmung fast nur einen Mißverstand der gleichzeitigen Philosophie oder einen Versuch erkennen, sich durch diese Anbequemung sicher gegen sie zu stellen. Das Ungereimte dabei war, daß dieser Gott eines unmittelbaren Vernunftwissens nicht etwa die allgemeine Substanz, sondern wirklich der persönliche Gott mit all der Fülle von geistigen und moralischen Eigenschaften sein sollte, mit der ihn der allgemeine Glaube zu denken gewohnt ist. Ein unmittelbares Verhältnis zu einem persönlichen Wesen kann aber auch nur ein persönliches sein, ich muß mit ihm umgehen, in einem wahrhaft empirischen Bezug mit ihm stehen, ein solches empirisches Verhältnis ist ja aber von der Vernunft ebenso ausgeschlossen, wie alles Persönliche von ihr ausgeschlossen ist; sie soll gerade das Unpersönliche sein. Was die Vernunft unmittelbar erkennt, muß ebenso frei wie sie selbst von allen empirischen und daher auch von allen persönlichen Bestimmungen sein. Wenn Gott unmittelbar mit der Vernunft schon gesetzt und gewußt ist, so braucht es dann allerdings keines vermittelnden Wissens, d.h. keiner Wissenschaft, weder um zu dem Begriff Gottes zu gelangen noch um sich von seinem Dasein zu überzeugen. Unstreitig war es gerade wegen dieser Ausschließung jedes persönlichen Verhältnisses von der Vernunft, warum Jacobi in seinen früheren Schriften und seiner besseren Zeit die alles Empirische ausschließende Vernunft überall unter den Verstand herabgesetzt hatte. Wie ganz er von seinem ersten Wollen und anfänglichen Ziel abgekommen, beweist der Umstand, daß er in der Gesamtausgabe seiner Werke, die er gegen Ende seines Lebens veranstaltete, an allen den Stellen, wo er früher die Vernunft genannt und ihren negativen[192] Charakter angedeutet hatte, seine Leser benachrichtige, statt Vernunft müsse Verstand und statt Verstand Vernunft gelesen werden – gleichsam um damit alle Spuren seines früheren besseren Strebens zu vertilgen. Denn daß dem Verstand, wie er früher anerkannt hatte, in der Philosophie die erste Stelle gebühre, der Vernunft die zweite, dies erhellt ja eben aus der Forderung, daß ihr alles begreiflich gemacht werden soll, woraus von selbst folgt, daß sie nicht das ursprünglich Begreifende ist, es vieles gibt, das sie nicht ursprünglich begreift. Wenn man das, was ihr alles über ihren eignen unmittelbaren Inhalt Hinausgehende begreiflich macht, wenn man dies nicht Verstand nennen will, wie will man es dann nennen? Gott wird gerade nur mit dem Verstand erkannt, und zwar der höchste, gebildetste ans Ziel des Denkens gekommene Verstand erkennt erst Gott. Die Vernunft erkennt nur das Unmittelbare, das nicht sein Könnende, sie ist wie das Weib im Hause auf die Substanz, die ousia angewiesen, an dieser muß sie festhalten, damit Wohlstand und Ordnung im Hause bleibe, sie ist eben das Zusammenhaltende, Begrenzende, während der Verstand das Erweiternde, Fortschreitende, Tätige ist. Die Vernunft ist das Unbewegliche, der Grund, auf den alles erbaut werden muß, aber eben darum nicht selbst das Erbauende. Unmittelbar bezieht sie sich nur auf die reine Substanz, diese ist ihr das unmittelbar Gewisse, und alles, was sie außerdem begreifen soll, muß ihr erst durch den Verstand vermittelt werden. Die Funktion der Vernunft ist es aber gerade am Negativen festzuhalten, wodurch eben der Verstand genötigt ist, das Positive zu suchen, dem allein jener sich unterwirft. Die Vernunft ist so wenig das unmittelbare Organ für das Positive, daß vielmehr erst an ihrem Widerspruch der Verstand zum Begriff des Positiven sich steigert.
Jacobis früheres Verhältnis oder Benehmen gegen die Vernunft war, daß er zuwenig ihr zugestand, daß er zum Göttlichen, Positiven unmittelbar, d.h. mit Ausschließung des Negativen und ohne Überwindung desselben, gelangen[193] wollte. Das Verhältnis, in dem er sich später gefiel, war aber das allerverkehrteste, nämlich jenes unmittelbare Wissen, das er früher mit Ausschließung der Vernunft zu behaupten gesucht hatte, nur vielmehr der Vernunft selbst zuzuschreiben.
Wäre das unmittelbare Wissen der Vernunft ein Wissen Gottes, so könnte Gott auch nur das unmittelbar Seiende, d.h., er könnte nur Substanz sein, wogegen Jacobi sonst eifrig ankämpft, indem er einen persönlichen empirischen Gott will. Das unmittelbare Wissen Gottes könnte nur ein blindes, d.h. ein nichtwissendes Wissen sein; da könnte denn aber Gott auch nur das nicht seiend Seiende, to mê ontôs on sein, denn das seiend Seiende, das ontôs on, könnte auch nur positiv, ausdrücklich, wissender Weise gewußt werden. Ganz so, als wäre Gott nur das nicht seiend Seiende (das Negative), lautet der bekannte Jacobische Ausspruch: Ein Gott, der gewußt werden könnte, wäre gar kein Gott, d.h. (so müßte man eigentlich den Satz verstehen), Gott ist etwas so Negatives, daß er aufhörte, Gott zu sein, wenn er gewußt, wenn er ins Licht des Wissens hervorgezogen werden könnte. Der Jacobische Satz lautet ganz gleich dem: die Finsternis, die gesehen würde, wäre nicht mehr Finsternis (schon die Alten sagten, sie sei das weder mit Licht noch ohne Licht zu Sehende). Diesen Sinn kann man nun freilich Jacobi nicht zuschreiben. Denn teils war er überhaupt ein mäßiger Mann, der am Ende doch nichts Extremes behaupten wollte, teils widerspricht dies seinem anderweitigen Wollen, da er doch übrigens einen persönlichen, einen menschlichen Gott wollte, zu dem auch ein persönliches oder menschliches Verhältnis möglich wäre. Was er seiner ursprünglichen Denkart oder Gesinnung nach sagen wollte, war vielmehr, richtig ausgedrückt, dieses: der Gott, der auf die Art gewußt würde oder gewußt werden könnte, wie etwas in der Mathematik gewußt wird, nämlich in einem eigentlich nicht wissenden Wissen, ein solcher Gott wäre gar kein Gott. Wenn nun aber dies seine wahre Meinung ist, so folgt eben daraus, daß Gott nicht unmittelbar[194] gewußt werden könne, denn das unmittelbare Wissen kann nur das blinde sein, das nicht wissende = das nicht durch Bewegung weiß (denn in jeder Bewegung ist Vermittlung), sondern nur weiß, indem es sich nicht bewegt. Wie schwankend – ein wahres Rohr, das vom Wind hin und her bewegt wird – Jacobi war, sieht man nun eben aus diesem (nach der letzten Auslegung) ganz richtigen Satz (Ein Gott etc.) und der nachher aufgestellten Behauptung von einem unmittelbaren Vernunftwissen Gottes.
Indem Jacobi später, um seinen Frieden mit dem Rationalismus zu machen, dem Gefühl die Vernunft substituierte, verlor seine Philosophie auch noch die Wahrheit, die sie zuvor hatte. Gefühl drückt ein persönliches Verhältnis aus. Nun sollte aber der unpersönlichen Vernunft ein unmittelbares Verhältnis zu dem persönlichen Gott zugeschrieben werden, was völlig undenkbar ist. Jacobi hatte die bestimmteste Einsicht, daß die rationalen Systeme in letzter Instanz nichts eigentlich erklären (sowenig die Geometrie eigentlich etwas erklärt oder sagt: es Ist so). Jacobi gehört die geistreiche Vergleichung aller Vernunftsysteme mit dem Nürnberger Grillenspiel, das uns nur so lange nicht anekelt, bis wir alle seine Wendungen kennengelernt haben. Dennoch – durch ein eignes Mißgeschick – sah er keine andere Möglichkeit des Wissens außer jenem Negativen. Das einzige Wissen, das ihm gegen dieses substantielle Wissen blieb, war, die Augen vor ihm zu verschließen, nichts von ihm wissen zu wollen. Damit beraubte er sich denn allerdings jedes Mittels, zur höheren Wissenschaft zu gelangen. Jede Philosophie, die nicht im Negativen ihre Grundlage behält, und ohne dasselbe, also unmittelbar das Positive, das Göttliche erreichen will, stirbt zuletzt an unvermeidlicher geistiger Auszehrung. Eine solche wissenschaftliche Hektik ist der wahre Charakter der Jacobischen Philosophie. Denn selbst das, was er auf seinem Wege von Gott oder göttlichen Dingen erreicht, reduziert sich auf so wenig, ist gegen die Fülle und den Reichtum echt religiöser Erkenntnis so dürftig und so arm, daß man das Los des menschlichen[195] Geistes beklagen müßte, wenn er nicht mehr einzusehen vermöchte. Das Ende der Jacobischen Philosophie ist die Erklärung, daß sie nicht nur über Gott und göttliche Dinge, sondern auch über das Ungöttliche, dem Göttlichen Entgegenstehende nichts eigentlich, nämlich wissenschaftlich wisse.
Jacobi zeichnete sich früh durch ein hohes Streben nach dem Geistigen, wir können sagen, nach dem Übersinnlichen aus, nur fehlte seiner Natur das notwendige Gegengewicht. Denn das Geistige kann wahrhaft nur im Verhältnis zum Ungeistigen und durch Überwindung desselben gewonnen werden. Alles Exklusive, gesetzt selbst, es ziehe die bessere Seite vor, ist in der Philosophie vom Argen. Jacobi hatte von seiner philosophischen Betrachtung gleich anfangs die Natur ausgeschlossen, worin er namentlich von Kant sehr verschieden war, der durch alle seine Schriften eine große Liebe zur Natur und eine reiche Kenntnis derselben zeigte, während Jacobi stets wie von einem panischen Schrecken vor der Natur ergriffen schien, und soweit er Kenntnis von ihr nahm, durchaus nur die Seite der Unfreiheit, der Ungöttlichkeit und Ungeistigkeit an ihr bemerkte, wozu vielleicht ein zufälliger Umstand beitrug, daß er nämlich in der Physik und Philosophie einen übrigens vorzüglichen Mann zum Lehrer hatte, den Professor Le Sage in Genf, der entschiedener Cartesianer war und noch nach der Mitte des 18. Jahrhunderts ein dem System der Descartesschen Wirbel ähnliches atomistisch-mechanisches Gravitationssystem ausdachte. Vielleicht schrieb sich von diesem Lehrer Jacobis Idiosynkrasie her, die Materie, wie er mir öfters sagte, als lebendig nicht einmal denken zu können, während Goethe z.B. einmal äußerte, er wisse nicht, wie er es anfangen sollte, die Materie als nicht lebendig zu denken. Diese Eigentümlichkeit blieb Jacobi auch in späteren Jahren; weder Kants metaphysische Anfangsgründe der Naturlehre noch eben desselben Kritik der Urteilskraft – Kants tiefstes Werk, das, wenn er damit hätte anfangen können, wie er damit endete, wahrscheinlich seiner ganzen Philosophie eine andere[196] Richtung gegeben hätte, änderte etwas daran. Als Jacobi vollends die Natur als wesentliches Element in die Natur aufgenommen sah, da blieb ihm keine andere Waffe übrig, als dieses System Phantheismus im gemeinsten und gröbsten Sinn zu schelten und auf jede Weise es zu verfolgen. Die Philosophie darf sich aber nicht bloß mit dem Höchsten abgeben, sie muß, um wirklich alles befassende Wissenschaft zu sein, das Höchste mit dem Tiefsten wirklich verknüpfen. Wer die Natur als das schlechthin Ungeistige zum voraus wegwirft, beraubt sich dadurch selbst des Stoffes, in und aus welchem er das Geistige entwickeln könnte. Die Kraft des Adlers im Flug bewährt sich nicht dadurch, daß er keinen Zug, nach der Tiefe empfindet, sondern dadurch, daß er ihn überwindet, ja ihn selbst zum Mittel seiner Erhebung macht. Der Baum, der seine Wurzeln tief in die Erde schlägt, kann wohl noch hoffen, den blüteschweren Wipfel zum Himmel zu treiben, aber die Gedanken, welche sich gleich von vornherein von der Natur trennen, sind wie wurzellose Pflanzen oder höchstens jenen zarten Fäden zu vergleichen, die zur Zeit des Spätsommers in der Luft schwimmen, gleich unfähig den Himmel zu erreichen und durch ihr eignes Gewicht die Erde zu berühren. Ein solcher Alter-Jungfern-Sommer von Ideen findet sich auch vorzüglich nun in Jacobis übrigens geistreich und zierlich ausgedrückten Gedanken.
Das Ende der Jacobischen Philosophie ist also das allgemeine Nichtwissen. Wenn Jacobi behauptet, daß die Philosophie gerade das, was von ihr am eifrigsten begehrt wird, nämlich Aufschluß Über das jenseits der Grenzen der gemeinen Erfahrung Liegende, nicht gewähren könne, so ist er hierin mit dem Rationalismus völlig einverstanden und übereinstimmend, nur darin verschieden, daß er wegen alles dessen, was eigentlich der höchste Preis der Philosophie sein sollte, an die Nicht-Philosophie, an das Nichtwissen verweist – an das Gefühl, an eine gewisse Ahndung oder auch wohl, besonders in seinen früheren Schriften, an den Glauben, dem er nachher (weil[197] für eine ganz rationalistische Zeit der Glaube etwas Anstößiges hatte) unmittelbares Vernunftwissen substituierte, das indes ebensowenig als das Gefühl sich zu Wissenschaft sollte gestalten können (Widerspruch). Diese Auskunft, wegen alles wahrhaft und im eigentlichen Sinn Positiven den Menschen an den Glauben zu verweisen, war übrigens nicht eine der Jacobischen Philosophie eigentümliche, sie war von jeher gebräuchlich: denn von jeher mußte die Inhaltslosigkeit der gewöhnlichen Philosophie gegen den reichen Inhalt der Offenbarung auffallen. Da es sich hier um das Verhältnis von Wissen und Glauben handelt, so will ich mich hierüber erklären. Man muß folgende Unterschiede machen. 1. Diejenigen, die gegen die Philosophie gleichgültig sind oder deren Interesse es sogar ist, daß sie als mangelhaft erscheine, führen eben das an, daß der Glaube, worunter sie aber den historischen, christlichen verstehen, enthalte, was die Philosophie nicht enthalte und nicht zu enthalten fähig sei. Dabei bleiben also Wissen und Glaube oder Philosophie und Glaube außereinander, wie zwei getrennte Gebiete, und man begreift diesen Gegensatz ganz wohl und sieht sogar ein, wie er seit der Emanzipation der Philosophie durch Descartes entstehen mußte. Denn von da an ließ die Philosophie den Inhalt der positiven Religion außer sich stehen. (Descartes protestiert in allen seinen Werken, daß er nichts den Lehren der Kirche entgegen behaupten wolle; dagegen geht er darauf aus, sich den Stoff seiner Philosophie ganz auf eigne Faust zu verschaffen. Da nun aber die Philosophie – schon von der Scholastik her gewohnt, den positiven Inhalt nur vorauszusetzen – jetzt ganz unabhängig von ihm sich machte, so mußte sie natürlich ins Negative geraten.) Weniger begreiflich ist es nun aber 2, wenn dieser Unterschied zwischen Glauben und Wissen in das Wissen, in die Philosophie selbst verlegt wird, so daß sowohl das Wissen als der Glaube – beide philosophisch sein sollen, also ein philosophisches Wissen auf der einen und ein philosophischer Glaube auf der andern Seite behauptet wird. Immer kann dies aber noch auf[198] zweierlei Art geschehen, entweder so, daß Glaube und Wissen dabei als einig (wenigstens nicht als sich widerstreitend), oder daß sie als einander entgegengesetzt gedacht werden. Das letzte ist der Fall bei Jacobi, der dem Wissen zuschreibt, daß es unvermeidlich auf Fatalismus und Atheismus führe, dem Glauben aber, daß er allein zu einem Gott führe, der Vorsehung, Freiheit und Wille sei. Wenn nun aber, bei solcher Entgegensetzung, der Glaube und das Wissen, beide in der Philosophie, also philosophisch sein sollen (und gewiß, Jacobi machte seiner Lehre vom Nichtwissen ungeachtet sehr bestimmten Anspruch, doch auch eine philosophische Lehre aufgestellt zu haben), so mußte sowohl der Glaube als das Wissen philosophisch erklärt werden. Ein System aber, das ein philosophisches Wissen und einen diesem total entgegengesetzten, doch ebenfalls philosophischen Glauben behauptete, müßte, um auch nur formell bestehen zu können, das System eines philosophischen, d.h. philosophisch begriffenen, Dualismus sein. Man könnte sich ein solches System etwa auf folgende Art denken. Auf der einen Seite wäre das rationale oder bloß substantielle Wissen als vollendet gedacht, so nämlich, daß nun die Vernunft sich in der Tat als alles Sein erkennte – nämlich als alles endliche Sein (denn wenn sie sich unbedingt als alles Sein erkennte, so müßte sie sich auch als Gott erkennen, und Gott wäre nichts als die Vernunft). Als alles endliche Sein, oder um bestimmter zu sprechen, als Prinzip alles endlichen Seins würde das Wissen eben dann sich erkennen wenn es sich in seiner reinen Subjektivität erkannt hätte, welche Subjektivität (als in ihrer Art unendlich) dann von selbst das Verhältnis zu einer ebenso unendlichen Objektivität in sich schlösse. Der bis dahin von der Vernunft zurückgelegte Weg, der sie zur Erkenntnis ihrer selbst als der allgemeinen Substanz geführt hätte, wäre eben der Weg des vollendeten Wissens, das Wissen würde aber eben in diesem Ziel, in dieser Vollendung auch sich als bloße Sub-stanz erkennen, und so notwendig das, dem es Substanz oder unterworfen ist oder gegen das es sich als[199] das bloß nicht Seiende verhält, von sich unterscheiden und es bestimmen als das nicht bloß substantiell oder subjektiv Seiende, sondern als das in reiner unendlicher Objektivität – in unendlicher Freiheit von aller Subjektivität – seiende. In diesem letzten Akt würde es sich daher vielmehr als das – nicht alles, nämlich nicht auch das wahrhaft Objektive seiende erkennen, und in dieser Vernichtung seiner selbst als des alles seienden eben jenes unendlich positiv- oder objektiv-Seiende – in Gott setzen. Dieser letzte Akt des Gottsetzens würde eben darauf beruhen, daß es aus seiner früheren Selbst-Objektivität (Selbst-Objektsein) in die völlige Subjektivität zurückgetreten wäre; dieser Akt wäre notwendig selbst ein subjektiver Akt, vergleichbar etwa dem Akt der Andacht, die eben auf einer solchen Selbstvernichtung gegenüber von einem Höheren beruht, gegen das wir uns in das Verhältnis des völligen Subjekt-, d.h. nicht-selbst-Seins, setzen. Dieser rein subjektive Akt könnte dann wohl auch dem Wissen gegenüber als ein Akt des Glaubens oder selbst als Glauben bezeichnet werden – und zwar aus folgendem Grund. Das Wissen versichert sich des überschwenglich Seienden durch seine Selbstvernichtung; aber es sieht das überschwenglich Seiende nicht, solang noch ein Rest von Objektivität in ihm ist, solang es sich nicht vernichtet hat, es vernichtet sich also nur im Glauben, daß ihm durch diese Selbstvernichtung – gleichsam als Preis seiner aufgegebenen Selbstheit – das Überschwengliche werde. Gleichwohl, da es sich nur als selbst Objektives, nicht auch als Subjektives vernichtet, und da es vielmehr erst in der Subjektivität vollendetes Wissen ist (vorher, solang es noch objektiv sein wollte, war es das Produzierende der Natur), so bliebe es gerade als Wissen stehen, und das letzte, gleichzeitige Resultat wäre – das vollendete und das im Glauben sich selbst vernichtende, aber eben damit das wahrhaft Positive und Göttliche setzende Wissen. Auf diese Art also wäre innerhalb der Philosophie selbst ein Übergang von Wissen zu Glauben. Jacobi war indes weit entfernt von einer solchen Erklärung. Das[200] Ende seiner Philosophie ist eine reine Dissonanz, die durch nichts, durch keine höhere Idee aufgelöst ist.
Ohnedies würde eine Erklärung wie die eben angedeutete nur in einem System denkbar sein, das auch die Antwort auf folgende notwendig sich aufdringende Fragen enthalten müßte. Wenn das, was in seiner Innerlichkeit das reine Wissen – insofern das nicht Seiende ist (denn das Wissende ist gegen das Seiende notwendig das nicht selbst Seiende) – wenn also dieses, was in seiner Innerlichkeit das reine Wissen und das nicht Seiende ist, in seinem Außersichsein das Erzeugnis des objektiven Seins ist, woher kommt diesem Prinzip die Macht, sich objektiv, als seiend zu setzen, da es doch das nicht seiende – nicht nur sein soll, sondern auch ursprünglich gewiß ist? Woher seine Ex-sistenz, d.h. sein außer Sich, außer dem Ort Sein, wo es eigentlich sein sollte, nämlich außer dem Innern? Wenn es in dieser Äußerlichkeit das Welt erzeugende Prinzip ist, wie ist es äußerlich geworden? Denn äußerlich geworden muß es sein. Weil es nicht äußerlich sein soll, wie das Ende zeigt, so konnte es auch nicht ursprünglich äußerlich sein. Und wenn es denn ursprünglich innerlich ist oder war, wie war es als innerlich gesetzt? Denn dies muß ja doch auch erklärt werden. Kurz, jene Erklärung wäre selbst nur in einem System möglich, das schon ein geschichtliches wäre oder dem geschichtlichen sich annäherte. Ein solches aber hat Jacobi ein für allemal für unmöglich erklärt; denn was das Wissen betrifft, stimmte er ganz dem Rationalismus bei. Wenn man ihm also ein System zuschreiben will, so kann man seine Philosophie nur als eine absolut dualistische ansehen, aber man muß hinzusetzen: sie ist ein völlig unaufgelöster, aber eben darum selbst nicht erklärter Dualismus. Auf der einen Seite ist Freiheit, auf der anderen Notwendigkeit, aber wie – wenn Freiheit ist – dann auch Notwendigkeit, oder wenn Notwendigkeit, dann auch Freiheit besteht, und wie beide zusammenhangen, darüber ist nach ihm nicht nur nichts zu wissen, sondern sogar nichts zu denken. Jacobi erklärte jenen Gegensatz als einen so unversöhnlichen,[201] daß eine Vereinigung selbst nicht denkbar sei.
Die billigste Ansicht, die man nach dem allem von Jacobi noch fassen könnte, wäre die, ihn als auf der Grenze zweier Zeiten stehend zu betrachten, der einen, die vor ihm als eine öde, unerquickliche Wüste lag und die er als eine solche wohl empfand, der anderen, in die er nur als in ein gelobtes Land aus weiter Ferne hineinsah; doch ist zwischen ihm und dem israelitischen Gesetzgeber, der sein Volk durch die Wüste führte, der große Unterschied, daß Mose zwar selbst nicht in das Gelobte Land kommen sollte, aber doch, daß sein Volk hineinkommen und in ihm einst wohnen werde, mit Gewißheit und höchster Zuversicht voraussah, Jacobi aber nicht nur selbst nicht hineinkam, sondern auch behauptete, es sei unmöglich, daß je ein anderer hineinkomme. Darnach müssen wir ihn als einen lebendigen Widerspruch gegen eine frühere Zeit und als unfreiwilligen Propheten einer besseren ehren und anerkennen, als einen unfreiwilligen, weil er diese Zeit, die nach seiner Meinung nie kommen konnte, auch nicht voraussagen wollte, als einen Propheten aber, weil er sie gegen seinen Willen voraussagte, wie der Seher Bileam, der gekommen war, Israel zu fluchen, und es segnen mußte.
Es gibt ein solches Wissen, das Jacobi nicht erkennen wollte und das, indes es von einer Seite ein rationalistisches ist, von der andern den Glauben auch materiell, seinen Gegenständen nach in sich schließt – ein Wissen, das Freiheit und Vorsehung als Ursache der Welt, das Freiheit des menschlichen Willens, individuelle Fortdauer nach dem Tode, und was der Glaube sonst verlangt, wirklich begreift – das jedoch den Glauben nicht bloß in diesem Sinn nicht ausschließt, sondern das ihn, auch formell, wesentlich in sich selbst hat.
Ich will hier nur vor allem an den allgemeinen und beständigen Sprachgebrauch erinnern, nach welchem Glauben dem Wissen nicht schlechthin und in jedem Sinn, sondern nur dem unmittelbaren Wissen, dem Schauen, entgegengesetzt[202] wird, wie schon aus dem einzigen Spruch erhellen würde: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Dem mittelbaren, dem nur durch Vermittlung möglichen Wissen ist also der Glaube durchaus nicht entgegen, sondern wesentlich mit diesem verbunden, so daß, wo mittelbares Wissen ist, notwendig auch Glauben ist und Glauben eben vorzüglich im mittelbaren Wissen sich zeigt und berührt. Glauben heißt im gemeinen Leben, dasjenige mit Zuversicht für möglich halten, was unmittelbar unmöglich, was nur vermöge einer Folge und Verkettung von Umständen und Handlungen, kurz, was nur durch mehr oder weniger zahlreiche Vermittlungen möglich ist. Insofern, kann man sagen, geschieht alles im Glauben. Der Künstler, der den Marmor vor sich hat, aus dem ein Kunstwerk hervorgehen soll, sieht dieses Kunstwerk nicht; hätte er jedoch nicht den Glauben, d.h. die Zuversicht, daß das, was er jetzt nicht sieht, durch seine Bemühung, durch eine Folge von Handlungen, die er mit dem Marmor vornimmt, sichtbar werden könne, so würde er nie die Hand anlegen. Glaube setzt immer ein Ziel voraus und ist wesentlich bei jedem Tun, das etwas Bestimmtes erreichen will. Kolumbus glaubte an die Existenz eines zu seiner Zeit unbekannten Weltteils und steuerte mutig nach Westen. Könnten wir sagen: Kolumbus habe an diesen Weltteil geglaubt, wenn er die spanische Küste nie verlassen hätte? Glaube ist daher nicht, wo nicht zugleich Wollen und Tun ist; glauben und dabei sich nicht bewegen, ist Widerspruch, wie es Widerspruch ist, wenn man vorgibt, an das Ziel zu glauben, und sich nicht regt, es zu erreichen. Es war also ein Widerspruch, wenn Jacobi sich eines Glaubens rühmte und dabei die Hände in den Schoß legte. Der wahre Glaube hätte sich hier dadurch bewähren müssen, daß keine Anstrengung gescheut würde, um jene Vermittlungen zu entdecken, durch welche das, woran der Glaube glaubt, auch der Vernunft und der strengsten Wissenschaft einleuchtend gemacht wurde. Ist der Glaube ein notwendiges Ingrediens jedes auf ein Ziel gerichteten Tuns, so ist er auch ein wesentliches Element[203] der wahren Philosophie. Alle Wissenschaft entsteht nur im Glauben; wer die ersten Sätze des Euklid soeben gelernt hat, würde die höchsten Leistungen der Geometrie nicht nur für unmöglich halten, er würde sie nicht einmal verstehen – dieselben, die er dann ganz leicht begreift, wenn er durch alle Vermittlungen hindurchgegangen ist. Alle Wissenschaft, und so insbesondere die Philosophie, schließt den Glauben als ein eben in ihr sich Bewährendes fortdauernd, also immanenter Weise und wesentlich in sich. Die also, welche Wissen und Glauben trennen, ja entgegensetzen, gehören zu der leider heutzutag ungemein zahlreichen Klasse von Menschen, die selbst nicht wissen, was sie wollen, das Traurigste, was irgendeinem mit Vernunft begabten Wesen begegnen kann. Entweder nämlich denken sich solche Gläubige unter Glauben kein Schauen, so müssen sie nicht das Wissen überhaupt, und damit auch das mittelbare Wissen, verwerfen, sondern nur um so mehr dieses anerkennen, oder sie verstehen unter Glauben ein unvermitteltes Erkennen, ein wahres Schauen, so müssen sie sich nicht Vernunftgläubige nennen, sondern denen sich gleichstellen, die sich für unmittelbar Gottbegeisterte ausgeben, und daher auch nicht Philosophen, sondern Theosophen sich nennen.
In bezug auf die Philosophen des Nichtwissens bekennen sich zwar die Theosophen ebenso wie diese als nicht wissenschaftlich Wissende, darum aber keineswegs wie jene als überall nicht Wissende, sondern vielmehr als in hohem Grade, ja wir müssen sagen als vorzugsweise oder im höchsten Maße Wissende. So arm und inhaltsleer die Lehre des Nichtwissens sich zeigt, so reich und inhaltsvoll erscheint dagegen der Theosophismus, welcher ganz im Schauen oder in der unmittelbaren Erfahrung zu sein sich rühmt und wie durch eine Verzückung alle Dinge zu sehen, wie sie in Gott sind, in ihrem wahren ursprünglichen Verhältnis.
Diese Form des Empirismus behauptet also nicht ein bloßes, übrigens nichts aussprechendes, höchstens polemisch, d.h. negativ, sich äußerndes Gefühl, nicht ein unmittelbares[204] Vernunftwissen, das doch nicht zum Wissen sich gestalten kann, sondern sie schreibt sich ein unmittelbares Schauen der göttlichen Natur und der göttlichen Entstehung der Dinge zu. (Theosophismus ist also eine zweite Unterabteilung derjenigen Philosophie, welche sich auf unmittelbare innere Erfahrung zu gründen vorgibt.) Weil dieses Schauen sich nicht mitteilen läßt und daher etwas Geheimnisvolles, Mystisches ist, so ist insofern der Theosophismus eine Art von Mystizismus. Es gibt nämlich 1. einen bloß praktischen oder Subjektiven Mystizismus, der gar keinen Anspruch auf Wissenschaft macht. Es gibt aber auch 2. einen objektiven Mystizismus, der Anspruch auf Objektive Erkenntnis macht. Dieser ist der Theosophismus, der spekulativer oder theoretischer Mystizismus ist, und obgleich der wissenschaftlichen (rationalen) Form sich begebend, nichtsdestoweniger auf einen spekulativen Inhalt Anspruch macht.
Wie läßt sich nun jenes unmittelbare Schauen des Göttlichen nicht nur, sondern selbst des Hergangs der Schöpfung oder eigentlich der Emanation, des Werdens der Dinge aus Gott, das der Theosoph behauptet, etwa rechtfertigen? Wenn Sie sich zurückrufen, was bei Gelegenheit der Naturphilosophie ausgesprochen worden, so ist das im Menschen sich selbst Bewußte und zu sich Gekommene – dieses ist das durch die ganze Natur Hindurchgegangene, das gleichsam alles getragen, alles erfahren hat, das aus der Selbst-Entfremdung wieder in sich, in sein Wesen Zurückgebrachte. Ist es aber der zurückgebrachte Anfang, so ist das Wesen des Menschen wieder das, was im Anfang der Schöpfung war, es ist nicht mehr dem Erschaffenen, sondern es ist wieder der Quelle der Schöpfung gleich – das menschliche Bewußtsein ist also, indem es das Finde ist, zugleich auch wieder der Anfang der Schöpfung; ihm also müßte die ganze Bewegung von Anfang bis zu Ende durchsichtig sein, es wäre eingeborene Wissenschaft, gleichsam von Natur schon, durch sein eigenes Werden das universell Wissende. Aber so findet es sich ja nicht, und wenn eine solche Wissenschaft auch substantiell[205] noch im Wesen des Menschen gedacht wird, so ist sie wenigstens nicht aktuell in ihm, sondern verdunkelt und in die tiefste Potentialität versenkt. Dies kann sich nun, jene Theorie (daß das im Menschen sich Bewußte durch die ganze Schöpfung hindurchgegangen ist) als richtig vorausgesetzt, daraus erklären, daß das Wesen des Menschen nicht an dem Ort geblieben, in den es durch die ursprüngliche Schöpfung gesetzt war, daß der Mensch seine universelle oder zentrale Stellung gegen die Dinge wieder verloren, selbst wieder zum Ding geworden ist, indem er in seiner Freiheit von allen Dingen und über ihnen als Prinzip, als Quelle, sich sehend in dieser Allgemeinheit nicht zu bleiben wußte, sondern sich als eine Besonderheit wollte, nach einem eignen Sein verlangte, und so den Dingen gleich wurde, ja zum Teil unter sie zu stehen kam, aus der Zentralanschauung, in der er ursprünglich war, gesetzt wurde, und dem peripherischen Wissen anheimfiel, wo die Dinge nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen ihn selbst – äußere, nicht nur sich selbst untereinander, sondern auch ihn ausschließende sind. Eine solche Katastrophe des menschlichen Wesens ist unter dieser oder jener Form in allen Religionen, in der christlichen unter dem Namen eines Falls, angenommen. Jenes Zentralwissens ist also der Mensch verlustig gegangen. Dies gesteht selbst der Theosoph zu. – Aber, sagt man, diese Katastrophe auch angenommen, konnte doch die Substanz des menschlichen Wissens nicht aufhören, substantiell oder materiell noch immer das alles Wissende zu sein, sie hörte nicht auf das zu sein, in welchem die Materie alles Wissens enthalten, nur das aktuell alles Wissende, welches jetzt als bloß des Wissens Begieriges (als Verstand) außer dem Menschen ist, war sie nicht mehr. Der Mensch ist also nicht mehr an dem Ort, an den er – durch die Schöpfung selbst – gesetzt war; durch eine falsche Ekstasis ist er außer dem Zentrum gesetzt, in dem er der Wissende aller Dinge war. Sollte er nun nicht durch eine umgekehrte Ekstasis sich wieder dahin versetzen, in den Mittelpunkt der Dinge und damit[206] in die Gottheit selbst verzückt werden können? – So müßte der Theosophismus sich erklären.
Auf die Frage über die Möglichkeit außerordentlicher Zustände des menschlichen Wesens können wir nun hier nicht eingehen (Psychologie), aber gesetzt, es müßte für einzelne Menschen die Möglichkeit einer solchen Wiederversetzung in das ursprüngliche Wesen, in das Zentrum, einer Steigerung der Innerlichkeit bis zum Versinken in die Gottheit zugegeben werden, so wäre dieser Zustand nur dem zu vergleichen, von dem der Apostel (1. Kor. 14), sagt, daß in ihm die Sprache und die Erkenntnis aufhöre, nämlich eben die mittels der Sprache sich auseinandersetzende, diskursive, mit Unterscheidung verbundene Erkenntnis. Ein solcher Zustand würde dann aber auch alle Mitteilung von Erkenntnis unmöglich machen; was ein solcher Entzückter selbst vernähme, wären, wie es der Apostel (2. Kor. 12,4) von sich sagt, arrhêta rhêmata, nicht auszusprechende Worte Ferner, an wen sollte er doch diese Erkenntnis mitteilen? Unstreitig doch an die, die außer diesem Zustand sind, für die er also eben darum absolut unverständliche Worte spräche. Sein Reden wäre, wie jenes rätselhafte mit Zungen Reden, wovon der Apostel spricht, der übrigens (1. Kor. 14,19) selbst sich erklärt: Ich will in der Gemeinde lieber fünf Worte reden mit meinem Sinn (d.h. bei dem ich selbst eines Sinnes mir bewußt bin), auf daß ich auch andere unterweise, als zehntausend Worte mit Zungen, wo also der Gegensatz zeigt, daß mit Zungen reden so viel ist, als für andere unverständlich reden. Unverständlich in hohem Grade sind nun großenteils auch die Reden der theoretischen Mystiker, der eigentlichen Theosophen, und wir sehen sie nicht in der seligen Ruhe, in der wir die eigentlich Verzückten uns denken müßten, sondern in einem gewaltigen Ringen, in einem großen Kampf sich abmühend; ihre Äußerungen sind so unfreiwilliger Art, daß wir sie als in einem Prozeß begriffen denken müssen. Wären sie wirklich im Zentro, so müßten sie verstummen, aber – sie wollen doch zugleich reden, sich aussprechen, und für die sich aussprechen,[207] die außer dem Zentro sind. Hierin der Widerspruch des Theosophismus. Wenn jenes Prinzip, in dem sich zwar der Eindruck, aber nur der verwischte Eindruck, das Chaos aller früheren Momente, nur als Gefühl findet, wenn dieses für sich, also mit Zurückstoßung des freien Geistes (der ihm im jetzigen Zustand als Moderator, als Entbinder beigegeben ist), wirken will, so kann es nur als eine ihrer selbst nicht mächtige Natur erscheinen. Der individuelle Geist, in dem es auf solche Weise wirkend wird, verliert alles Maß und ist nicht Meister seiner Gedanken, sondern im vergeblichen Ringen, das, was er auszusprechen keine Mittel hat, dennoch auszusprechen, ist er ohne alle Sicherheit (wie Jakob Böhme selbst von seinem Geist sagt), »was er trifft, das trifft er«, jedoch ohne dessen gewiß zu sein, ohne es fest vor sich hinstellen und im Verstande als in einem Spiegel (in der Reflexion) beschauen zu können; anstatt Herr des Gegenstandes und über ihm zu sein, wird der Theosoph vielmehr selbst zum Gegenstand, anstatt zu erklären, wird er selbst zum Phänomen, das Erklärung verlangt. Ich spreche von denen, die wahrhaft ursprünglich und durch eine wahrhafte Eigentümlichkeit ihrer Natur Theosophen sind, nicht von solchen, die nur als irrende Ritter gleichsam auf wissenschaftliche Abenteuer ausgehen oder den Theosophismus affektieren, um sich das Ansehen tiefer Einsicht zu geben und weil sie damit schneller und leichter als mit redlicher wissenschaftlicher Arbeit Aufsehen erregen zu können meinen. Der Theosophismus streitet ganz gegen die Bestimmung des jetzigen Lebens, der Theosoph beraubt sich selbst des höchsten Vorteils des gegenwärtigen Zustandes, des distinktiven, unterscheidenden, alles auseinanderlegenden und auseinanderhaltenden Erkennens, das allerdings auch ein Übergang ist, aber so wie das ganze gegenwärtige Leben Übergang ist. Unsere Bestimmung ist nicht, im Schauen zu leben, sondern im Glauben, d.h. im vermittelten Wissen. Unser Wissen ist Stückwerk, d.h., es muß stückweis, sukzessiv, nach Abstufungen und Abteilungen erzeugt werden. Wer das Wohltätige der Auseinandersetzung[208] seiner Gedanken, einer sukzessiven Erzeugung von Wissen und Erkenntnis je gefühlt hat, der wird sozusagen um keinen Preis jene besonnene Doppelheit aufgeben. Im Schauen an und für sich ist kein Verstand. In der äußeren Welt sieht ein jeder mehr oder weniger dasselbe, und doch kann es nicht jeder aussprechen. Ein jedes Ding durchläuft, um zu seiner Vollendung zu gelangen, gewisse Momente: eine Reihe aufeinanderfolgender Prozesse, wo jeder folgende in den vorhergehenden eingreift, bringt es zu seiner Vollkommenheit; diesen Verlauf, in der Pflanze z.B., sieht der Bauer so gut wie der Gelehrte und kennt ihn doch nicht eigentlich, weil er die Momente nicht auseinanderhalten, nicht gesondert, nicht in ihrer Entgegensetzung aussprechen kann. Ebenso – könnte der Mensch auch jenen transzendenten Prozeß, durch den alles geworden ist, in sich selbst erfahren, wie der Theosoph sich des rühmt, so würde dies doch nicht zu wirklicher Wissenschaft führen. Denn alles Erfahren, Fühlen, Schauen ist für sich stumm und bedarf eines vermittelnden Organs, um ausgesprochen zu werden; fehlt dieses dem Schauenden, oder stößt er es absichtlich von sich, um unmittelbar aus dem Schauen zu reden, so ist er, wie gesagt, eins mit dem Gegenstand und für jeden Dritten etwas ebenso Unverständliches wie der Gegenstand selbst. Alles, was in jenem Prinzip, das wir die eigentliche Substanz der Seele nennen können, potentiâ enthalten ist, muß erst zur wirklichen Reflexion (im Verstand oder im Geist) gebracht werden, um zur höchsten Darstellung zu gelangen. Hier geht also die Grenze zwischen Theosophie und Philosophie, welche der Wissenschaft Liebende keusch zu bewahren suchen wird, ohne sich durch die scheinbare Fülle des Stoffs in den theosophischen Systemen verleiten zu lassen. Denn freilich unterscheidet sich z.B. jene frühere Philosophie des Nichtwissens von der Theosophie hauptsächlich durch ihre absolute Substanzlosigkeit. Die beiden Formen haben sich gleichsam in die zwei Prinzipien geteilt, aus deren Zusammenwirkung allein wirkliche Wissenschaft entsteht. In Jacobis Philosophie ist jenes[209] Prinzip, von dem wir sagen können, es sei das substantiell nicht wissende, aber eben darum nach Wissen begierige, hungrige, der Verstand. Jacobis Gefühl ist eigentlich nur der Hunger nach Wissen. Der Verstand, das positive Prinzip des Wissens, ist in dieser Philosophie eine Art von Halbwille, der nicht die Kraft hat, das bloße Gefühl, von dem er getrieben ist, als Gefühl aufzuheben, wie das Gefühl des Hungers sich aufhebt durch Anziehen oder Zusichnehmen der Nahrung. Jacobi greift die Substanz nicht an, er stößt sie sogar von sich und läßt daher auch die Natur ganz außer sich; seine Philosophie ist ein Gegensatz gegen alle Naturphilosophie. Der Theosoph aber, in dem Verhältnis, als er spekulativ ist, ist er auch wesentlich und hauptsächlich Naturphilosoph. Aber wie die Philosophie des Nichtwissens an Mangel, so leidet er an Überfüllung mit dem bloßen Stoff des Wissens. Ich habe mit der bisherigen allgemeinen Schilderung des Theosophismus zugleich das merkwürdigste Individuum dieser Gattung, den berühmten Jakob Böhme geschildert.
Man muß Jakob Böhme, bei dem alles noch lauter und ursprünglich ist, wohl unterscheiden von einer andern Klasse von Mystikern, bei denen nichts Lebendiges und Ursprüngliches mehr anzutreffen, alles schon korrupt ist; in diese Klasse gehört besonders der bekannte St. Martin man hört in ihm nicht mehr wie in J. Böhme den ursprünglich Ergriffenen, sondern nur noch den Konzipisten oder Sekretär fremder Ideen, die noch überdies schon zu Zwecken anderer Art zubereitet sind; was bei J. Böhme noch lebendig ist, ist bei ihm abgestorben, nur gleichsam noch das Kadaver, die einbalsamierte Leiche, die Mumie eines ursprünglich Lebendigen, wie sie in geheimen, zugleich alchemische, magische theurgische Zwecke verfolgenden Gesellschaften vorgezeigt wird. Vor solchen Mysterien zu warnen ist Pflicht, zumal wenn man weiß, wie man leicht wissen kann, daß dieser Mystizismus seine Anhänger nicht in den gesunden, sondern gerade in den korruptesten Klassen der Gesellschaft gefunden hat. Ein solcher mit Gewürz, wo nicht mit weit schlimmeren Ingredienzen angesetzter[210] Wein, höchstens gut und dazu bestimmt, einen längst abgestumpften Geschmack noch zu erregen, gehört in die Hexenküche, dahin es Goethe im Faust verwiesen hat. Deutsche Jugend aber möge Gott vor solchem und ähnlichem Höllengebräu jetzt und immer bewahren!
Heutzutag wird der Begriff Mystizismus, Mystiker von Unwissenden auf die seltsamste Art gebraucht, indem sie z.B. jeden, der überhaupt nur an eine Offenbarung glaubt, geschähe dies übrigens im geschichtlichsten Sinn, schon einen Mystiker nennen. Solchen Leuten wäre z.B. auch Johannes Müller ein Mystiker. Aber dies ist ein Mißbrauch einer alles zusammenwerfenden, weder Begriffe noch Worte unterscheidenden Zeit. Die falsche Anwendung der Worte: mystisch, Mystizismus, hat aber ihren Grund in einem noch allgemeineren Mißverstand dieser Worte, indem man nämlich derselben sich bedient, um eine gewisse materielle Beschaffenheit von Lehren oder Behauptungen anzudeuten. Der kurze Begriff von mystisch, den sich viele gemacht haben, ist dieser: alles, was über mein individuelles Begreifungsvermögen hinausgeht, werde ich mystisch nennen – gesetzt selbst, es wäre ein Satz, der durch rein wissenschaftliche und vollkommen methodische Entwicklung gewonnen wäre, denn es soll einmal nichts über unser Begreifungsvermögen hinausgehen, noch soll jemand erreicht zu haben behaupten, was wir ein für allemal als nicht zu erreichen erklärt haben. Dieser Kunstgriff, gegen eine Behauptung, die vor allem geprüft werden sollte, durch ein bloßes Wort ein Präjudiz zu begründen, ist freilich leichter als wissenschaftliche Untersuchung. To mystikon heißt alles, was verborgen, geheim ist. Materiell betrachtet ist aber alles verborgen, alles mystisch, und diejenigen, welche sich am meisten wissen mit dem beliebten Wort: »Ins Innere der Natur dringt kein erschaffner Geist«, erklären ja eben damit die Natur selbst für mystisch. In der Tat, das vorzugsweise Mystische ist gerade die Natur, und in der Natur wieder das am meisten Materielle, und was vielleicht jene Feinde aller Mystik für das am wenigsten Mystische halten, z.B. ihr[211] Gefühl für gutes Essen und Trinken – die Sinnlichkeit überhaupt und die Wirkungsweise der Sinne, dies ist doch wohl von allem, was in der Natur vorkommt, das Allerverborgenste. Solche Worte übrigens, mit welchen man zum voraus gewisse Begriffe und Behauptungen auszuschließen oder zum Verstummen zu bringen sucht, sind ganz würdig einer liberal zu sein sich rühmenden, wahrhaft aber im höchsten Grad illiberalen Zeit, in welcher die Geistesbeschränktheit, die Seichtigkeit und die offenbare Unwissenheit die Denkfreiheit für sich begehrt, die sie nur allein der Einsicht und dem Genie versagt.
Das Wort »mystisch« hat in der Literatur zunächst immer nur eine formelle Unterscheidung bezeichnet. Wollte man diesen Begriff auf das Materielle ausdehnen, so müßte z.B. der Rationalismus in seiner höchsten, objektiven Gestalt Mystizismus genannt werden, denn beide stimmen der Materie, dem Inhalt nach überein, beide kennen nur die substantielle Bewegung. Dennoch ist der Mystizismus von jeher bestimmt worden als ein Gegensatz des Rationalismus. Mystiker ist also niemand durch das, was er behauptet, sondern durch die Art, wie er es behauptet. Mystizismus drückt nur den Gegensatz gegen formell wissenschaftliche Erkenntnis aus. Keine Behauptung ist bloß des Inhalts wegen, sei er auch übrigens beschaffen wie er wolle, mystisch, zu nennen, selbst dann nicht, wenn sie zufällig diesem Inhalt nach mit der Behauptung irgendeines Mystikers übereinstimmen sollte. Denn wenn man alles das nicht behaupten sollte, was irgendeinmal auch ein Mystiker behauptet hat, so dürfte man am Ende gar nichts behaupten. – Mystizismus kann nur jene Geistesbeschaffenheit genannt werden, welche alle wissenschaftliche Begründung oder Auseinandersetzung verschmäht, die alles wahre Wissen nur von einem sogenannten inneren, auch nicht allgemein leuchtenden, sondern im Individuum eingeschlossenen Licht, aus einer unmittelbaren Offenbarung aus bloßer ekstatischer Intuition oder aus bloßem Gefühl herleiten will, wie denn, wenn man sich über den Ausdruck versteht, z.B. auch die Jacobische Gefühlsphilosophie[212] mystisch genannt werden kann und oft genug so genannt worden ist; nur daß es ihr gänzlich an dem substantiellen Inhalt des eigentlich-spekulativen Mystizismus fehlt. Dieselbe Wahrheit kann also bei dem einen mystisch sein, die bei dem andern wissenschaftlich ist, und umgekehrt. Denn bei dem, der sie aus einer bloß subjektiven Empfindung oder aus einer angeblichen Offenbarung ausspricht, ist sie mystisch; bei dem, der sie aus den Tiefen der Wissenschaft herleitet und sie daher auch allein wahrhaft versteht, ist sie wissenschaftlich.
Das wahre Kennzeichen des Mystizismus ist der Haß gegen klare Einsicht – gegen Verstand, der in unserer Zeit ein so erwünschtes Übergewicht erhalten –, gegen Wissenschaft überhaupt. Da nun aber nicht bloß Mystiker, sondern gar viele von denen, welche über und gegen Mystizismus schreien, ebensosehr als irgendein Mystiker Feinde der Wissenschaft sind, so mußte man eigentlich sie selbst Mystiker nennen, wenn man nicht vorzöge, sie für die wahren und eigentlichen Obskuranten zu erklären.[213]
Zur Geschichte der neueren Philosophie读后感篇七
[146] Die soeben dargestellte Philosophie, welche auf allgemeine Zustimmung rechnen konnte, wenn sie sich als Denk- oder Vernunftwissenschaft und Gott, zu dem sie ans Ende gelangte, als das bloß logische Resultat ihrer früheren Vermittlungen darstellte, erhielt, indem sie den Schein des Gegenteils annahm, ein ganz falsches, sogar ihrem eigenen ursprünglichen Gedanken widersprechendes Ansehen (daher die veränderlichen und höchst verschiedenen Urteile, die über sie geäußert wurden, ganz natürlich waren). Nun konnte man aber hoffen, daß sie sich wirklich in diese Grenze zurückziehe, sich als negative, bloß logische erkläre, als Hegel eben dies als die erste Forderung an die Philosophie aufstellte, daß sie sich in das reine Denken zurückziehe und daß sie zum einzigen unmittelbaren Gegenstand den reinen Begriff habe. Man kann Hegel das Verdienst nicht absprechen, daß er die bloß logische Natur jener Philosophie, die er sich zu bearbeiten vornahm und die er zu ihrer vollkommenen Gestalt zu bringen versprach, wohl eingesehen hatte. Hätte er sich dabei festgehalten, und hätte er diesen Gedanken mit strenger, mit entschiedener Verzichtleistung auf alles Positive ausgeführt, so hätte er den entschiedenen Übergang zur positiven Philosophie herbeigeführt, denn das Negative, der negative Pol, kann nirgends in seiner Reinheit da sein, ohne sogleich den positiven zu fordern. Allein jene Zurückziehung auf das bloße Denken, auf den reinen Begriff, war, wie man gleich auf den ersten Seiten von Hegels Logik ausgesprochen finden kann, mit dem Anspruch verknüpft, daß der Begriff alles sei und nichts außer sich zurücklasse. Hegels eigne Worte sind diese: »Die Methode ist nur die Bewegung des Begriffs selbst, aber mit der Bedeutung, daß der Begriff alles, und seine Bewegung[146] die allgemeine absolute Tätigkeit ist. Die Methode ist daher, die unendliche Kraft zu erkennen (hier kommt demnach, nachdem bis dahin bloß von Denken und bloß vom Begriff die Rede war, auf einmal der Anspruch auf Erkennen herein. Das Erkennen ist aber das Positive und hat zum Gegenstand nur das Seiende, Wirkliche, wie das Denken bloß das Mögliche, und also auch nur das Erkennbare und nicht das Erkannte) – die Methode ist daher die unendliche Kraft zu erkennen, der kein Objekt, sofern es sich als ein äußerliches, der Vernunft fernes und von ihr unabhängiges darstellt, Widerstand leisten kann.«
Der Satz: die Bewegung des Begriffs ist die allgemeine absolute Tätigkeit, läßt auch für Gott nichts anderes übrig als die Bewegung des Begriffs, d.h. selbst nur der Begriff zu sein. Der Begriff hat hier nicht die Bedeutung des bloßen Begriffs (dagegen protestiert Hegel aufs eifrigste), sondern die Bedeutung der Sache selbst, und wie es in den Zendschriften heißt: der wahre Schöpfer ist die Zeit so kann man Hegel allerdings nicht vorwerfen, nach seiner Meinung sei Gott ein bloßer Begriff; seine Meinung ist vielmehr: der wahre Schöpfer ist der Begriff; mit dem Begriff hat man den Schöpfer und braucht keinen andern außer diesem.
Dies war es gerade, was Hegel vorzüglich zu vermeiden suchte, daß Gott, wie es innerhalb einer logischen Philosophie doch nicht anders sein konnte, bloß im Begriff gesetzt sei. Gott war ihm nicht sowohl ein bloßer Begriff als der Begriff Gott, der Begriff war ihm mit der Bedeutung, daß er Gott sei. Seine Meinung ist: Gott ist nichts anderes als der Begriff, der stufenweise zur selbstbewußten Idee wird, als selbstbewußte Idee sich zur Natur entläßt, aus dieser in sich selbst zurückkehrend zum absoluten Geist wird.
So wenig ist Hegel geneigt, seine Philosophie als die bloß negative zu erkennen, daß er vielmehr versichert: sie sei die Philosophie die schlechthin nichts außer sich zurücklasse; seine Philosophie schreibt sich die objektivste Bedeutung und insbesondere eine ganz vollkommene Erkenntnis[147] Gottes und göttlicher Dinge zu – die Erkenntnis, die Kant der Vernunft abgesprochen, sei durch seine Philosophie erreicht. Ja er geht so weit, selbst eine Erkenntnis der christlichen Dogmen seiner Philosophie zuzuschreiben: in dieser Hinsicht ist wohl seine Darstellung der Dreieinigkeitslehre das Sprechendste, welche kürzlich folgende ist. Gott der Vater, vor der Schöpfung, ist der rein logische Begriff, der in den reinen Kategorien des Seins sich verläuft. Dieser Gott aber muß sich, weil sein Wesen in einem notwendigen Prozeß besteht, offenbaren, diese Offenbarung oder Entäußerung seiner selbst ist die Welt und ist Gott der Sohn. Aber Gott muß auch diese Entäußerung (welche ein Heraustreten aus dem bloß Logischen ist – so wenig hat Hegel den bloß logischen Charakter des Ganzen dieser Philosophie erkannt, daß er mit der Naturphilosophie aus ihr herauszutreten erklärte) – Gott muß auch diese Entäußerung, diese Negation seines bloß logischen Seins wieder aufheben und zu sich zurückkehren, welches durch den Menschengeist geschieht in der Kunst, in der Religion und vollständig in der Philosophie, und dieser Menschengeist ist zugleich der Heilige Geist, wodurch Gott erst zum vollkommenen Bewußtsein seiner selbst kommt.
Sie sehen, wie hier jener Prozeß, den die frühere Philosophie eingeführt, verstanden, und wie er auf die entschiedenste Weise als Objektiver und realer genommen ist. Für so verdienstlich man daher auch die Anwandlung anschlagen muß, die Hegel hatte, die bloß logische Natur und Bedeutung der Wissenschaft, die er vor sich fand, einzusehen, so verdienstlich insbesondere es ist, daß er die von der früheren Philosophie im Realen verhüllten logischen Verhältnisse als solche hervorgehoben hat, so muß man doch gestehen, daß in der wirklichen Ausführung seine Philosophie (eben durch die Prätension auf objektive, reale Bedeutung) um ein gut Teil monstroser geworden ist, als es die vorhergehende je war, und daß ich daher auch dieser Philosophie nicht Unrecht getan habe, wenn ich sie – eine Episode nannte.[148]
Ich habe nun die Stelle des Hegelschen Systems im allgemeinen bestimmt. Um aber dies noch bestimmter nachzuweisen, will ich den Hauptgang seiner Entwicklung näher darstellen.
Um also in die Bewegung hineinzukommen, muß Hegel mit dem Begriff auf irgendeinen Anfang zurückgehen, wo er von dem, was durch die Bewegung erst werden soll, am weitesten entfernt ist. Nun gibt es innerhalb des Logischen oder Negativen wieder mehr oder weniger bloß Logisches oder Negatives, weil der Begriff ein mehr oder weniger erfüllter sein, mehr oder weniger unter sich begreifen kann, Hegel geht also auf das Allernegativste zurück, was sich denken läßt, auf den Begriff, in dem noch am wenigsten zu erkennen, der also, so sagt er, von jeder subjektiven Bestimmung so frei als möglich, insofern der objektivste ist. Und dieser Begriff ist ihm der des reinen Sein.
Wie Hegel zu dieser Bestimmung des Anfangs kommt, läßt sich vielleicht auf folgende Art erklären.
Das Subjekt, welches die vorausgegangene Philosophie zu ihrem Ausgangspunkt hatte, war gegenüber von dem Fichteschen Ich, welches nur das Subjekt unseres, des menschlichen, oder im Grunde für jeden nur das Subjekt des eigenen Bewußtseins war – im Gegensatz mit diesem selbst bloß subjektiven Subjekt war das Subjekt in der auf Fichte folgenden Philosophie erklärt worden als objektives (außer uns gesetztes, von uns unabhängiges) Subjekt, und inwiefern nun zugleich erklärt wurde, daß die Entwicklung von diesem Objektiven Subjekt erst fortzuschreiten habe zum subjektiven (zum in uns gesetzten), so war hiermit der Gang im allgemeinen allerdings bestimmt worden als Fortgehen vom Objektiven ins Subjektive; der Ausgangspunkt war das Subjektive in seiner völligen Objektivität, also er war doch immer das Subjektive, nicht das bloße Objektive, wie Hegel seinen ersten Begriff bestimmt als das reine Sein. – Jenem System (dem vorausgegangenen) ist das in ihm sich Bewegende nur nicht als solches schon gesetzte Subjekt, sondern, wie früher[149] bemerkt, nur so Subjekt, daß ihm möglich ist, auch Objekt zu sein, insofern noch weder entschieden Subjekt noch entschieden Objekt, sondern eine Gleichgültigkeit zwischen beiden, was als Indifferenz des Subjektiven und Objektiven ausgedrückt wurde. Denn vor dem Prozeß oder an und gleichsam vor sich selbst gedacht, ist es nicht sich selbst Objekt, aber eben darum ist es auch nicht gegen sich selbst Subjekt (zum Subjekt von sich selbst, welches ja nicht weniger ein relativer Begriff ist, macht es sich eben sowohl erst, als es zum Objekt von sich selbst sich erst macht), es ist daher auch relativ auf sich selbst Indifferenz von Subjekt und Objekt (noch nicht Subjekt und Objekt), aber eben weil es nicht Subjekt und Objekt von sich selbst ist, so ist es auch diese Indifferenz nicht für sich selbst und demnach bloß objektiv, bloß an sich. Der Übergang zum Prozeß ist nun, wie Sie wissen, eben, daß es sich selbst als sich selbst will, und das Erste im Prozeß ist demnach das zuvor gleichgültige (indifferente) Subjekt in seiner nunmehrigen sich-selbst-Anziehung. In dieser Selbstanziehung ist das Angezogene (wir wollen es B nennen), d.h. das Subjekt, inwiefern es Objekt von sich ist, notwendig ein Begrenztes, Beschränktes (die Anziehung selbst eben ist das Begrenzende), das Anziehende aber (wir wollen es A nennen) ist eben dadurch, daß es das Sein angezogen, selbst außer sich gesetzt, mit diesem Sein befangen, es ist das erste Objektive. Dieses erste Objektive, dieses »primum Existens« ist aber nur der Anlaß und die erste Stufe zu den höheren Potenzen der Innerlichkeit oder Geistigkeit, zu welcher das Subjekt sich in dem Verhältnis erhebt, als es sich in jeder seiner Formen immer wieder zum Objekt schlägt, zum Objekt hinzutritt (denn es ist ihm gleichsam nur darum zu tun, jenes sein erstes Sein zu einem sich angemessenen zu erhöhen, es mit immer höheren geistigen Eigenschaften auszustatten, in ein solches zu verwandeln, in dem es selbst sich erkennen und daher ruhen kann); indem aber die folgende Stufe immer die frühere festhielt, so kann dies nicht geschehen, ohne eine Totalität von Formen zu erzeugen; die Bewegung[150] ruht daher nicht eher, als bis das Objekt ganz = dem Subjekt geworden. Inwiefern daher auch im Prozeß das primum Existens ein Minimum von Subjektivem und ein Maximum von Objektivem ist, von welchem zu immer höheren Potenzen des Subjektiven fortgegangen wird, so ist auch hier (von dem im Prozeß Ersten aus) ein Fortgang vom Objektiven ins Subjektive.
Auf jeden Fall also mußte Hegel, da er doch im ganzen und in der Hauptsache dasselbe System aufstellen wollte, auch einen objektiven Anfang, und zwar wo möglich den objektivsten zu nehmen suchen. Hier begegnet ihm aber, dieses Objektivste als Negation alles Subjektiven, als reines Sein zu bestimmen, d.h. (wie kann man es anders verstehen?) als Sein, in dem gar nichts von einem Subjekt ist. Denn daß er übrigens diesem reinen Sein eine Bewegung, ein Übergehen in einen andern Begriff, ja sogar eine innere, es zu weiteren Bestimmungen forttreibende Unruhe zuschreibt, dies beweist nicht etwa, daß er in dem reinen Sein dennoch ein Subjekt denke, nur etwa ein solches, von dem sich nur noch sagen läßt, daß es nicht nicht ist oder nicht ganz nichts ist, auf keine Weise aber, daß es schon etwas ist – wäre dies sein Gedanke, so müßte der Fortgang ein ganz anderer sein. Daß er dem reinen Sein dennoch eine immanente Bewegung zuschreibt, heißt daher weiter nichts als daß der Gedanke, der mit dem reinen Sein anfängt seine Unmöglichkeit empfindet, bei diesem Allerabstraktesten und Allerleersten, wofür Hegel selbst das reine Sein erklärt, stehenzubleiben. Die Nötigung, von diesem fortzugehen hat ihren Grund nur darin, daß der Gedanke an ein konkreteres, inhaltsvolleres Sein schon gewöhnt ist, also mit jener mageren Kost des reinen Seins, in dem nur überhaupt ein Inhalt, aber kein bestimmter gedacht wird, sich nicht zufriedengeben kann; in letzter Instanz ist es also nur der Umstand, daß es in der Tat ein reicheres und inhaltsvolleres Sein gibt und daß der denkende Geist selbst schon ein solches ist; also es ist nicht eine in dem leeren Begriff selbst, sondern es ist eine in dem Philosophierenden liegende und ihm durch seine Erinnerung[151] aufgedrungene Notwendigkeit, die ihn nicht bei jener leeren Abstraktion stehen läßt. Also ist es eigentlich immer nur der Gedanke, der sich erst auf das möglichste Minimum von Inhalt zurückzuziehen, dann aber wieder sukzessiv zu erfüllen, zu einem Inhalt, und zuletzt zu dem Gesamtinhalt der Welt und des Bewußtseins zu gelangen sucht – freilich, wie Hegel vorgibt, nicht in einem willkürlichen, sondern in einem notwendigen Fortgang; aber das stillschweigend Leitende dieses Fortgangs ist doch immer der terminus ad quem, die wirkliche Welt, bei welcher die Wissenschaft zuletzt ankommen soll; die wirkliche Welt aber nennen wir jederzeit nur das, was wir von ihr erfaßt haben, und Hegels eigne Philosophie zeigt, wie manche Seiten dieser wirklichen Welt er z.B. nicht erfaßt hat; der Zufall ist also von jenem Fortgang doch nicht auszuschließen, nämlich das Zufällige der engeren oder weiteren individuellen Weltansichten des philosophierenden Subjekts. Es ist also in dieser angeblichen notwendigen Bewegung eine doppelte Täuschung, 1. indem dem Gedanken der Begriff substituiert und dieser als etwas sich selbst Bewegendes vorgestellt wird, und doch der Begriff für sich selbst ganz unbeweglich liegen würde, wenn er nicht der Begriff eines denkenden Subjekts, d.h., wenn er nicht Gedanke wäre; 2. indem man sich vorspiegelt, der Gedanke werde nur durch eine in ihm selbst liegende Notwendigkeit weitergetrieben, während er doch offenbar ein Ziel hat, nach welchem er hinstrebt, und das, wenn der Philosophierende auch noch so sehr dessen Bewußtsein sich zu verbergen sucht, darum nur um so entschiedener bewußtlos auf den Gang des Philosophierens einwirkt.
Daß nun aber der schlechthin erste Gedanke das reine Sein sei, dies wird daraus bewiesen, daß von diesem Begriff in seiner Reinheit und vollkommenen Abstraktion gedacht nichts sich ausschließen könne – er sei die reinste und unmittelbarste Gewißheit oder die reine Gewißheit selbst noch ohne weiteren Inhalt, das zu aller Gewißheit Vorausgesetzte; es sei keine Handlung der Willkür, sondern die vollkommenste Notwendigkeit, zuerst, daß Sein[152] überhaupt, sodann, daß in dem Sein alles Sein gedacht werde. Hegel nennt dergleichen Bemerkungen selbst triviale, entschuldigt sie aber damit: die ersten Anfänge müssen trivial sein, wie ja auch die Anfänge der Mathematik trivial seien; wenn aber je die Anfänge der Mathematik (ich weiß nicht, was darunter verstanden wird) – wenn sie aber trivial heißen könnten, so wäre dies nur, weil sie allgemein einleuchtend sind; der angeführte Satz hat aber nicht das Verdienst, in diesem Sinn trivial zu sein, jene angebliche Notwendigkeit aber, Sein überhaupt und in dem Sein alles Sein zu denken – diese Notwendigkeit ist selbst ein bloßes Vorgeben, sintemal es eine Unmöglichkeit ist, Sein überhaupt zu denken, weil es kein Sein überhaupt gibt, kein Sein ohne Subjekt, das Sein vielmehr notwendig und immer ein bestimmtes, entweder nämlich bloß wesendes, in das Wesen zurückgehendes, mit diesem identisches, oder gegenständliches Sein ist – eine Unterscheidung, die Hegel völlig ignoriert; nun ist aber von dem schlechthin ersten Gedanken das gegenständliche Sein schon durch seine Natur ausgeschlossen, es kann, wie schon in dem Wort Gegenstand liegt, nur einem andern entgegen, oder doch nur für das gesetzt sein, dem es Gegenstand ist; das Sein dieser Art kann also nur das zweite sein; daraus folgt, daß das Sein des schlechthin ersten Gedankens nur das ungegenständliche, das bloß wesentliche, das rein urständliche sein könne, mit dem eben nichts gesetzt ist als bloßes Subjekt. Mithin ist das Sein des ersten Gedankens nicht ein Sein überhaupt, sondern schon ein bestimmtes Sein. Unter dem Sein überhaupt dem völlig unbestimmten, wovon Hegel auszugehen vorgibt, könnte nur dasjenige verstanden werden, das weder das wesentliche noch das gegenständliche ist, von dem aber alsdann unmittelbar einleuchtet, daß in ihm wahrhaft nichts gedacht (Gattungsbegriff des Seins, ganz aus dem Gebiet der Scholastik). Man könnte hierauf erwidern: Hegel gestehe dies selbst, indem er dem Begriff des reinen Seins unmittelbar den Satz folgen lasse: das reine Sein ist das Nichts. Welchen Sinn er aber auch mit diesem Satz[153] verbände, auf keinen Fall kann es seine Absicht sein, das reine Sein für einen Ungedanken zu erklären, nachdem er es soeben als den absolut ersten Gedanken erklärt hatte. Mit jenem Satz sucht indes Hegel weiter, d.h. in ein Werden hineinzukommen. Der Satz lautet ganz objektiv: »das reine Seine ist das Nichts«. Allein, wie schon bemerkt, ist der wahre Sinn nur dieser: nachdem ich das reine Sein gesetzt, suche ich etwas in ihm und finde nichts, denn ich habe mir selbst verboten, etwas in ihm zu finden dadurch eben, daß ich es als das reine Sein, als das bloße Sein überhaupt gesetzt habe. Nicht also etwa das Sein selbst findet sich, sondern ich finde es als das Nichts und spreche dies in dem Satz aus: das reine Sein ist das Nichts. – Untersuchen wir nun die spezielle Bedeutung des Satzes. Hegel wendet unbedenklich die Form des Satzes, die Kopula, das ist, an, eh' er sich im Geringsten über die Bedeutung dieses ist erklärt hat. Ebenso wendet Hegel den Begriff Nichts als einen keiner Erklärung bedürftigen, sich von selbst verstehenden an. Entweder ist nun jener Satz (das reine Sein ist das Nichts) bloß tautologisch gemeint d.h., das reine Sein und das Nichts sind nur zwei verschiedene Ausdrücke für eine und dieselbe Sache, so ist der Satz als ein tautologischer ein nichtssagender, er enthält eine bloße Wortverknüpfung, es kann also auch nichts aus ihm folgen. Oder er hat die Bedeutung eines Urteils, so heißt er zufolge der Bedeutung der Kopula im Urteil so viel: das reine Sein ist das Subjekt, das Tragende des Nichts. Auf diese Weise wäre dann das reine Sein und das Nichts, beide, wenigstens potentia etwas, jenes als das Tragende, dieses als das Getragene, und man könnte alsdann von dem Satz weitergelangen, etwa indem man das reine Sein aus jenem Verhältnis des Subjektseins (der Subjektion) heraustreten ließe, mit dem Verlangen, selbst etwas zu sein, dadurch würde es nun dem Nichts ungleich und würde es von sich ausschließen, wodurch dieses als ein vom Sein ausgeschlossenes nun auch ein Etwas würde. Allein so ist es nicht, und der Satz ist also bloß als eine Tautologie gemeint. Das reine Sein ist,[154] da es das Sein überhaupt ist, allerdings unmittelbar (ohne alle Vermittlung) das nicht-Sein und in diesem Sinne Nichts. Man hat sich nicht über diesen Satz zu verwundern, sondern vielmehr über das, wozu er als Mittel oder Übergang dienen soll. Aus dieser Verbindung von Sein und Nichts soll nämlich das Werden folgen. Doch will ich vorher noch bemerken: Hegel will jene Gleichsetzung des reinen Seins und des Nichts durch das Beispiel des Begriffs Anfang erklären. »Die Sache ist, wie er sich ausdrückt, ist noch nicht in ihrem Anfang«3. Hier wird also das Wörtlein noch eingeschaltet. Nimmt man dies zu Hilfe, so würde der Satz: das reine Sein ist das Nichts, nur soviel heißen das Sein ist hier – auf dem gegenwärtigen Standpunkt – noch das Nichts. Aber gleichwie in dem Anfang das Nichtsein der Sache, wozu er der Anfang ist, nur das noch nicht wirkliche Sein der Sache ist, nicht aber ihr völliges Nichtsein, sondern allerdings auch ihr Sein, zwar nicht ihr Sein unbestimmter Weise, wie Hegel sich ausdrückt, aber ihr Sein in der Möglichkeit, in der Potenz, so würde der Satz: das reine Sein ist noch das Nichts, bloß so viel heißen: es ist noch nicht das wirkliche Sein. Aber eben damit würde es ja selbst bestimmt und nicht mehr das Sein überhaupt, sondern das bestimmte Sein, nämlich das Sein in potentia Indes ist mit jenem eingeschalteten noch schon ein künftiges, das noch nicht ist, in Aussicht gestellt, und mit Hilfe dieses noch gelangt also Hegel zum Werden, von dem er ebenfalls höchst unbestimmterweise sagt, es sei Einheit oder Vereinigung von Nichts und Sein – (man müßte vielmehr sagen, es sei Übergang vom Nichts, vom noch nicht Sein zum wirklichen Sein, so daß also im Werden nichts und Sein eigentlich nicht vereinigt werden, sondern das Nichts vielmehr verlassen wird. Allein Hegel liebt diese ungefähre Art sich auszudrücken; dadurch läßt sich allerdings dem Trivialsten der Schein eines Ungemeinen geben).
Man kann diesen Sätzen eigentlich nicht widersprechen[155] oder sie etwa für falsch erklären; denn vielmehr sind es Sätze, an denen man gar nichts hat. Es ist, wie wenn man Wasser in der hohlen Hand tragen wollte, wovon man auch nichts hat. Die bloße Arbeit, etwas festzuhalten, das sich nicht festhalten läßt, weil es nichts ist, gilt hier statt des Philosophierens. Man kann dasselbe von der ganzen Hegelschen Philosophie sagen. Man sollte eigentlich gar nicht von ihr sprechen, weil ihr Eigentümliches in vielen Fällen eben in solchen unfertigen Gedanken besteht, die nicht einmal so weit sich festhalten lassen, daß ein Urteil darüber möglich wäre. Auf die angezeigte Weise indes kommt Hegel nicht etwa auf irgendein bestimmtes Werden, sondern nur auf den allgemeinen Begriff des Werdens überhaupt, womit wieder nichts gegeben ist. Dieses Werden aber wirft sich ihm sofort in Momente auseinander, so daß er auf diese Weise zu der Kategorie der Quantität und damit überhaupt in die Kantische Kategorientafel hinüberkommt.
Die bisher dargestellten Momente, reines Sein, Nichts, Werden, sind nun die Anfänge der Logik, welche Hegel als die rein spekulative Philosophie erklärt mit der Bestimmung, daß hier zunächst die Idee noch im Denken oder das Absolute noch in seine Ewigkeit eingeschlossen sei (die Idee und das Absolute werden demnach als gleichbedeutend behandelt, so wie Denken, weil es das völlig Zeitlose ist, als identisch mit Ewigkeit genommen wird). Da sie die reine göttliche Idee darzustellen hat, wie sie vor aller Zeit oder inwiefern sie noch bloß im Denken ist, so ist die Logik in dieser Hinsicht subjektive Wissenschaft, die Idee ist bloß noch als Idee, nicht auch als Wirklichkeit und Objektivität gesetzt; aber sie ist nicht subjektive Wissenschaft in dem Sinn, daß sie die reale Welt ausschlösse, vielmehr als der absolute Grund alles Realen sich erweisend ist sie ebensowohl reale und objektive Wissenschaft; sie hat noch den Reichtum der konkreten sowohl der sinnlichen als der geistigen Welt außer sich; indem aber auch dieser in dem nachfolgenden realen Teil erkannt wird und in demselben sich erweist als in die[156] logische Idee zurückgehend und in ihr seinen letzten Grund, seine Wahrheit habend, so erscheint damit die logische Allgemeinheit nicht mehr als eine Besonderheit gegen jenen realen Reichtum, sondern als denselben enthaltend, als wahrhafte Allgemeinheit4. Sie sehen, daß hier die Logik als der eine, nämlich ideale Teil der Philosophie dem andern als dem realen entgegengesetzt wird, welcher selbst wieder unter sich a) Naturphilosophie, b) Philosophie der geistigen Welt begreift. Die Logik ist nur die Erzeugung der vollendeten Idee. Diese Erzeugung geschieht, indem angenommen wird, daß die Idee oder, wie sie in ihrem Anfang heißt, der Begriff – daß der Begriff durch eine ihm selbst inwohnende bewegende Kraft – welche eben, weil sie Kraft des bloßen Begriffes ist, dialektisch heißt – daß der Begriff durch die ihm eigne dialektische Bewegung von jenen ersten leeren und inhaltslosen Bestimmungen zu immer inhaltvolleren fortschreite; das Gehaltvollere der späteren entsteht eben dadurch, daß sie die früheren, ihnen vorausgehenden Momente sich untergeordnet oder als aufgehoben in sich enthalten; jedes folgende Moment ist das Aufhebende des früheren, aber es ist dies nur, inwiefern in ihm der Begriff selbst schon eine höhere Stufe von Positivität erreicht hat, im letzten Moment ist es die vollendete oder, wie sie auch genannt wird, die sich selbst begreifende Idee, die alle früher durchlaufenen Seinsweisen, alle Momente ihres Seins als aufgehobene nun in sich hat.
Man sieht, daß es die Methode der früheren Philosophie ist, welche hier in die Logik übergetragen worden ist. Wie dort das absolute Subjekt jede Stufe seines Seins überbietet, daß es sich in einer noch höheren Potenz der Subjektivität, der Geistigkeit oder Innerlichkeit setzt, bis es zuletzt als reines, d.h. nicht mehr objektiv werden könnendes, also ganz bei sich bleibendes, stehenbleibt, so soll hier der durch verschiedene Momente oder Bestimmungen[157] hindurchgehende Begriff, indem er zuletzt alle unter sich aufnimmt, der sich selbst begreifende Begriff sein. Hegel nennt auch diese Fortbewegung des Begriffs einen Prozeß. Nur ist der Unterschied zwischen der Nachahmung und dem Original. Hier ist der Anfangspunkt, an welchem das Subjekt sich zu einer höheren Subjektivität steigert oder aufrichtet, ein wirklicher Gegensatz, eine wirkliche Dissonanz, und man begreift auf diese Art eine Steigerung. Dort (in der Hegelschen Philosophie) verhält sich der Anfangspunkt gegen das ihm Folgende als ein bloßes Minus, als ein Mangel, eine Leere, die erfüllt und insofern freilich als Leere aufgehoben wird, aber es gibt dabei so wenig etwas zu überwinden, als bei der Füllung eines leeren Gefäßes zu überwinden ist; es geht dabei alles ganz friedlich zu – zwischen Sein und Nichts ist kein Gegensatz, die tun einander nichts. Die Übertragung des Begriffs Prozeß auf die dialektische Fortbewegung, wo gar kein Kampf, sondern nur ein eintöniges, beinah einschläferndes Fortschreiten möglich ist, gehört daher zu jenem Mißbrauch der Worte, der bei Hegel allerdings ein sehr großes Mittel ist, den Mangel des wahren Lebens zu verbergen. Ich will nichts mehr sagen von der auch hier wiederkehrenden Verwechslung von Gedanken und Begriff. Von dem Gedanken – wenn er nämlich überhaupt in diese Folge sich einläßt, kann man sagen, er gehe oder bewege sich durch diese Momente hindurch, aber vom Begriff gesagt, ist es nicht etwa eine kühne, sondern nur eine frostige Metapher. Von dem Subjekt begreift sich, daß es nicht stehenbleibt, es hat eine innere Nötigung, überzugehen ins Objekt und so zugleich in seiner Subjektivität sich zu steigern. Aber ein leerer Begriff, wofür Hegel selbst das Sein erklärt, hat darum, weil er ein leerer ist, noch keine Nötigung, sich zu erfüllen. Nicht der Begriff erfüllt sich, sondern der Gedanke, d.h., ich, der Philosophierende, kann ein Bedürfnis empfinden, von dem Leeren zum Erfüllten fortzugehen. Aber da doch nur der Gedanke das beseelende Prinzip dieser Bewegung ist, welche Bürgschaft gibt es gegen Willkür, was verhindert[158] den Philosophen, um einen Begriff unterzubringen, auch wohl mit einem bloßen Schein von Notwendigkeit oder umgekehrt mit einem bloßen Schein des Begriffs sich zu begnügen?
Die Identitätsphilosophie war mit den ersten Schritten in der Natur, also in der Sphäre des Empirischen und somit auch der Anschauung. Hegel hat über der Naturphilosophie seine abstrakte Logik aufbauen wollen. Allein er hat dorthin die Methode der Naturphilosophie mitgenommen, es ist leicht zu erachten, welche Erzwungenheit dadurch entstehen mußte, daß er die Methode, welche durchaus Natur zum Inhalt und Naturanschauung zur Begleiterin hatte, ins bloß Logische erheben wollte; die Erzwungenheit entstand dadurch, daß er diese Formen der Anschauung verleugnen mußte und doch sie beständig unterschob, daher es auch eine ganz richtige Bemerkung und unschwere Entdeckung ist, daß Hegel schon mit dem ersten Schritt seiner Logik Anschauung voraussetzte und, ohne sie unterzuschieben, keinen Schritt tun könnte.
Die alte Metaphysik, die sich aus verschiedenen Wissenschaften aufbaute, hatte zur allgemeinen Grundlage eine Wissenschaft, welche ebenfalls die Begriffe nur als Begriffe zum Inhalt hatte, die Ontologie. Hegeln schwebte bei seiner Logik nichts anderes als diese Ontologie vor, die er über die schlechte Form erheben wollte, die sie z.B. in der Wolffischen Philosophie gehabt hatte, wo die verschiedenen Kategorien in einem mehr oder weniger bloß zufälligen, mehr oder weniger gleichgültigen Neben- und Nacheinander aufgestellt und abgehandelt wurden. Er suchte diese Erhebung zu bewerkstelligen durch Anwendung einer Methode, die für einen ganz andern Zweck, für reale Potenzen erfunden war, auf bloße Begriffe, denen er ein Leben, eine innere Nötigung zur Fortbewegung vergebens einzuhauchen suchte. Man sieht, daß hierin nichts Ursprüngliches ist, für diesen Zweck wäre die Methode nie erfunden worden. Sie ist hier etwas nur künstlich und gewaltsam Angewendetes. Aber überhaupt auf diese Ontologie zurückzugehen, war ein Rückschritt.[159]
In Hegels Logik findet man alle gerade zu seiner Zeit gangbaren und einmal vorhandenen Begriffe jeden als Moment der absoluten Idee an einer bestimmten Stelle aufgenommen. Es ist damit die Prätension einer vollendeten Systematisierung, d.h. der Anspruch verbunden, daß alle Begriffe umfaßt und außer dem Kreis der umfaßten kein anderer möglich sei. Wenn sich nun aber Begriffe aufzeigen ließen, von denen jenes System nichts weiß oder die es nur in einem ganz anderen als dem echten Sinn in sich aufzunehmen wußte? Anstatt eines impartiellen, alles mit gleicher Gerechtigkeit aufnehmenden Systems werden wir also nur ein partielles vor uns haben, das entweder nur solche Begriffe aufgenommen oder die aufgenommenen nur in dem Sinn aufgenommen hat, in welchem sie sich mit dem einmal schon vorausgesetzten System vertragen. Wenigstens da, wo das System auf die höheren, eben darum dem Menschen näherliegenden, auf die sittlichen und religiösen Begriffe kommt, da sind ihm ganz willkürliche Verrenkungen dieser längst vorgeworfen worden.
Man möchte vielleicht fragen: wo denn die frühere Philosophie den Ort oder die Stelle für die Begriffe als Begriffe gehabt habe. Man könnte denken, vielleicht ist es sogar vorgegeben worden: diese Philosophie habe für die Logik, für die allgemeinen Kategorien, für die Begriffe als solche keine Stelle gehabt. Für Begriffe, die das Reale noch außer sich haben, hatte sie allerdings keine Stelle, denn sie war, wie gesagt, mit ihren ersten Schritten in der Natur; aber sie ging eben in der Natur fort bis zu dem Punkt, wo das durch die ganze Natur hindurchgegangene, nun zu sich gekommene, sich selbst besitzende Subjekt (das Ich) zwar nicht mehr die früheren in der Natur zurückgelassenen Momente selbst, wohl aber die Begriffe derselben, und zwar als Begriffe, findet, mit denen das Bewußtsein nun wie mit einem ganz von den Dingen unabhängigen Besitz schaltet und waltet und sie nach allen Seiten hin anwendet. Auf diese Weise konnte wenigstens Hegel hören, an welcher Stelle des Systems die Begriffswelt[160] in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit und systematisch vollständigen Auseinandersetzung in das Ganze eintrete; er konnte sogar die Formen der insgemein sogenannten Logik ganz so wie die Naturformen behandelt sehen – eine Analogie, von der Hegel selbst, wenigstens da, wo er von den Figuren der Schlüsse redet, Gebrauch macht. Hier, wo die unendliche Potenz, die durch die Natur hindurchgegangen ist, zuerst sich selbst gegenständlich ist, wo sie ihren bisher objektiv auseinandergelegten Organismus subjektiv im Bewußtsein entfaltet als Organismus der Vernunft, hier war in einer natürlich fortschreitenden, wirklich von vorn anfangenden Philosophie der einzige Ort für die Begriffe als solche; diese konnten für sie nicht anders als wie die Körperwelt oder die Pflanzen oder was irgend sonst in der Natur vorkommt, nur Gegenstände einer rein apriorischen Herleitung und daher für sie nicht eher da sein, als wo sie zuerst in die Wirklichkeit eintreten (mit dem Bewußtsein), am Ende der Naturphilosophie und im Anfang der Geistesphilosophie. An dieser Stelle sind die Begriffe selbst auch wieder etwas wirkliches Objektives, während sie da, wo sie Hegel abhandelt, nur etwas Subjektives, künstlich objektiv Gemachtes sind. Die Begriffe als solche existieren in der Tat nirgends als im Bewußtsein, sie sind also objektiv genommen nach der Natur, nicht vor derselben; Hegel nahm sie von ihrer natürlichen Stelle hinweg, indem er sie an den Anfang der Philosophie setzte. Da stellt er denn die abstraktesten Begriffe voran, Werden, Dasein usw.; Abstrakta aber können doch natürlicherweise nicht eher dasein, für Wirklichkeiten gehalten werden, als das ist, wovon sie abstrahiert sind: ein Werden kann nicht eher sein als ein Werdendes, ein Dasein nicht eher als ein Daseiendes. Wenn Hegel die Philosophie damit anfangen heißt, daß man sich ganz in das reine Denken zurückzieht, so hat er damit das Wesen der wahrhaft negativen oder rein rationalen Philosophie trefflich ausgedrückt, und wir könnten ihm für den bezeichnenden Ausdruck dankbar sein; aber dieses Zurückziehen in das reine Denken ist bei ihm nicht[161] von der ganzen Philosophie gemeint oder gesagt, er will uns damit nur für seine Logik gewinnen, indem er sich mit dem beschäftigt, was nicht bloß vor der wirklichen, sondern vor aller Natur ist. Es sind nicht die Gegenstände oder die Sachen, wie sie a priori im reinen Denken, also im Begriff sich darstellen, sondern der Begriff soll wieder nur den Begriff zum Inhalt haben. Nur das Denken, das bloße Begriffe zum Inhalt hat, nennt er und nennen seine Anhänger reines Denken. Sich ins Denken zurückziehen, heißt ihm nur, sich entschließen, über das Denken zu denken. Das kann man aber wenigstens nicht wirkliches Denken nennen. Wirkliches Denken ist, wodurch ein dem Denken Entgegenstehendes überwunden wird. Wo man nur wieder das Denken, und zwar das abstrakte Denken, zum Inhalt hat, hat das Denken nichts zu überwinden. (Hegel selbst beschreibt diese Bewegung durch bloße Abstraktionen, wie Sein, Werden usf., als eine Bewegung im reinen, d.h. widerstandslosen Äther. Das Verhältnis ist etwa wie folgendes. Die Poesie kann z.B. ein poetisches Gemüt im Verhältnis und im Kampf mit der Wirklichkeit darstellen, da hat sie einen wirklich objektiven Inhalt. Die Poesie kann aber auch die Poesie überhaupt und in abstracto zum Gegenstand haben – Poesie über die Poesie sein. Manche unserer sogenannten romantischen Dichter hatten es nie weiter gebracht als zu einer solchen Verherrlichung der Poesie durch die Poesie. Aber niemand hat diese Poesie über die Poesie für wirkliche Poesie gehalten.)
Hegel fahrt als Gegensatz seiner Behauptung, daß der Begriff das einzig Reale sei, die Meinung an, daß die Wahrheit auf sinnlicher Realität beruhe. Dies könnte aber nur dann sein, wenn der Begriff eine übersinnliche, ja die einzige übersinnliche Realität wäre. Offenbar nimmt Hegel dies an. Diese Annahme stammt in gerader Linie von jener Kantischen ab, nach welcher Gott nur ein Vernunftbegriff, eine Vernunftidee ist. Dem Begriff steht aber nicht bloß das sinnliche Reale, sondern das Reale überhaupt, sowohl das sinnliche als das übersinnliche, entgegen.[162] – Als einzigen Widerspruch oder Tadel gegen die Idee seiner Logik denkt sich Hegel den, daß diese Gedanken nur Gedanken seien, da der wahre Gehalt nur in der sinnlichen Wahrnehmung sei. Allein davon (von der sinnlichen Wahrnehmung) ist auch hier nicht die Rede. Es ist wohl nicht anders zu sagen, als daß der Inhalt der höchsten Wissenschaft, der Philosophie, in der Tat nur Gedanken seien und daß sie selbst die nur durch Denken zustande kommende Wissenschaft sei. Nicht dieses also kann getadelt werden, daß der Inhalt der Philosophie nur Gedanken seien, sondern daß der Gegenstand dieser Gedanken nur der Begriff oder Begriffe seien. Hegel kann sich außer Begriffen nur noch sinnliche Realität denken, was offenbar eine petitio principii ist, da z.B. Gott nicht bloßer Begriff und doch auch nicht eine sinnliche Realität ist. Hegel beruft sich oft darauf: von jeher habe man gemeint, zur Philosophie gehöre vorzugsweise Denken oder Nachdenken. Allerdings, aber daraus folgt nicht, daß der Gegenstand dieses Denkens nur wieder das Denken selbst oder der Begriff ist. Ebenso: »Der Unterschied des Menschen vom Tier bestehe nur im Denken.« Dies als richtig angenommen, bleibt der Inhalt dieses Denkens ganz unbestimmt, denn der Geometer, der sinnlich vorstellbare Figuren, der Naturforscher, der sinnliche Gegenstände oder Begebenheiten, der Theolog, der Gott als eine übersinnliche Realität betrachtet, wird darum nicht zugeben, daß er nicht denke, weil der Inhalt seines Denkens nicht der reine Begriff ist.
In die Einzelheiten der Hegelschen Logik nun kann es nicht unsere Absicht sein uns noch weiter einzulassen. Was unser ganzes Interesse erregt, ist das System als Ganzes. Hegels Logik ist in bezug auf das zugrund liegende System insofern etwas ganz Zufälliges, als es nur auf sehr lose Weise mit ihr zusammenhängt. Wer die bloße Logik beurteilt, der hat das System selbst nicht beurteilt. Und wer vollends nur gegen einzelne Punkte dieser Logik zu Felde zieht, mag dabei wohl nicht unrecht haben, sogar viel Scharfsinn und richtige Einsicht zeigen, aber in bezug[163] auf das Ganze ist dabei nichts gewonnen. Ich glaube selbst, daß man diese sogenannte reale Logik leicht auf zehnerlei verschiedene Art machen könnte. Doch verkenne ich darum nicht den Wert vieler ungemein kluger, besonders methodologischer Bemerkungen, die sich in Hegels Logik finden. Hegel hat sich aber in die methodologische Erörterung so geworfen, daß er darüber die außer ihr liegenden Fragen ganz vergaß.
Ich wende mich also nun zum System als solchem und werde hierbei auch die dem vorangegangenen System von seiten Hegels gemachten Vorwürfe nicht unbeantwortet lassen.
Obgleich nämlich der Begriff nicht der einzige Inhalt des Denkens sein kann, so könnte wenigstens immer wahr bleiben, was Hegel behauptet, daß die Logik in dem metaphysischen Sinn, den er ihr gibt, die reale Grundlage aller Philosophie sein müsse. Es könnte darum doch wahr sein, was Hegel so oft einschärft, daß alles, was Ist, in der Idee oder in dem logischen Begriff ist und daß folglich die Idee die Wahrheit von allem ist, in welche zugleich alles in seinen Anfang und in sein Ende eingeht. Was also dieses beständig Wiederholte betrifft, so könnte zugegeben werden, daß alles in der logischen Idee sei, und zwar so sei, daß es außer ihr gar nicht sein könnte, weil das Sinnlose allerdings nirgends und nie existieren kann. Aber eben damit stellt sich auch das Logische als das bloß Negative der Existenz dar, als das, ohne welches nichts existieren könnte, woraus aber noch lange nicht folgt, daß alles auch nur durch dieses existiert. Es kann alles in der logischen Idee sein, ohne daß damit irgend etwas erklärt wäre, wie z.B. in der sinnlichen Welt alles in Zahl und Maß gefaßt ist, ohne daß darum die Geometrie oder Arithmetik die sinnliche Welt erklärte. Die ganze Welt liegt gleichsam in den Netzen des Verstandes oder der Vernunft, aber die Frage ist eben, wie sie in diese Netze gekommen sei, da in der Welt offenbar noch etwas anderes und etwas mehr als bloße Vernunft ist, ja sogar etwas über diese Schranken Hinausstrebendes.[164]
Die Hauptabsicht der Hegelschen Logik und dessen sie sich vorzüglich rühmt, ist, daß sie in ihrem letzten Resultat die Bedeutung der spekulativen Theologie annehme, d.h., daß sie eine eigentliche Konstruktion der Idee Gottes und daß demnach diese oder das Absolute bei ihr nicht eine bloße Voraussetzung, wie in dem unmittelbar vorausgegangenen System, sondern wesentlich ein Resultat sei. Es ist damit der früheren Philosophie ein doppelter Vorwurf gemacht: 1. hat sie das Absolute statt als begründetes Resultat als bloße unbegründete Voraussetzung, 2. hat sie damit überhaupt eine Voraussetzung, während die Hegelsche Philosophie sich berühmt, die nichts, schlechterdings nichts voraussetzende zu sein. Allein, was das letztere betrifft, so muß sich Hegel, indem er die Logik in jenem erhabenen Sinn als die erste philosophische Wissenschaft aufstellt, dabei der gemeinen logischen Formen bedienen, ohne sie gerechtfertigt zu haben, d.h., er muß sie voraussetzen, wie er z.B. sagt: das reine Sein ist das Nichts, ohne im geringsten über die Bedeutung dieses ist sich ausgewiesen zu haben. Aber offenbar sind es nicht bloß die logischen Formen, sondern es sind so ziemlich alle Begriffe, deren wir uns im gemeinen Leben ohne weiteres Nachdenken bedienen, und ohne daß wir für nötig hielten, uns wegen derselben zu rechtfertigen, es sind so ziemlich alle Begriffe dieser Art, deren auch Hegel gleich anfangs sich bedient, die er also voraussetzt. Er stellt sich freilich im Anfang nur wenig zu verlangen, was gleichsam nicht der Rede wert ist, so inhaltslos, wie das Sein überhaupt, daß man gleichsam gar nicht umhin kann, es ihm zuzugeben. Der Hegelsche Begriff ist der indische Gott Wischnu in seiner dritten Inkarnation, der sich dem Mahabala, dem riesenhaften Fürsten der Finsternis (gleichsam als dem Geist der Unwissenheit), entgegenstellt, welcher die Oberherrschaft in allen drei Welten erlangt hat. Diesem erscheint er zuerst in der Gestalt eines kleinen, zwergartigen Brahminen und bittet ihn nur um drei Fuß Land (die drei Begriffe Sein, Nichts, Werden), kaum hat der Riese diese gewährt, so dehnt sich der Zwerg zu einer[165] ungeheuern Gestalt aus, reißt mit einem Schritte die Erde, den Himmel mit dem andern an sich, und ist eben im Begriff, mit dem dritten auch die Hölle zu umfassen, als der Riese sich ihm zu Füßen wirft und demütig die Macht des höchsten Gottes erkennt, der nun seinerseits großmütig ihm die Herrschaft im Reich der Finsternis (versteht sich unter seiner Oberherrschaft) überläßt. Wir wollen nun also zugeben, daß die drei Begriffe Sein, Nichts, Werden nichts mehr außer sich voraussetzen und daß sie die ersten reinen Gedanken sind. Aber diese Begriffe haben noch eine Bestimmung an sich: einer ist der erste, einer der zweite, im ganzen sind es drei, und diese Dreiheit wiederholt sich in der Folge, wo schon mehr Raum gewonnen ist, in immer größeren Dimensionen. Hegel selbst spricht oft genug von der immer sich wiederholenden dreigliederigen Einteilung oder Trichotomie der Begriffe. Wie komme ich nun aber dazu, hier am äußersten Rand der Philosophie, wo sie noch kaum den Mund auftun darf, mit Mühe nur Wort und Rede findet, den Begriff Zahl anzuwenden?
Aber außer diesem allgemeinen Ruhm, nichts vorauszusetzen, vindiziert sich jene Philosophie noch den besonderen, das vorhergegangene System darin übertroffen zu haben, daß diesem das Absolute eine bloße Voraussetzung, ihr aber ein Resultat, ein Erzeugtes, Begründetes sei. Darin liegt nun ein Mißverstand, den ich kürzlich auseinandersetzen will. Wie Sie wissen, so ist jenem System das Absolute als Ausgangspunkt (als terminus a quo) reines Subjekt. Geradeso, wie Hegel sagt, die wahrhaft erste Definition des Absoluten sei: das Absolute ist das reine Sein, so konnte ich sagen: die wahrhaft erste Definition des Absoluten ist, Subjekt zu sein. Nur insofern, als dieses Subjekt sogleich auch in der Möglichkeit gedacht werden muß, Objekt (= entselbstetes Subjekt) zu werden, nannte ich das Absolute auch Gleichgültigkeit (Gleichmöglichkeit, Indifferenz) von Subjekt und Objekt, so wie ich es späterhin, da es schon im Actus gedacht wird, lebendige, ewig bewegliche, in nichts aufzuhebende Identität des[166] Subjektiven und Objektiven genannt habe. Das Absolute ist also in dem früheren System nicht anders und nur so Voraussetzung, wie in Hegels System das reine Sein Voraussetzung ist, von dem er ja auch sagt: es sei der erste Begriff des Absoluten. Aber das Absolute ist allerdings nicht bloß Anfang oder bloße Voraussetzung, es ist ebensowohl auch Ende und in diesem Sinn Resultat – nämlich das Absolute in seiner Vollendung. Aber das so bestimmte Absolute, das Absolute, inwiefern es nun schon alle Momente des Seins unter und relativ außer sich hat und als nicht mehr in das Sein, in das Werden herabsteigen könnender, d.h. als seiender und bleibender Geist gesetzt ist – dieses Absolute ist dem früheren System ebensowohl Ende oder Resultat. Der Unterschied zwischen dem Hegelschen und dem früheren System ist, was das Absolute betrifft, eben nur dieser. Das frühere System kennt nicht ein doppeltes Werden, ein logisches und ein reales, sondern von dem abstrakten Subjekt, dem Subjekt in seiner Abstraktion ausgehend, ist es mit dem ersten Schritt in der Natur, und es bedarf nachher keiner weiteren Erklärung des Übergangs von dem Logischen in das Reale. Hegel dagegen erklärt seine Logik als diejenige Wissenschaft, worin sich die göttliche Idee logisch, d.h. im bloßen Denken, vor aller Wirklichkeit, Natur und Zeit vollendet, hier also hat er die vollendete göttliche Idee schon als logisches Resultat, aber er will sie gleich nachher nochmals (nämlich nachdem sie durch die Natur und geistige Welt hindurchgegangen ist) als reales Resultat haben. So hat Hegel allerdings vor dem früheren System etwas voraus, nämlich, wie schon gesagt, das doppelte Werden. Ist aber die Logik die Wissenschaft, in der sich die göttliche Idee im bloßen Denken vollendet, so müßte man erwarten, daß nun die Philosophie geschlossen wäre oder, wenn sie weiter fortschritte, der Fortgang nur noch in einer ganz andern Wissenschaft sein könnte, in welcher nicht mehr bloß von der Idee die Rede ist, wie in der ersten. Hegeln aber ist die Logik nur ein Teil der Philosophie, die Idee hat sich logisch vollendet, und nun soll sich dieselbe Idee[167] real vollenden. Denn es ist die Idee, die den Übergang in die Natur macht. Ehe ich von diesem Übergang rede, will ich noch eines anderen Tadels erwähnen, welcher dem Identitätssystem von seiten Hegels gemacht worden ist. Der eben berührte Vorwurf nämlich (in der vorangegangenen Philosophie sei das Absolute eine bloße Voraussetzung gewesen) wurde auch so ausgedrückt: diese Philosophie habe sich in betreff des Absoluten, anstatt es auf dem Wege der Wissenschaft zu beweisen, auf die intellektuelle Anschauung berufen, von der man gar nicht wisse, was sie sei: gewiß sei aber, daß sie nichts Wissenschaftliches sei, sondern etwas bloß Subjektives, am Ende vielleicht nur Individuelles, eine gewisse mystische Intuition, deren sich nur einige Begünstigte rühmen, mit deren Vorgeben man es sich also in der Wissenschaft bequem machen könnte.
Hier ist vor allem zu bemerken, daß in der ersten urkundlichen Darstellung der Identitätsphilosophie, der einzigen, welche der Urheber als die streng wissenschaftliche von jeher anerkannt hat5, das Wort intellektuelle Anschauung gar nicht vorkommt und man demjenigen eine Belohnung aussetzen könnte, der es in ihr entdeckte. Dagegen ist von intellektueller Anschauung allerdings zuerst ursprünglich die Rede in einer jener Darstellung vorausgegangenen Abhandlung.6 Aber wie ist dort von ihr die Rede? Um dies zu erklären, muß ich auf die Bedeutung der intellektuellen Anschauung bei Fichte zurückgehen. Denn das Wort schreibt sich zwar schon von Kant, die Anwendung desselben aber auf den Anfang der Philosophie schreibt sich von Fichte her. Fichte verlangte zum Anfang ein unmittelbar Gewisses. Dieses war ihm das Ich, dessen er sich durch intellektuelle Anschauung als eines unmittelbar[168] Gewissen, d.h. als eines unzweifelhaft Existierenden, versichern wollte. Der Ausdruck der intellektuellen Anschauung war eben das mit unmittelbarer Gewißheit ausgesprochene »Ich bin«. Intellektuelle Anschauung wurde der Akt genannt, weil hier nicht, wie in der sinnlichen Anschauung, Subjekt und Objekt ein anderes, sondern dasselbe ist. Nun sage ich in der angeführten Abhandlung, nicht das Ich, wie es in der intellektuellen Anschauung als unmittelbar Gewisses ist, sondern das durch Abstraktion von dem Subjekt in der intellektuellen Anschauung Gewonnene, das aus der intellektuellen Anschauung herausgenommene, d.h. allgemeine, bestimmungslose Subjekt-Objekt, das insofern nun nicht mehr ein unmittelbar Gewisses ist, sondern herausgenommen aus der intellektuellen Anschauung nur noch Sache des reinen Gedankens sein kann: dies erst sei der Anfang der objektiven, von aller Subjektivität befreiten Philosophie. – Fichte hatte sich auf die intellektuelle Anschauung berufen, um die Existenz des Ich zu beweisen: wie konnte nun sein Nachfolger mit derselben intellektuellen Anschauung die Existenz dessen beweisen wollen, was gar nicht mehr das Ich, sondern das absolute Subjekt-Objekt ist? Das Beweisende der intellektuellen Anschauung in bezug auf das Ich liegt bloß in ihrer Unmittelbarkeit; im »Ich bin« ist unmittelbare Gewißheit, aber auch im »es ist« das allgemeine Subjekt-Objekt Ist? da ist ja alle Kraft der Unmittelbarkeit verloren. Um Existenz konnte es dabei gar nicht mehr zu tun sein, sondern nur um den reinen Inhalt, um das Wesen dessen, was in der intellektuellen Anschauung enthalten war. Das Ich ist nur ein bestimmter Begriff, eine bestimmte Form des Subjekt-Objekts, diese soll abgestreift werden, damit das Subjekt-Objekt überhaupt als der allgemeine Inhalt alles Seins hervortrete. Die Erklärung, man müsse aus der intellektuellen Anschauung den allgemeinen Begriff des Subjekt-Objekts nehmen, war Beweis genug, daß es um die Sache, um den Inhalt, nicht um die Existenz zu tun war. Hegel mochte es tadeln, wenn ich es nicht deutlich und ausdrücklich genug gesagt hatte,[169] obwohl es deutlich genug gesagt war, daß es nicht mehr, wie bei Fichte, um das Sein, um die Existenz sich handle7, statt dessen setzt er voraus: weil Fichte mit der intellektuellen Anschauung die Existenz des Ich bewiesen, so wolle ich in derselben auch die Existenz des allgemeinen Subjekts-Objekts beweisen. Gegen das Vorhaben hat er nichts, er tadelt nur die ungenügende Art des Beweises. Freilich handelt es sich um das, was Ist; aber eben dieses soll erst gesucht werden. Man hat es noch nicht einmal als ein wirklich Gedachtes, d.h. als ein logisch Verwirklichtes: es ist von Anfang vielmehr bloß das Gewollte; »die Pistole, aus der es geschossen wird«, ist das bloße Wollen desselben, das aber im Widerspruch mit dem seiner nicht habhaft Werden, es nicht zum Stehen bringen Können, unmittelbar in die fortschreitende und fortziehende Bewegung, in der sich das Seiende bis zum Ende als das nie Verwirklichte, nur erst zu Verwirklichende verhält, mit fortgerissen wird.
Die Frage ist ja selbst erst: Was Ist, wie könnte also das, wovon ausgegangen wird, selbst schon seiend – ein Existierendes sein, da ja das Seiende, Existierende erst gefunden werden soll. Hegel freilich will nicht das Absolute sondern das existierende Absolute, und setzt voraus, die vorangegangene Philosophie habe es auch gewollt, und da er in ihr keine Anstalt sieht, die Existenz des Absoluten zu beweisen (wie er sie durch seine Logik beweisen will), so meint er, der Beweis habe einfach schon in der intellektuellen Anschauung liegen sollen.
Ich bemerke, daß in jener (ersten) Darstellung des Identitätssystems das Wort, das Absolute, gar nicht vorkam, so[170] wenig als das intellektuelle Anschauung; das Wort konnte in ihr nicht vorkommen, weil sie nicht bis zum Ende geführt war. Denn das Absolute nannte jene Philosophie nur die bei sich stehenbleibende, seiende, von jedem Fortgang und fernerem Anderswerden freigesprochene Potenz. Diese war das Letzte, reine Resultat. Das durchs Ganze Hindurchgehende aber nannte jene Philosophie nicht das Absolute, sondern die absolute Identität, eben um jeden Gedanken an ein Substrat, an eine Substanz zu entfernen. Zur Substanz, zum Seienden wird es eben erst im letzten Moment, denn die ganze Bewegung hatte ja nur die Absicht, das Seiende (das, was Ist) als das Seiende zu haben, was im Anfang, der eben darum als Indifferenz bezeichnet wurde, unmöglich war. Vorher ist es nichts, wovon ich einen Begriff habe, sondern selbst nur den Begriff alles Seienden als eines Folgenden. Es ist das, was nie war, das, sowie es gedacht wird, verschwindet und immer nur im Folgenden Ist, aber auch da nur auf gewisse Weise ist, also erst im Ende eigentlich Ist. Da also nimmt es auch erst den Namen des Seienden sowie den des Absoluten an. Wohl absichtlich hatte sich darum die (erste) Darstellung lauter solcher abstrakten Ausdrücke, wie absolute Indifferenz, absolute Identität, bedient, nur erst in späteren Darstellungen erlaubte man sich vielleicht aus einer Art von Kondeszendenz für diejenigen, welche schlechterdings ein Substrat verlangten, auch gleich den Ausdruck das Absolute im Anfang zu brauchen.
Aber indem ich nun die intellektuelle Anschauung in dem Sinn, in welchem sie mir Hegel zuschieben will, zurückweise, so folgt daraus nicht, daß sie bei mir nicht eine andere Bedeutung hatte und in dieser allerdings von mir auch jetzt noch festgehalten wird.
Jenes absolut Bewegliche, von dem ich soeben sprach, das fortwährend ein Anderes ist, in keinem Moment sich festhalten läßt, das erst im letzten Moment (bemerken Sie diesen Ausdruck wohl!), das erst im letzten Moment wirklich gedacht wird, wie verhält sich dieses Bewegliche zu dem Denken? Offenbar nicht einmal als eigentlicher Gegenstand[171] desselben; denn unter Gegenstand versteht man etwas Stillhaltendes, Stillstehendes, Bleibendes. Nicht eigentlich Gegenstand ist es, vielmehr die ganze Wissenschaft hindurch die bloße Materie des Denkens; denn das wirkliche Denken äußert sich eben nur in der fortgehenden Bestimmung und Gestaltung dieses an sich Unbestimmten, dieses nie sich selbst Gleichen, immer ein Anderes Werdenden. Diese erste Unterlage, diese wahre prima materia alles Denkens kann daher nicht das eigentlich Gedachte, nicht in dem Sinn Gedachte sein, wie es die einzelne Gestaltung ist. Wenn das Denken beschäftigt ist mit der Bestimmung dieser Materie, so denkt es nicht an diese Unterlage selbst, sondern nur an diese Begriffsbestimmung, die es in sie hineinsetzt – (Bildhauer-Ton) – sie ist also das im Denken doch eigentliche nicht Gedachte. Ein nichtdenkendes Denken wird aber wohl von einem anschauenden Denken nicht weit entfernt sein, und insofern geht ein Denken, dem eine intellektuelle Anschauung zugrunde liegt, durch diese ganze Philosophie hindurch, wie durch die Geometrie, in welcher die äußere Anschauung der Figur, die an der schwarzen Tafel oder sonst verzeichnet ist, stets nur der Träger einer inneren und geistigen ist. Dies also sei einer allerdings anschauungslosen Philosophie gegenüber gesagt.
Hegel also (um auf ihn zurückzukehren) will das Absolute, ehe er es zum Prinzip nimmt, als Resultat einer Wissenschaft, und diese Wissenschaft ist eben die Logik. Also diese ganze Wissenschaft hindurch ist die Idee im Werden. Unter »Idee« versteht auch Hegel das zu Verwirklichende, das im ganzen Verlauf Werdende und Gewollte: es ist die im Anfang vom reinen Sein ausgeschlossene Idee, die an dem Sein gleichsam zehrt, was eben durch die hineingesetzten Begriffsbestimmungen geschieht; nachdem sie es nun ganz aufgezehrt und in sich verwandelt hat, ist sie selbst natürlich die verwirklichte Idee. Diese am Ende der Logik verwirklichte Idee ist genau ebenso bestimmt, wie das Absolute am Ende der Identitätsphilosophie bestimmt war, als Subjekt Objekt, als Einheit des Denkens und[172] Seins, des Idealen und Realen usw.8 Aber als die so verwirklichte ist sie eben schon auf der Grenze des bloß Logischen, also ist mit ihr entweder überhaupt nicht fortzugehen, oder nur außerhalb dieser Grenze, so daß sie die Stellung, die sie als bloßes Resultat der logischen Wissenschaft noch in dieser hat, ganz verlassen und in die unlogische, ja dem Logischen entgegengesetzte Welt übergehen muß. Diese dem Logischen entgegengesetzte Welt ist die Natur; diese Natur ist aber nicht mehr die apriorische, denn diese hätte in der Logik sein müssen. Allein die Logik hat nach Hegel die Natur noch ganz außer sich. Die Natur fängt ihm an, wo das Logische aufhört. Daher ist ihm die Natur überhaupt nur noch die Agonie des Begriffs. – Mit Recht, sagt Hegel in der ersten Ausgabe seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften9, ist die Natur als der Abfall der Idee von sich selbst bestimmt worden. (In der zweiten Ausgabe seiner Enzyklopädie10 läßt Hegel das »mit Recht« aus und sagt bloß noch: die Natur sei als Abfall von der Idee bestimmt worden, wo also der Satz nur noch die Bedeutung einer geschichtlichen Anführung hat). Mit diesem »Abfall« stimmt ganz überein, was sonst von der Natur gesagt wird: in ihr sei der Begriff seiner Herrlichkeit entkleidet, ohnmächtig, sich selbst untreu geworden und vermöge sich nicht mehr zu behaupten. Kaum kann Jakobi die Natur schlechter machen, als sie Hegel dem Logischen gegenüber macht, von dem er sie ausgeschlossen und dem er sie jetzt nur noch entgegensetzen kann. Aber in der Idee liegt überhaupt keine Notwendigkeit zu irgendeiner Bewegung, mit der sie ja nicht etwa noch in sich selbst fortschreiten könnte (denn das ist unmöglich, weil sie ihre Vollendung schon hat), sondern vielmehr ganz von sich abbrechen mußte. Die Idee am Ende der Logik ist Subjekt und Objekt, ihrer selbst bewußt, als das Ideale auch das Reale,[173] das also kein Bedürfnis mehr hat, weiter und auf andere Weise, als sie es schon ist, reell zu werden. Wird also doch angenommen, daß etwas der Art geschehen, so wird es nicht angenommen wegen einer Notwendigkeit in der Idee selbst, sondern lediglich, weil die Natur eben existiert. Man hat sich wohl, um irgendeinen Grund zum Weitergehen der Idee auszufinden, damit helfen wollen, daß man sagte: sie existiert zwar am Ende der Logik, aber sie ist noch nicht bewährt, sie muß also aus sich gehen, um sich zu bewähren. Aber dies ist eine von den zahlreichen Vorspiegelungen, mit denen man nur Gedankenlose täuschen kann. Denn für wen soll sich die Idee bewähren? Für sich selbst? Aber sie ist die ihrer selbstsichere und gewisse und weiß voraus, daß sie im Anderssein nicht untergehen wird; für sie wäre dieser Kampf ohne allen Zweck. Also hätte sie sich zu bewähren für einen Dritten, einen Zuschauer? Aber wo ist dieser? Am Ende soll sie sich doch nur für den Philosophen bewähren, d.h., der Philosoph muß wünschen, daß die Idee sich zu dieser Entäußerung hergebe, damit ihm Gelegenheit gegeben sei, die Natur und die geistige Welt, die Welt der Geschichte, zu erklären. Denn man würde einer Philosophie lachen, die bloß Logik im Hegelschen Sinne wäre und von der wirklichen Welt gar nichts wüßte: wie es denn auch nicht die Logik, sondern die Idee der Natur- und der Geistesphilosophie war, die dieser schon vor sich fand, die allein die Aufmerksamkeit erregen konnte, welche die Hegelsche Philosophie gefunden hat. In der Logik liegt nichts Weltveränderndes. Hegel muß zur Wirklichkeit kommen. In der Idee selbst aber ist also durchaus keine Notwendigkeit der Weiterbewegung oder des Anderswerdens. »Die Idee, sagt Hegel11, die Idee in der unendlichen Freiheit, in der sie ist (also die vollendete Idee, Freiheit ist nur, wo Vollendung, nur das Absolute ist los- und freigesprochen von jedem notwendigen Fortgang) – die Idee in der unendlichen Freiheit, in der Wahrheit ihrer[174] selbst entschließt sich, sich als Natur oder in der Form des Andersseins aus sich zu entlassen«. Dieser Ausdruck »entlassen« – die Idee entläßt die Natur – gehört zu den seltsamsten, zweideutigsten und darum auch zaghaftesten Ausdrücken, hinter die sich diese Philosophie bei schwierigen Punkten zurückzieht. Jakob Böhme sagt: die göttliche Freiheit erbricht sich in die Natur. Hegel sagt: die göttliche Idee entläßt die Natur. Was soll man nun unter diesem Entlassen denken? So viel ist klar: dieser Erklärung der Natur geschieht noch die größte Ehre, wenn man sie theosophisch nennt. Wer übrigens noch hätte zweifeln können, daß die Idee am Ende der Logik als die wirklich existierende gemeint sei, müßte sich jetzt davon überzeugen; denn was sich frei entschließen soll, muß ein wirklich Existierendes sein, ein bloßer Begriff kann sich nicht entschließen. Es ist ein böser Punkt, bei welchem die Hegelsche Philosophie hier angelangt ist und der beim Anfang der Logik nicht vorgesehen worden, ein garstiger breiter Graben, deren Aufzeigung (mit einigen Worten war in der Vorrede zu Cousin zuerst davon die Rede) zwar viel böses Blut, aber durchaus keine irgend brauchbare und nicht bloß trügerische Auskunft zur Folge gehabt hat.
Man kann nun zwar schlechterdings nicht begreifen, was die Idee bewegen sollte, nachdem sie zum höchsten Subjekt erhoben, das Sein ganz aufgezehrt hat, doch sich wieder subjektlos zu machen, zum bloßen Sein herabzusetzen und sich in die schlechte Äußerlichkeit des Raumes und der Zeit zerfallen zu lassen. Indessen hat sich nun die Idee in die Natur geworfen, aber nicht um in der Materie zu bleiben, sondern durch sie wieder zum Geist, zunächst zum menschlichen Geist zu werden. Der menschliche Geist ist aber nur der Schauplatz, auf dem der Geist überhaupt durch eigne Tätigkeit die Subjektivität, die er im Menschengeist angenommen, wieder wegarbeitet, sich so zum absoluten Geist macht, welcher zuletzt alle Momente der Bewegung als seine eignen unter sich aufnimmt und Gott ist.
Auch hier werden wir das Eigentümliche des Systems[175] am besten so treffen, wenn wir sehen, welches Verhältnis es sich in Ansehung dieses Letzten und Höchsten zu der unmittelbar vorausgehenden Philosophie gibt. Dieser wird vorgeworfen, Gott sei in ihr nicht als Geist, sondern nur als Substanz bestimmt gewesen. Durch das Christentum und durch den Katechismus wird freilich jeder angewiesen, Gott als Geist nicht nur zu denken, sondern zu wollen und zu meinen; so wird niemand es als seine Entdeckung ansprechen können, daß Gott Geist sei. So kann es auch nicht gemeint sein. In der Tat will ich nicht darüber streiten, ob die Identitätsphilosophie sich des Ausdrucks Geist bedient, um die Natur des Absoluten auszusprechen, am Ende nämlich, oder sofern es letztes Resultat ist. Das Wort (Geist) hätte freilich erbaulicher geklungen. Für die Sache konnte ich indes hinlänglich halten, daß Gott als das seiende, bleibende Selbstobjekt (Subjekt-Objekt) bestimmt war, denn auch so war er, um den Aristotelischen Ausdruck zu brauchen, der sich selbst Denkende (ho heauton noôn) und, wenn auch nicht Geist genannt, doch dem Wesen nach Geist, und in diesem Sinne nicht Substanz, wenn Substanz eben das blind Seiende bedeuten soll. Und auch daß er nicht Geist genannt wurde, konnte guten Grund haben. Denn man hat keine Ursache, in der Philosophie mit Worten verschwenderisch zu sein, und sollte sich daher wohl bedenken, das Absolute, das nur Ende ist, mit dem Wort Geist zu bezeichnen. Strenggenommen müßte dies auch von dem Wort Gott gelten. Denn der Gott, sofern er nur Ende ist, wie er in der rein rationalen Philosophie nur Ende sein kann, der Gott, der keine Zukunft hat, der nichts anfangen kann, der bloß als Finalursache, auf keine Weise Prinzip, anfangende, hervorbringende Ursache sein kann, ein solcher Gott ist doch offenbar nur in der Natur und dem Wesen nach Geist, also in der Tat nur substantieller Geist, nicht Geist in dem Sinn, in welchem die Frömmigkeit oder auch der gewöhnliche Sprachgebrauch das Wort zu nehmen pflegt; hier gebraucht wäre es nur ein täuschender Ausdruck gewesen. Auch bei Hegel konnte das Absolute doch nur substantieller Geist sein,[176] wie das Wort Geist überhaupt nur mehr negative als positive Bedeutung hat, da ja dieser letzte Begriff auch nur durch sukzessive Negation alles andern entsteht. Die Benennung dieses Letzten, d.h. die Bezeichnung seines Wesens, konnte von nichts Körperlichem hergenommen werden, es blieb nur der allgemeine Name Geist, und da es auch nicht menschlicher, endlicher Geist ist (denn auch dieser ist auf einer früheren Stufe schon gesetzt), so ist es also notwendig unendlicher, absoluter Geist, aber doch bloß dem Wesen nach, denn wie sollte wirklicher Geist sein, was von dem Ende, an das es gesetzt ist, nicht hinweg kann, das nur die Funktion hat, die vorhergehenden Momente alle unter sich als alles Beschließendes aufzunehmen, aber nicht selbst Anfang und Prinzip von etwas zu sein.
Auch Hegel war im Anfang nicht verlassen von dem Bewußtsein der Negativität dieses Endes, wie es überhaupt der andringenden Macht des Positiven, die Befriedigung in dieser Philosophie verlangte, nur allmählich gelang, dem Identitätssystem das Bewußtsein seiner Negativität zu entziehen. Im ersten Entstehen mußte dieses Bewußtsein vorhanden sein, denn sonst hätte diese Philosophie nicht entstehen können. Auch bei Hegel ist wenigstens in seiner frühesten Darstellung da, wo er auf das Letzte kommt, noch ein Nachklang davon, daß durchaus an kein wirkliches Geschehen oder Geschehensein zu denken sei. Ich meine damit einen Paragraphen der ersten Ausgabe seiner Enzyklopädie der philosop
Zur Geschichte der neueren Philosophie读后感篇八
[51] Wenn man sich das Descartessche System nach seiner wahren Beschaffenheit vergegenwärtigt, so sehnt man sich nach einer besseren, schöneren, beruhigenderen Gestalt, welche sich denn auch sogleich im Spinozismus entdeckt.
Spinoza, den man als Schüler und unmittelbaren Nachfolger von Descartes ansehen kann, geboren zu Amsterdam 1632, hatte schon, ehe er sein eigentliches System aufstellte, das Descartessche aber in der Richtung oder mit dem Bestreben bearbeitet, dessen System einen wirklich objektiven Zusammenhang zu geben. Der entscheidende Schritt zu seinem eignen System geschah, indem er das an sich Erste zum alleinigen Ausgangspunkt machte, aber auch an diesem nicht mehr in Betracht zog, als was sich mit Notwendigkeit erkennen ließ, nämlich die notwendige Existenz. Spinoza behielt von dem Descartesschen Begriff, in welchem Gott noch immer mehr als das notwendig existierende Wesen war, nichts bei als eben diese Bestimmung; Gott war ihm nur das notwendig existierende Wesen; alle bei Descartes diesem Begriff vorangegangenen Überlegungen schnitt er ab und fing gleich nur mit einer Definition der Substanz an, unter welcher er eben verstand id, ad cujus naturam pertinet existere, oder id, quod cogitari non potest nisi existens, was ohne Widerspruch gar nicht als nicht seiend gedacht werden kann. Inwiefern Spinoza das notwendig Existierende als Substanz, und zwar als absolute, allgemeine Substanz bestimmte, insofern sieht man wohl, er hatte sich das notwendig Existierende zuerst gedacht als das allgemeine Subjekt des Seins, was bloß als solches gedacht noch nicht das Seiende ist, sondern nur die Voraussetzung, die Möglichkeit des Seins, wie z.B. der Mensch als Subjekt der Krankheit gedacht, darum noch nicht wirklich krank, sondern[51] nur der krank sein Könnende ist. Die einzelnen wirklichen Dinge sind keineswegs das Subjekt des Seins selbst, obwohl sie seiend sind; sie sind seiend nur durch Teilnahme an dem Sein, nicht, daß sie gar nicht nicht sein könnten, denn vielmehr können sie nicht sein, weil ihr Sein an das so Sein geknüpft ist. Es ist natürlich zu demjenigen aufzusteigen, von welchem nicht bloß das so Sein, sondern von welchem das Sein überhaupt prädikabel ist, cujus actus est Existere, und dieses ist nur das allgemeine oder absolute Subjekt des Seins, was wir auch das Seiende selbst nennen. Man kann versuchen, es rein und abstrakt, wo es noch das bloße Prius des Seins ist, festzuhalten; hier wäre es dann das bloß im Gedanken Seiende, das nur ein Sein im Denken hat (in diesem Sinn Einheit von Denken und Sein – negativ nämlich genommen, daß das Sein nicht außer dem Denken, also kein transitives, sondern bloß immanentes); allein, wie schon gesagt, es ist in dieser Enge nicht festzuhalten, es ist nicht bloß im logischen, es ist auch im transitiven Sinn das nicht nicht sein Könnende, und so früh ich kommen mag, gleichsam eh' ich Zeit gehabt habe zu denken – vor allem Denken ist es mir oder finde ich es schon als das Seiende, weil es als das Subjekt alles Seins eben das seiner Natur nach Seiende (sc. ist), nie als nicht seiend zu denken ist.
Dieses also ist der Ursprung des spinozischen Begriffs, der, wie die Geschichte der Philosophie zeigt, bis auf die gegenwärtige Zeit der Punkt ist, um den sich alles bewegt, oder vielmehr die Gefangenschaft des Denkens, von welcher sich dieses durch die aufeinander gefolgten Systeme zu emanzipieren gesucht hat, ohne bis jetzt dahin gelangen zu können. Es ist der Begriff, vermöge dessen in Gott explizite – ausdrücklich – weder Wille noch Verstand ist, nach welchem er wirklich nur der blind Existierende ist – wir können auch sagen: der subjektlos Existierende, weil er nämlich ganz und vollständig übergegangen ist in das Sein. In der Möglichkeit ist noch immer eine Freiheit vom Sein, also auch gegen das Sein. Aber die Möglichkeit ist hier verschlungen von dem Sein. Weil jenes Erste das nur[52] sein Könnende ist (nicht auch das nicht sein Könnende), so ist es eben darum das nur Seiende, d.h. das mit Ausschließung alles Nichtseins – mit Ausschließung aller Potenz – aller Freiheit Seiende (denn Freiheit ist Nicht sein). Demnach ist es das potenzlos und in dem Sinn das ohnmächtig Seiende, als es durchaus nicht die Macht eines anderen Seins in sich hat. Spinoza nennt Gott Causa sui, aber in dem engeren Sinn, daß er durch die bloße Notwendigkeit seines Wesens Ist, also nur Ist, ohne als sein könnend (als causa) festgehalten werden zu können, die Ursache ist ganz in die Wirkung aufgegangen und verhält sich nur noch als Substanz, gegen die sein Denken nichts vermag. Denn überrascht gleichsam von dem blinden Sein, als dem Unversehenen, dem kein Denken zuvorkommen kann (daher dieses Sein allerdings die Existentia fatalis, das System selbst Fatalismus ist), übereilt, sage ich, von dem blindlings über ihn stürzenden, seinen eignen Anfang verschlingenden Sein, verliert er gegen dieses Sein selbst die Besinnung, alle Kraft, alle Freiheit der Bewegung. Daher kann man allerdings auch dem Spinozismus jene beruhigende Wirkung zuschreiben, die unter anderem Goethe an ihm gepriesen hat; der Spinozismus ist wirklich die das Denken in Ruhestand, in völlige Quieszenz versetzende Lehre, in ihren höchsten Folgerungen das System des vollendeten theoretischen und praktischen Quietismus, der wohltätig erscheinen kann unter den Stürmen des nie ruhenden, immer beweglichen Denkens, wie Lukrez (II, 1. 2.) den Zustand einer solchen Ruhe schildert: Suave, mari magno, süß ist's bei empörtem Meer von fernem Ufer der andern Not zu schauen – magnum alterius spectare laborem, nicht daß man an fremdem Unfall sich erfreut, sondern weil man sich selbst von dieser Bedrängnis frei fühlt. Unstreitig ist es diese Stille und Ruhe des Spinozischen Systems, welche besonders die Vorstellung seiner Tiefe hervorbringt und mit verborgenem, aber unwiderstehlichem Reiz so viele Gemüter angezogen hat. Stets wird auch das Spinozische System in gewissem Sinn Muster bleiben. Ein System der Freiheit – aber in ebenso[53] großen Zügen, in gleicher Einfachheit, als vollkommenes Gegenbild des Spinozischen – dies wäre eigentlich das Höchste. Darum ist der Spinozismus, den vielen Angriffen auf ihn und den vielen angeblichen Widerlegungen ohngeachtet, nie zu einer wahren Vergangenheit, nie bisher wirklich überwunden worden, und es kann wohl keiner hoffen, zum Wahren und Vollendeten in der Philosophie fortzugehen, der nicht einmal wenigstens in seinem Leben sich in den Abgrund des Spinozismus versenkt hat. Keiner, der sich seine selbstgegründete Überzeugung verschaffen will, sollte das Hauptwerk des Spinoza, seine Ethik (denn unter diesem Titel hat er sein System vorgetragen) ungelesen lassen, wie ich denn überhaupt jeden, dem es Ernst ist um seine Bildung, nicht nur zum eifrigsten Selbststudium ermahnen will, das kein Lehrer ersetzen kann, sondern zugleich zu der größten Gewissenhaftigkeit und Vorsicht in der Wahl dessen, was er liest. Zu den unvergänglichen Schriftstellern gehört besonders auch Spinoza. Er ist groß durch die erhabene Einfalt seiner Gedanken und seiner Schreibart, groß durch seine Entfernung von aller Scholastik wie auf der andern Seite von allem Schmuck oder Prunk der Rede. – – Fragen wir nun aber, um welchen Preis jene tiefe Ruhe des Spinozischen Systems erkauft ist, so müssen wir antworten: um den Preis, daß Gott bloße Substanz ist, nicht freie Ursache, daher auch die Dinge zu ihm bloß ein Verhältnis haben können als zur Substanz, nicht als zur Ursache. Gott ist nicht der frei schaffende oder hervorbringende Geist, der außer sich, außer seinem unmittelbaren Sein zu wirken vermag, er ist ganz eingeschlossen in sein unvordenkliches Sein, also können auch die Dinge nur in ihm sein, nur besondere Formen oder Arten, in denen sich das göttliche Sein darstellt, nicht daß Gott selbst dadurch beschränkt würde, sondern daß jedes Ding das unmittelbare göttliche Wesen in sich nur auf eine gewisse und bestimmte Weise ausdrückt. Wenn nun gleich Gott selbst durch diese Formen nicht beschränkt ist, inwiefern er selbst über jede hinausgeht, so verlangt man doch natürlich zu wissen, wie diese Beschränkungen[54] des Seins in Gott hineinkommen. Alles, was Spinoza hierauf antwortet, ist, daß jene Affektionen und also die Dinge gerade so zur göttlichen Natur gehören und aus ihr folgen, wie die Affektionen des Dreiecks aus der Natur des Dreiecks folgen und zu ihr gehören, d.h., es ist zwischen Gott und den Dingen kein freier, sondern ein notwendiger Zusammenhang. Aber die Art und Weise dieses notwendigen Zusammenhangs zeigt er nicht. Zwar er nimmt Mittelglieder an zwischen den konkreten Dingen selbst und zwischen Gott, d.h., er läßt die Dinge nicht unmittelbar aus Gott entstehen. Insofern könnte man für möglich halten, daß er irgendeine stetige Folge von Momenten oder Durchgangspunkten angebe, vermöge der ein verständlicher Übergang von der höchsten Idee bis zu den Dingen, und zwar nicht bloß den Dingen überhaupt, sondern den so beschaffenen und so gegeneinander abgestuften Dingen sich nachweisen ließe. Allein mit jenen Mittelgliedern hat es folgende Bewandtnis. Als die ersten Vermittlungen zwischen Gott und den Dingen setzt er die unendliche Ausdehnung und das unendliche Denken, die, wie er sagt, die unmittelbaren Attribute Gottes oder der unendlichen Substanz sind, d.h. die Formen, unter denen diese unmittelbar existiert (denn anders kann man sich den Begriff der Attribute wohl nicht erklären). Denken und Ausdehnung sind ihm also die zwei unmittelbaren und – jede in ihrer Art – gleich unendlichen Formen, unter welchen die schlechthin unendliche Substanz existiert, welche, inwiefern dies nur die zwei unmittelbaren Formen ihres Seins sind, insofern selbst welcher denkend noch ausgedehnt ist. Hier, scheint es nun, müßte Spinoza zurückgeführt werden auf den Begriff der Substanz an und für sich, und es müßte zu einer Erklärung der Attribute kommen. Die Substanz ist ihm causa sui, Ursache ihrer selbst. Diese causa sui könnte man erklären als das sich selbst Setzende. Dieses sich selbst Setzende, könnte man fortfahren, kann sich nur unter den zwei Formen, dem Denken und der Ausdehnung, als existierend setzen, etwa so, wie man späterhin gesagt hat, das sich selbst Setzende[55] setzt sich notwendig a) als Objekt (dies wäre bei Spinoza die unendliche Ausdehnung), b) als Subjekt (dies wäre Spinozas unendliches Denken). Allein man würde damit ihm Bestimmungen leihen, die in einer spätern Entwicklung erst hervorgetreten sind, und eben damit würde seine Eigentümlichkeit und seine individuelle Stellung in der Geschichte der Wissenschaft aufgehoben. Die Substanz des Spinoza ist ein Subjekt-Objekt, aber wobei das Subjekt ganz verlorengeht.
Aber, wird man fragen, wie kommt er denn nun zu jenen sogenannten Attributen? Antwort: Zunächst nur dadurch, daß Descartes den Gegensatz von Materie und Geist als Gegensatz von Ausgedehntem und Denkendem bestimmt und so das Universum gleichsam in zwei Welten, in die Welt des Denkens und die der Ausdehnung, geteilt hatte. Spinozas Herkunft von Descartes ist hier ganz deutlich. Gott ist ihm (dem Spinoza) nun allerdings nicht mehr der bloß gelegenheitliche, beiden äußerlich bleibende Vermittler zwischen dem einen und dem andern, sondern die bleibende und beständige Einheit. Dem Descartes ist das Denken außer Gott, Spinoza ist Gott selbst das unendliche Denken und selbst die unendliche Ausdehnung. Aber auch diese Einheit muß bei Spinoza nicht so genommen werden, wie man heutzutage wohl geneigt sein könnte, sie zu nehmen, nämlich so, daß das Denken auf die Ausdehnung wirkte, und daß die verschiedenen ausgedehnten Dinge sich eben dadurch voneinander unterschieden, daß an dem einen mehr, an dem andern weniger das Denken ausgedrückt wäre. So nicht. Denn außer der gemeinschaftlichen Folge aus derselben Substanz haben sie nichts miteinander gemein, sie bleiben sich so fremd als bei seinem Vorgänger. Nur während ihre Übereinstimmung bei diesem für jeden einzelnen Fall durch einen besondern Aktus vermittelt ist oder vermittelt wird, ist sie bei jenem ein für allemal da durch die Identität der Substanz. Die wahre Idee des Spinoza ist also eine absolute Einheit der Substanz bei absoluter Entgegensetzung (gegenseitiger Ausschließung) der Attribute. Das[56] Ausgedehnte ist ihm völlig so geistlos wie dem Descartes, und Spinozas Ansicht der Natur, seine Physik, ist aus diesem Grunde nicht weniger mechanisch und unlebendig als die seines Vorgängers. Die Einheit zwischen beiden Attributen ist also doch eine bloß formale und äußerliche, nicht eine in ihnen selbstgesetzte und in diesem Sinn immanente und substantielle. Die Zweiheit, die er in die Einheit setzt, begründet nicht einen wirklichen Pulsschlag, ein wahres Leben, denn die Entgegengesetzten bleiben tot und gleichgültig gegeneinander. Dies ist nur die notwendige Folge von dem, was schon bemerkt ist, daß Spinoza zu der Zweiheit der Attribute nicht von der Substanz aus, a priori gelangt. Sie sind ihm freilich Folgen, und zwar notwendige Folgen der Existenz der absoluten Substanz, aber er begreift sie nicht als diese Folgen. Er sagt wohl, sie sind es, aber erklärt sie nicht. Er weist jene Notwendigkeit nicht nach. Er nimmt sie also bloß a posteriori, aus der Erfahrung auf, weil er einmal anzuerkennen genötigt ist, daß die Welt nicht bloß aus Geist oder Denken, sondern zum Teil auch aus Materie oder ausgedehntem Wesen, und ebensowenig bloß aus Materie, sondern zum Teil auch aus Geist oder Denken besteht. Ja, wenn er der Notwendigkeit, die ihn zu seinem System trieb, sich selbst bewußt gewesen wäre, so hätte ihn diese wohl überhaupt auf keine Zweiheit geführt, und daß er außer dem Ausgedehnten auch noch das Denkende setzt, ist eigentlich eine bloße Korrektion seines Systems durch die Erfahrung. Denn das Ausgedehnte ist offenbar von beiden das Erste, das allein wahrhaft Ursprüngliche. Das Denken bezieht sich nur auf das Ausgedehnte und könnte ohne dieses gar nicht sein; der menschliche Geist z.B. ist eine Modifikation des unendlichen Denkens, die er Begriff nennt, aber dieser tätige oder lebendige Begriff ist nur der unmittelbare Begriff des menschlichen Körpers, d.h. der ganz unabhängig von ihm bestehenden, wiewohl ihm entsprechenden, Modifikation der unendlichen Ausdehnung. Wie kommt nun aber die unendliche Substanz dazu, außer dem Ausgedehnten auch noch den Begriff desselben[57] zu setzen, warum bleibt sie nicht gleich bei dem Ausgedehnten stehen, das doch dem Begriff des Ausgedehnten der Zeit, wenn auch nicht der Natur nach, vorausgeht? Auf diese Frage gibt es nur eine Antwort, oder es läßt sich nur auf eine Art erklären, daß man nämlich annimmt, daß die unendliche Substanz, indem sie das Ausgedehnte oder Sich als das Ausgedehnte setzt, sich selbst nicht völlig erschöpft; nur in diesem Fall ist sie genötigt, sich in einer höheren Stufe – in einer höheren Potenz, wie man dies später ausgedrückt hat – nochmals zu setzen; dieses Höhere kann nicht wieder das Ausgedehnte, wohl aber muß es der Begriff des Ausgedehnten sein oder zu dem Ausgedehnten sich als sein Begriff verhalten; denn immer ist das Höhere das Begreifende seines Vorausgesetzten oder Niederern, wie z.B. der Geist den Körper, seine Voraussetzung, begreift, nicht aber umgekehrt, oder die spätere Zeit immer eine frühere begreift, die sich selbst nicht begriffen. Allein diese Ansicht ist eine dem Spinoza völlig fremde, und ob er gleich die Seele den Begriff des Körpers nennt, so hat er doch für die Existenz der Seele, so wie dafür, außer dem Ausgedehnten auch noch das unendliche Denken zu setzen, keinen andern Grund als die Erfahrung. Daß er dem Ausgedehnten das Denken entgegensetzt, ist nur dem unwiderstehlichen Einfluß der Wirklichkeit zuzuschreiben und schon der Keim eines höheren Systems, der in dem seinigen liegt, ohne von ihm selbst begriffen zu sein. Deswegen ist Spinoza vorzüglich anregend und zum Studium empfehlenswert, weil in seinem System überall die Keime höherer Entwicklungen ausgestreut sind. Spinoza, dessen System übrigens selbst innerhalb seiner Schranke (daß Gott die Dinge 1. überhaupt nicht setzt und 2. schon darum nicht außer sich setzt), auch als System der bloßen Notwendigkeit, einer höheren Entwicklung fähig ist, stellt in der Geschichte der Philosophie die ganze Verschlossenheit des A. T. dar (er selbst war von jüdischer Geburt). Die höheren Entwicklungen einer späteren Zeit und ihre größeren Verhältnisse sind ihm noch fremd, aber sie sind doch vorbereitet[58] und zum Teil angedeutet, die verschlossene Knospe kann sich noch zur Blume entfalten. Man könnte sagen, die Philosophie des Spinoza (selbst innerhalb ihrer Schranke betrachtet) ist wie das Hebräische eine Schrift ohne Vokale eine spätere Zeit hat erst die Vokale dazu gesetzt und sie aussprechlich gemacht.
Der Gott des Spinoza ist noch ganz in Substantialität und dadurch in Unbeweglichkeit versunken. Denn Beweglichkeit (= Möglichkeit) ist nur im Subjekt. Die Substanz des Spinoza ist bloßes Objekt. Die Dinge folgen aus Gott nicht durch eine Bewegung, ein Wollen in ihm selbst, sondern auf jene stille Weise, wie nach seinem einen Gleichnis aus der Natur des rechtwinkeligen Dreiecks das Verhältnis der Hypotenuse und der Katheten folgt. Seiner Intention nach ist also der Zusammenhang ein bloß logischer. Allein er erklärt selbst diesen Zusammenhang nicht, er versichert nur, daß ein solcher stattfinde. Als erste Mittelglieder zwischen Gott und den einzelnen endlichen Dingen setzt er die beiden Arten des Seins, die unendliche Ausdehnung und das in seiner Art ebenso unendliche Denken. Aber die Substanz selbst schließt sich in ihnen nicht auf, sondern beharrt in ihrer Verschlossenheit als bloßer Grund ihrer Existenz, ohne als das gemeinschaftlich Seiende, als das lebendige Band derselben hervorzutreten. Auf die Frage, warum er der Gottheit gerade diese und keine andern Attribute gebe, antwortet er in einem seiner Briefe: dies geschehe bloß darum, weil an dem Menschen oder in der menschlichen Natur keine andern als diese beiden erkennbar seien (also kein Grund in der Substanz selbst, sondern bloß in der Erfahrung).
Dem unendlichen Denken und der unendlichen Ausdehnung gibt er dann wieder zwei untergeordnete Modos, wie er sie nennt, nämlich Bewegung und Ruhe. Diese also sind wieder die unmittelbaren Attribute der unendlichen Ausdehnung, so wie dann Wille und Verstand unmittelbare Attribute des unendlichen Denkens. Neue Mittelglieder. Allein er kommt dadurch den einzelnen, wirklichen Dingen nicht näher, die entweder ausgedehnte[59] oder denkende sind, und die Affektionen, d.h. Bestimmungen der unendlichen Substanz, zunächst entweder der als ausgedehnt oder der als denkend sich darstellen, den sind. Die ganze Folge ist also diese: Ganz zuoberst unendliche Substanz, hierauf Attribute, dann Modi, zuletzt Affektionen. Aber wie diese Affektionen im Unendlichen entstehen, diese Frage weist er ganz ab. Weil er schlechterdings keinen eigentlichen Übergang vom Unendlichen zu dem Endlichen zugeben kann, so läßt er keines dieser endlichen Dinge unmittelbar aus dem Unendlichen entspringen, sondern nur mittelbar, nämlich vermittelt durch ein anderes einzelnes oder endliches, das selbst wieder durch ein anderes vermittelt ist, usf. ins Unendliche. Jedes einzelne oder endliche Ding ist, wie Spinoza sagt, zum Dasein und Wirken bestimmt nicht von Gott schlechthin, sondern von Gott, sofern er selbst schon als affiziert gedacht wird von irgendeiner Bestimmung, und diese Bestimmung selbst wieder ist nicht unmittelbar von Gott gesetzt, sondern nur von Gott, sofern er wieder mit einer andern behaftet ist, usf. ins Unendliche. Ich komme also nie auf einen Punkt, wo ich die Frage aufwerfen könnte, wie die Dinge aus Gott folgen oder gefolgt sind. Spinoza leugnet also jeden wahren Anfang des Endlichen, von jedem Endlichen werden wir immer nur wieder an anderes Endliches gewiesen, von dem jenes zum Dasein bestimmt ist, dies geht ins Unendliche zurück, so daß wir nie fertig werden und nirgends einen unmittelbaren Übergang aus dem Unendlichen ins Endliche nachweisen können.
Wir sind genötigt, mit der Erklärung jedes Dings ins Unendliche zurückzugehen. Spinoza behauptet dennoch, daß jedes Ding zeitlicher Weise nur aus einem andern Ding, aus der Natur Gottes aber nur ewiger Weise (aeterno modo), aber so, daß eine die andere einschließt, folge. Alle Dinge – sowohl die jetzt seienden als die einst waren oder künftig sein werden – sind durch die Natur Gottes ewiger Weise, wie die Eigenschaften eines Dreiecks, gesetzt.[60]
Wie läßt sich nun das Ewige und also zugleich Gesetztsein mit jenem Rückgang ins Unendliche reimen, d.h., wie läßt sich jener Rückgang ins Unendliche dennoch in Ansehung Gottes zugleich als ein absolut präsenter oder gegenwärtiger denken? Spinoza antwortet hierauf durch ein mathematisches Gleichnis. Man denke sich, sagt er, zwei aus verschiedenen Mittelpunkten beschriebene Kreise, deren einer den andern einschließt, so werden die Ungleichheiten des zwischen diesen zwei Kreisen befindlichen Raums oder die Veränderungen, welche eine in diesem Zwischenraum bewegte flüssige oder weiche Materie erleiden müßte, alle Zahl Übertreffen. Und dennoch, sagt er, ist hier keine äußere Unendlichkeit. Gerade wie nun hier mit der bloßen Idee zweier aus verschiedenem Mittelpunkt, aber nicht konzentrisch beschriebenen Kreise eine unendliche Zahl von Ungleichheiten oder Veränderungen in einem beschränkten Raum gleichzeitig und actu gesetzt ist, so ist mit der Idee Gottes ein unendlicher Fortgang von einem Ding zum andern gesetzt. Man kann also innerhalb des mit Gott gesetzten Seins ins Unendliche fortgehen, ohne je aus der göttlichen Natur hervorzutreten, aber auch ohne je einen wahren Anfang des Endlichen zu finden. Kein Endliches ist unmittelbar aus Gott erklärbar. (Spinoza hat die eben beschriebene Figur zweier ineinander gelegter, aber nicht konzentrischer Kreise, die also in keinem Punkt gleich weit voneinander entfernt sind, als eine Art von Symbol oder Emblem seiner ganzen Philosophie betrachtet, und sie ist daher vor seinen opp. posth. in Kupfer gestochen. Der Mathematiker, sagt er näher, zweifelt keinen Augenblick, daß die Ungleichheiten des zwischen beiden befindlichen Raums oder die Zahl der Veränderungen, die eine in demselben bewegte nachgiebige Materie erleiden würde, durch keine Zahl bestimmbar, in diesem Sinn unendlich ist; er schließt dies nicht aus der Große des eingeschlossenen Raums. Denn ich kann von diesem Zwischenraum wieder einen beliebig großen oder kleinen Teil nehmen, und es ist immer dieselbe Unendlichkeit gesetzt, zum Beweis, daß dies eine[61] Unendlichkeit ist, die in der Natur der Sache liegt und mit der Sache, d.h. mit der Idee, gesetzt ist. So also ist mit der Natur Gottes eine wesentliche Unendlichkeit gesetzt, innerhalb welcher ich ins Unendliche fortgehen kann, ohne je aus der göttlichen Natur herauszutreten.)
Aber woher denn nun – nicht dieses oder jenes Ding, diese oder jene Affektion, sondern woher Affektionen der göttlichen Substanz überhaupt? Hierauf erteilt Spinoza keine Antwort, wie er denn auch keine erteilen kann. Bestimmung, Schranke usf. läßt sich nur denken, wo Besonnenheit ist, aber das Sein der Substanz ist ein völlig besinnungs- und in diesem Sinn schrankenloses, nämlich auch sich selbst nicht beschränkendes oder reflektierendes Sein. Spinoza setzt also Bestimmungen in die unendliche Substanz, nicht weil in ihr selbst oder ihrem Begriff eine Notwendigkeit liegt, sich selbst Bestimmungen zu geben, sondern weil er die Dinge nur als Selbstbestimmungen der unendlichen Substanz denken kann; daß es aber Dinge gibt, weiß er bloß aus Erfahrung, es würde ihm, sozusagen, nicht einfallen, Affektionen in die unendliche Substanz zu setzen, wenn er keine Dinge in der Erfahrung vorfände, und so zeigt sich denn, daß er einen objektiven Zusammenhang zwischen Gott und den Dingen zwar behauptet, aber ihn nicht wirklich aufzeigt, die Dinge sind ihm nicht von seinem Prinzip aus, sondern anderswoher gewiß. Es hilft nicht, etwa zu sagen: Im System des Spinoza haben die endlichen Dinge keine Wahrheit, nur die unendliche Substanz, nur Gott Ist eigentlich, die Dinge haben keine wahrhafte wirkliche Existenz. Gut, antworte ich, so erkläre mir nur wenigstens ihre nicht-wirkliche, ihre bloß scheinbare Existenz. Oder: »Alles Endliche als solches nur nicht-Sein, nur Schranke (= Negation).« Gut, so erkläre mir diese Negationen, und zwar von der Substanz aus; denn dies muß gefordert werden.
Der Spinozismus zeigt sich also auch von dieser Seite als ein System von unvollständiger und unvollkommener Entwicklung. Hätte er statt der toten, blinden Substanz die lebendige gesetzt, so bot ihm jener Dualismus der[62] Attribute ein Mittel dar, die Endlichkeit der Dinge wirklich zu begreifen. Wenn nämlich das ausgedehnte Wesen eigentlich das blinde, besinnungslose ist, so konnte das unendliche Denken als die ihm entgegengesetzte Potenz bestimmt werden, als die jenes außer sich Gesetzte in sich selbst zurückzubringen suchende. Dadurch entstanden denn notwendig Modifikationen, 1. des ausgedehnten Wesens, und zwar nicht bloß Modifikationen überhaupt, sondern bestimmte und untereinander abgestufte Modifikationen des ausgedehnten Seins, zugleich aber, indem das Denken in seinem Verhältnis zu dem Ausgedehnten einen Widerstand fand und in jeder derselben nur bis zu einem gewissen Grad des Aktus sich erhob, so waren auch in ihm, dem Denken, Bestimmungen, Modifikationen gesetzt. Dieser Gedanke ist aber dem Spinoza völlig fremd, es ist, wie gesagt, ein unentwickeltes System, und inwiefern aller Irrtum nur eben von der mangelnden Kraft der Entwicklung herrührt, so ist es damit schon als falsches oder irriges dargetan, ohne daß man nötig hat, zu den gewöhnlichen Anklagen desselben zu greifen, die teils ungerecht, teils in der Tat zu unbestimmt sind, um etwas gelten zu können.
Die Anklagen der ersten Art werden meist zusammengefaßt in dem ominösen Wort Pantheismus, mit dem heutzutage nach Belieben auch das Verschiedenartigste bezeichnet wird, und dessen viele sich nur als eines leicht, ohne Nachdenken anzuwendenden Werkzeugs bedienen, um an dem, was sie nicht zu widerlegen, weil nicht einmal zu verstehen fähig sind, wenigstens einen ohnmächtigen Zorn auszulassen. Da dieser Begriff in so allgemeinem, ja man kann sagen, fast beständigem Gebrauch ist, so werde ich hier etwas über die möglichen Bedeutungen desselben, jedoch zunächst nur in bezug auf Spinoza, sagen. Die gemeinste Vorstellung von Pantheismus und, inwiefern man das System des Spinozismus für Pantheismus erklärt, auch des Spinozismus ist diese: nach demselben sei jedes einzelne Ding, jeder Körper z.B., nur ein modifizierter Gott, es gebe daher so viel Götter als einzelne[63] Dinge; einige Neuere haben in diesem blinden Anlaufen gegen Pantheismus diesen sogar für einerlei mit Fetischismus erklärt, was allem hergebrachten und wohlbekannten Verstand der Worte entgegen ist. Denn es wird z.B. niemandem, der die Unterschiede menschlicher Vorstellungsweisen auch bloß historisch kennt, einfallen, den Fetischismus der Negervölker, die eine Straußenfeder, einen Zahn oder ein Stück Holz oder Stein zum Gegenstand ihrer Andacht wählen, für einerlei zu halten mit dem Pantheismus eines gebildeten Inders. In besonderer Beziehung auf Spinoza ist es jedem auch wissenschaftlich Ungeübten begreiflich zu machen, daß gerade, wenn das alles Seiende, als solches, welches eben darum selbst nicht ein besonderes oder einzelnes Seiendes sein kann, Gott ist – daß gerade darum Gott selbst nichts von allem Besonderen oder Einzelnen sein könne. – Nun läßt sich aber der Begriff auch so fassen: Obgleich nichts Einzelnes Gott genannt werden könne, so sei doch die Welt als Einheit oder als All gedacht Gott gleich, oder, wie man gewöhnlich sagt, von Gott nicht unterschieden. Allein versteht man unter diesem All wirklich nur das Kollektivum der endlichen Dinge, so ist es nicht wahr, daß Spinoza sie von Gott nicht unterscheide. Denn das ist seine beständige Lehre von Anfang bis zu Ende, Gott sei das, was durch sich selbst begriffen werde, was keinen andern Begriff voraussetze, die Welt aber sei das, was nur nach Gott sei und nur als Folge von Gott begriffen werde (Substantia divina natura prior suis affectionibus). Diese Lehre, welche die absolute Selbständigkeit Gottes und die absolute Unselbständigkeit der Dinge behauptet, setzt zwischen beiden einen Unterschied, der wahrhaft differentia totius generis ist, und so wenig als das einzelne Ding, so wenig kann auch die Welt als bloßer Komplex derselben nach Spinoza je Gott genannt werden. Zum Überfluß sagt noch Spinoza: Substantia infinita in se considerata et sepositis suis affectionibus allein sei Gott. Es bliebe also nur übrig zu sagen, nach Spinoza sei zwar die Welt nicht Gott, wohl aber sei umgekehrt Gott die Welt, oder er sei Welt über[64] haupt, d.h., es sei unmittelbar mit seinem Sein eine Totalität von Bestimmungen dieses Seins gesetzt. Hieraus würde aber nicht folgen, daß alles – Gott sei, wie man durch das Wort Pantheismus ausdrückt, sondern daß Gott alles sei. Hier wird es nun aber allen Systemen ungemein schwer zu zeigen, wie und in welchem Sinne Gott nicht alles sei, d.h., wie man Gott von irgend etwas schlechthin ausschließen könne. Ferner ist auch der Sinn des Satzes: Gott sei alles, nicht der, er sei seinem Wesen nach alles, denn dies bleibt immer einfach (prius affectionibus) und Eins, sondern nur, er sei seiner Existenz nach alles; der als existierend, in der Entfaltung seines ganzen Seins und gleichsam außer sich betrachtete Gott sei die Totalität aller Bestimmungen des Seins, nicht aber Gott in seinem Wesen, an sich oder in seiner Verborgenheit betrachtet. Dies ist eine sehr wichtige Unterscheidung, die man gewöhnlich gern übersieht. Indes ist es allerdings auch mit dieser Unterscheidung noch nicht ausgemacht, daß es eine richtige Art, von Gott zu denken und zu sprechen, sei, wenn man sagt, Gott sei in seinem Sein oder seinem Sein nach die Totalität aller Bestimmungen des Seins, und wenn man dies (obgleich nicht ganz sprachrichtig) Pantheismus nennen will, so ist allerdings über diesen Begriff des Pantheismus noch nicht entschieden. Dies zu entscheiden, ist Sache der Philosophie selbst.
Andere Vorwürfe, die man Spinoza macht, sind, wenn man sie genauer untersucht, eigentlich unbestimmt, denn jeder Vorwurf wird ein bestimmter nur, wenn man dem Verworfenen das Rechte und das Wahre entgegenstellen kann, wie man z.B. kein Recht hat, einen Feldherrn zu tadeln, daß er die Schlacht verloren, wenn man nicht angeben kann, wie er sie entweder hätte vermeiden oder gewinnen können. So ist es namentlich auch mit jener angeblichen Nichtunterscheidung Gottes von der Welt. Solange die bisherige Unbestimmtheit in Ansehung der Art von Einheit, in welcher Gott nach jedem System mit der Welt stehen muß, fortdauert (denn in eine förmliche Trennung darf doch die Unterscheidung in keinem Fall[65] ausschlagen), solang die Grenze jener Unterscheidung nicht angegeben, so lang hat jener Vorwurf gegen Spinoza keine Bestimmtheit. Dasselbe ist von dem anderen nicht minder gewöhnlichen zu sagen, daß Spinoza die Persönlichkeit Gottes leugne. Allerdings hat Gott nach Spinoza keine von seinem Wesen verschiedene Existenz. Er ist nur sein Wesen, und sein Wesen ist das allgemeine Wesen, die allgemeine Substanz. Ferner ist er auch gegen die Welt nicht in einem freien, d.h. persönlichen, Verhältnis; die Welt ist eine Folge seiner Existenz, und da er seiner Natur nach, d.h. notwendig, existiert, so ist auch die Welt eine Folge seiner Natur. Aber solange die wissenschaftlichen Begriffe so beschaffen sind, daß selbst diejenigen Philosophen, welche für die Persönlichkeit Gottes streiten, sich zu dem Bekenntnis gezwungen sehen: nach wissenschaftlichen Begriffen sei die Persönlichkeit Gottes unbegreiflich, so lange hat auch dieser Vorwurf keine Kraft.
Es bleibt also in Ansehung des Spinozismus vorderhand wohl nichts klar, als daß er ein System bloßer Notwendigkeit sei, d.h., das alles als bloß notwendige Folge aus der göttlichen Natur (nicht als freie, zufällige Folge seines Wollens) erklärt. Allein, es ist dies kein Vorwurf, der dem Spinozismus ausschließlich gemacht werden kann.
Die Lehre des Spinoza ist im allgemeinen ein Notwendigkeitssystem. Aber auch innerhalb dieser Schranke ist es ein unentwickeltes System. Insbesondere darum, weil die Substanz bei ihm ganz unbeweglich ist, die tot, unbeweglich nur seiende, in ihrem Sein verlorene, nicht in diesem Sein sich selbst besitzende und steigernde, die sich also auch wieder frei verhielte gegen dieses Sein. Wenn nun der Spinozismus ein unentwickeltes Notwendigkeitssystem ist, so läßt sich zum voraus erwarten, daß zunächst in den unmittelbar folgenden Lehren nun eben dieses Notwendigkeitssystem mehr entwickelt, nicht aber die Notwendigkeit selbst überwunden worden sei. Denn es ist die Natur des menschlichen Geistes, besonders im philosophischen Fortschreiten nichts unerörtert zurückzulassen, auch[66] von einem Prinzip nicht abzustehen, bis es in allen seinen Folgen erschöpft ist. Nicht daß entgegengesetzte Bestrebungen und Versuche nicht immer dazwischentreten, so auch gegen Spinoza und die folgenden – aber da sie sich gegen das Unentwickelte richten, so gewinnt dies durch den Widerspruch selbst nur eine höhere Stufe der Entwicklung, und es steht nun mit ganz andern und neuen Kräften wieder auf, gegen welche die früheren Einwürfe, die nur das Unentwickelte trafen, nichts mehr vermögen.
Man hat das Leibnizische System (in der Aufeinanderfolge der philosophischen Entwicklung das nächste nach dem Spinozas) schon sehr früh als ein dem Spinoza stillschweigend entgegengesetztes und dessen Prinzip gleichsam untergrabendes gerühmt. Allein es verhält sich damit ganz anders. Was man im Spinozismus das Anstößigste fand, war, daß Gott unter dem Einen seiner Attribute betrachtet die ausgedehnte Substanz sei. Nun sagt man: Leibniz räumt das Ausgedehnte überhaupt hinweg und vergeistigt alles. Allein in dem Sinn, in welchem es Leibniz entfernt, war es auch durch Spinoza schon entfernt, und umgekehrt in dem Sinn, in welchem es Spinoza behauptet, behält es auch Leibniz bei. Nämlich Leibniz sagt: Die Substanz ist Monas; wir können dies vorläufig genügend erklären, wenn wir sagen: seine Meinung Ist, die Substanz sei geistige Substanz. Dieser Begriff tritt aber zunächst nur entgegen der schlechten Vorstellung von der Materie als einem Zusammengesetzten. Leibniz sagt: Sowohl das, was wir das Ausgedehnte, als das, was wir das Denkende nennen – beides ist an sich nur geistige Substanz. Aber eben dasselbe sagt recht verstanden auch Spinoza, der mehr als einmal versichert, die Ausdehnung als göttliches Attribut, oder sie wahrhaft betrachtet und so wie sie Ist, sei nicht in Teile trennbar oder aus Teilen zusammengesetzt, sondern ein schlechthin Einfaches; ebenso sei auch die Materie nicht teilbar oder zusammengesetzt als Substanz, sondern nur sofern sie abstracte, abgezogen von der Substanz und folglich unwahr, betrachtet werde. Wenn man nun unter dem Materiellen nur des Zusammengesetzte[67] versteht, so war dem Spinoza das Ausgedehnte oder die Substanz unter diesem Attribut betrachtet ebenso geistig wie Leibniz selbst die Vorsellung. Die teilbare oder aus Teilen zusammengesetzte Materie entsteht dem Spinoza ebensowohl nur infolge einer falschen und unrechten Betrachtung, als sie Leibnizen durch eine bloß verworrene Vorstellung entsteht. Leibniz leugnet auch nicht schlechthin das Teilbare der Materie (als Schein). Leibniz nimmt jene Einheiten, die er Monaden nennt, auch als die letzten, obwohl geistigen Elemente alles Materiellen an. Eine Monade für sich betrachtet ist schlechthin unkörperlich, reine Vorstellkraft (denn dies: Vorstellkraft zu sein, ist nach ihm das Wesen alles Seienden. Nur dasjenige Ist, was vorstellt); aber mehrere Monaden bilden zusammen ein Ganzes, das aus relativ untergeordneten und relativ herrschenden Monaden besteht, über denen zuletzt Eine dominierende Monas sich erhebt. Wer nun dieses Ganze so sähe, wie es Gott sieht, d.h. nur als ein Ganzes zusammenhangender und einander gegenseitig voraussetzender rein geistiger Kräfte, der würde nichts von körperlicher Ausdehnung wahrnehmen. Allein das einzelne Weltwesen, der Mensch z.B., steht nicht in jenem perspektivischen Mittelpunkt, wo ihm die Dinge so erscheinen, sondern außer demselben, und durch diese Art von Verschiebung der Monaden aneinander entsteht eine verworrene Vorstellung, und der bloße Schein, das bloße Phänomen dieser verworrenen Vorstellung ist das körperlich Ausgedehnte, das an sich nicht mehr Realität hat als z.B. der Regenbogen. Was nun Spinoza auf diese Art durch eine bloß abstrakte Betrachtungsweise, durch Abstraktion von der an sich unteilbaren Substanz entstehen läßt – das Scheinbild der teilbaren Materie –, das entsteht für Leibniz durch eine verworrene Vorstellung. Jedes körperliche Ding ist an sich nur ein Ganzes geistiger Kräfte, könnten wir es adäquat vorstellen wie Gott, so würden wir nichts als Geistiges darin sehen. Nur die verworrene Vorstellung erzeugt den Schein der Körperlichkeit. Welche von beiden Erklärungen einleuchtender ist, will ich nicht untersuchen.[68] Ich erwähne dies nur in der Absicht, zu zeigen, daß, wenn man unter der Monas das einfache Geistige versteht, die wahre Substanz der Materie auch dem Spinoza einfach und unteilbar ist. Hierin also hat Leibniz nichts vor Spinoza voraus, dagegen ist zwischen beiden der große Unterschied, daß Spinoza an den zwei Attributen einen wirklichen Gegensatz hat, den er freilich zur Entwicklung nicht benutzt, der aber doch benützt werden könnte. Wo Gegensatz ist, da ist Leben. Leibniz dagegen ist ein absoluter Unitarier, um mich so auszudrücken. Er kennt nichts als Geist, bei ihm ist nichts Ungeistiges, dem Geist Entgegengesetztes. Die Unterschiede, die bei ihm vorkommen, sind wirklich bloß quantitative – es gibt vollkommenere und unvollkommenere Monaden; die eine ist ihm in Bewußtlosigkeit versunken, die andere bewußt; aber weder woher dieser Unterschied eigentlich kommt, kann er darlegen, denn er hat nichts an sich Ungeistiges, an sich dem Bewußten Entgegengesetztes, noch warum überhaupt ein solcher Unterschied stattfindet. In dieser Hinsicht wäre also mit Leibniz' Monadenlehre gegen Spinoza nicht viel gewonnen.
Auf andere Art aber hat man gemeint, im Begriff der Monas einen Gegensatz und Widerspruch gegen den Spinoza zu finden. Denn jede Monas sei eine eigne, eine rein in sich abgeschlossene Substanz, es gebe daher so viele Substanzen oder Zentra, als es Monaden gebe, und nicht bloß eine Substanz, wie Spinoza behauptet. Allein in dem Sinn, in welchem Leibniz mehrere Substanzen annimmt, in dem Sinn nimmt sie auch Spinoza an, nämlich mehrere ja unendlich viele Modifikationen der Substanz, und in dem Sinn, in welchem dieser nur eine Substanz behauptet, muß am Ende auch Leibniz nur eine annehmen. Denn er denkt sich, wie schon gesagt, die Monaden einander unter und übergeordnet; dies führt ihn auf eine Urmonade, auf eine alles dominierende, eine Weltmonade. Diese Urmonas ist Gott, der auch die einzige Substanz ist, wenn man unter Substanz das versteht, was Spinoza: id, cujus conceptus non eget conceptu alterius rei, und so denkt sie[69] sich Leibniz wirklich. Alles kommt nur darauf an, welches Verhältnis er den abgeleiteten, von der Urmonas abhängigen Monaden zu der Urmonade gibt. Hierüber will ich denn seine eignen Worte anführen: Deus solus est unitas primitiva, sive substantia originaria (= cujus conceptus non eget etc.), cujus productiones (hier Schöpfung) sunt omnes monades creatae aut (NB.) derivatae, et nascuntur, ut ita loquar, per continuas Divinitatis fulgurationes, per receptivitatem Creaturae limitatas, cui essentiale est, esse limitatam. Also Gott allein ist ihm substantia originaria; von ihm werden die andern produziert. Spinoza bedient sich dieses Worts nicht, oder nur uneigentlich. Die Dinge sind dem Spinoza bloße logische Emanationen. Es fragt sich also, was dieses Produzieren bei Leibniz bedeute. Statt eines Begriffs gibt er uns ein Bild – die einzelnen, abgeleiteten Monaden entstehen durch ein beständiges Ausblitzen oder Wetterleuchten der Gottheit. Ein solches Effulgurieren ist etwas zu Unbestimmtes, als daß man daraus die Bestimmtheit der Dinge erklären könnte. Er erklärt also die Bestimmtheit der Dinge, indem er sagt: jenes Wetterleuchten werde durch die Rezeptivität der Kreatur limitiert (sie haben nur ein gewisses Maß, Gott aufzunehmen). Hier müßte man also der Kreatur eine Rezeptivität zuschreiben, noch ehe sie existiert; es sei der Kreatur, sagt er, wesentlich, limitiert, eingeschränkt zu sein. Freilich wenn sie erst ist. Aber die Frage ist ja eben die Kreatur, d.h. also, wie die Limitation entstehe, und da diese nicht bedingt sein kann durch die eingeschränkte Rezeptivität der noch nicht existierenden Kreatur und der Grund dieser Einschränkung ebensowenig in der unendlichen Macht der Gottheit liegen kann, so ist leicht einzusehen, daß der Grund der Limitation nur in dem göttlichen Willen liegen kann. Dies sagt Leibniz nicht, so offenbar er es sagen müßte (er respektiert die Limitation der Kreatur). Daß er dies zu behaupten so offenbar vermeidet, zeigt wohl, wie das Ganze gemeint ist. Nämlich er will mit dem übrigens schönen Bilde des Wetterleuchtens, wobei Gott gleichsam wie eine von Realität schwangere[70] Wolke gedacht wird, nur sagen: die geschaffenen Monaden folgen aus Gott oder der göttlichen Natur ebenso still und ohne eigne Tat, wie sie nach Spinoza aus ihr folgen. Er bedient sich nur eines physischen Bildes, wie Spinoza eines geometrischen Gleichnisses; in der Sache aber läuft es auf eins hinaus. Das von ihm gebrauchte Bild kommt auf das uralte der Emanation zurück. Aber auch Spinoza ist ja Emanationist, freilich nicht physischer, sondern logischer; auch behauptet er freilich nicht ein äußeres Getrenntwerden des Ausfließenden von seiner Quelle, wie man die Emanation gewöhnlich versteht (denn ob sie je und in irgendeinem System, z.B. dem der jüdischen Kabbala, so zu verstehen gewesen sei, ist noch eine große Frage), sondern das aus Gott Folgende bleibt in Gott, und man kann insofern seine Lehre eine immanente Emanationslehre nennen. Die reinen Monaden sind aber auch nach Leibniz in Gott. Denn das Körperliche entsteht ihm nur, indem sie außer Gott betrachtet werden. Ein wahrer Unterschied dagegen liegt in dem schon Bemerkten. Wenn Spinoza, ob er gleich keinen Gebrauch davon machte, doch in der ursprünglichen Zweiheit, die er in das höchste Wesen setzte, noch immer ein Mittel besaß, eine Schöpfung endlicher Dinge begreiflich zu machen, so fehlt dies Leibnizen gänzlich. – Noch ist zu bemerken, daß Leibniz mit jener Erklärung nur erst die einfachen Monaden hat, noch nicht aber eigentlich die Dinge, welche nach ihm aus einer Akkumulation oder Verkettung von Monaden bestehen. Es müßten also eigentlich nicht die Monaden, sondern diese Totalitäten, Verknüpfungen oder Systeme von aus Gott emanierten sein, oder müßte noch besonders erklärt werden, wie sie auf die angenommene Weise verknüpft werden, d.h., es lohnt nicht der Mühe, weiter in dieser Beurteilung zu gehen; denn was angeführt worden, reicht wohl hin, uns zu überzeugen, daß man dem sinnreichen Manne Unrecht tun würde, wenn man seine Monadenlehre für etwas mehr als eine Hypothese halten wollte, die er sich ausgedacht hatte, vielleicht nur, um dem Spinozismus einstweilen etwas anderes entgegenzustellen,[71] um die Welt darüber gleichsam zu zerstreuen. Von einer Seite gelang es dieser Hypothese wirklich, sich wichtig zu machen. Denn wie die Zeitgenossen sich meist an die Nebensache hängen, so war jene Descartessche Frage de commercio animi et corporis die allerwichtigste geworden. Hier unterschied sich nun Leibniz von Descartes dadurch. Leibniz war entschiedener Antidualist, Leibliches und Geistiges waren ihm insofern eins, als er beides zuletzt auf den Begriff der Monas zurückführte. Er hatte also nicht die Schwierigkeit, welche Descartes hatte. Aber jede Monas war ihm ein absolutes Zentrum, ein Universum für sich, eine abgeschlossene Welt, eine reine Ichheit, in die nichts von außen hineinkommen konnte. Die Monaden, sagt er, haben keine Fenster, durch welche die Dinge hineinstiegen. Wie kommt es denn aber, daß diese Monaden, die gegeneinander lauter Selbständigkeiten sind, unter sich übereinstimmen, oder daß die eine bestimmend für die Vorstellungen der andern wird, denn ihr Wesen besteht ja in bloßer Vorstellung, jede Monas ist nur eine eigne, selbständige vis repraesentativa oder ein centrum repraesentativum Universi, das freilich nur wieder die Vorstellungen der andern vorstellt? Wie läßt sich insbesondere jenes innige und unmittelbare Verhältnis erklären zwischen der Monade, welche die dominierende meines Organismus, die unmittelbare Seele des Leibes, die bloß tierische Seele ist, und zwischen der höheren, welche die vernünftige Seele ist? Hierauf antwortet Leibniz: »Beide sind so zueinander gestimmt und aufeinander berechnet, daß die vernünftige Seele zufolge der bloßen immanenten Evolution ihrer Vorstellungen, und ohne aus sich selbst hinauszugehen, alles vorstellt, was in dem Körper vorgeht, gleich als ob sie von ihm affiziert würde« (wer sieht hier nicht den nur im Ausdruck verkümmerten Spinozistischen Satz?... Spinoza sagt: die Seele ist nichts anderes als der unmittelbare Begriff des Körpers, an die Stelle von: Begriff setzte Leibniz das bei weitem nicht so viel bedeutende Wort: Vorstellkraft); hinwiederum, fährt er fort, drückt der Körper bloß einem immanenten Gesetz[72] seiner Evolution folgend alles, was in der Seele vorgeht, durch seine Bewegungen aus, gleich als wäre er zu diesen von der Seele bestimmt worden, sie verhalten sich (er selbst bedient sich dieses Gleichnisses) wie zwei Uhren, die der Meister so eingerichtet und aufgezogen hat, daß die eine, ohne von der andern zu wissen, zugleich mit der andern Stunden und Viertel schlägt. Dieses also ist das so berühmt gewordene System der sogenannten vorherbestimmten (prästabilierten) Harmonie, zu seiner Zeit Gegenstand unendlicher Erörterungen, eines langen Hin- und Widerredens, heutzutage höchstens als eine philosophische Antiquität zu betrachten und als Anlaß, sich über die Langmut des deutschen Geistes zu verwundern, der bei so wenig natürlichen und doch zugleich so untergeordneten Vorstellungen so lange sich festhalten ließ.
Wenn wir nach allem diesem den Leibnizianismus zunächst nur als einen verkümmerten Spinozismus ansehen können, so müssen wir wenigstens eine verdienstliche Seite desselben rühmen, diese nämlich, daß er sich nicht begnügte, von den Dingen immer nur in abstracto, ohne alle Rücksicht ihrer Unterschiede und Abstufungen, zu reden. Leibniz zuerst nannte die Welt der unorganischen und insgemein tot genannten Körper eine schlafende Monadenwelt; die Seele der Pflanzen und der Tiere war ihm die bloß träumende Monas, die vernünftige Seele erst die wachende. Obgleich er diese Abstufung bloß bildlich ausgedrückt hat, soll sie ihm doch nicht übersehen werden, sie war der erste Anfang, das eine Wesen der Natur in der notwendigen Stufenfolge seines Zu-sich-selbst-Kommens zu betrachten, und kann insofern gelten als der erste Keim späterer, lebendigerer Entwicklung. Diese Seite ist noch die schönste und beste der Leibnizischen Lehre; von dieser Seite vorzüglich ist sie dargestellt in den bekannten Thesibus, die Leibniz über sein System für den berühmten Prinz Eugen von Savoyen schrieb, und die daher unter dem Namen der Theses in gratiam principis Eugenii bekannt, zugleich beweisen, daß die großen Feldherrn und Prinzen der damaligen Zeit sich mehr, als man heutzutage[73] rühmen kann, mit der Philosophie zu schaffen machten – doch auch Eugen war nicht ein Deutscher.
Sonst hat in bezug auf den Spinoza Leibniz, wie gesagt, nur dahin gewirkt, den spekulativen Sinn dieses Systems aus den Gedanken seiner und der folgenden Zeit zu verdrängen. Sein Verhältnis zu diesem, dessen er gleichwohl selten und stets nur im Vorübergehen erwähnt, war indes nicht sowohl das eines Gegners als das eines klüglich zurechtlegenden und zu vermitteln suchenden Auslegers. In diesem Sinn ist vorzüglich die Theodizee geschrieben, die durchgängig, ohne ihn viel zu nennen, den Spinoza voraussetzt, aber mehr von ihm abzulenken, ihn zu vermeiden sucht, als auf ihn zugeht. Dieses Werk sollte eine Rechtfertigung Gottes wegen der Zulassung des Bösen und des Übels in der Welt enthalten. Aber schon die Stellung, welche der Frage über den Ursprung des Bösen und des Übels in der Welt gegeben ist – es wird nämlich eine Rechtfertigung Gottes in dieser Beziehung gefordert –, diese Stellung schon setzt ein freies Verhältnis Gottes zu der Welt voraus. Denn wenn die Welt eine bloße notwendige Folge der göttlichen Natur ist, so kann in den Dingen und in der Welt wahrhaft betrachtet, d.h. nach der Art und Weise, wie sie aus der göttlichen Natur folgen, weder wahrhaft ein Übel noch wahrhaft etwas Böses sein. Leibniz war also durch die Frage schon, die er übrigens nicht sich selbst gestellt, sondern als Aufgabe einer hohen Person erhalten hatte (es war die Kurfürstin Sophie von Braunschweig, deren Nachkommen noch heute den Thron von Großbritannien einnehmen, die ihn dazu aufgefordert, und an der er eine große Gönnerin hatte, wie früher Descartes an der schon erwähnten Prinzessin Elisabeth: niemand ist unbekannt, was Wissenschaft und Kunst dem Pfälzischen Haus verdankten, Karl Friedrich gab Spinoza eine Professur in Heidelberg), durch die Aufgabe nun schon war Leibniz genötigt, Gott ein anderes Verhältnis zu der Welt und zu den Dingen zu geben, als das Spinoza und das er selbst ihm in seinen monadologischen Prinzipien gegeben hatte. Er stellt sich also Gott vor als[74] vor aller Zeit ratschlagend mit sich selbst, 1. ob es unter den notwendigen Einschränkungen, denen eine – von ihm unterschiedene Welt unterworfen sein müßte, besser sei, eine solche Welt zu schaffen, oder dies gänzlich zu unterlassen, 2. welche von den verschiedenen möglichen Ordnungen der Dinge unter jenen unvermeidlichen Einschränkungen, deren notwendige Folgen (wie er annimmt) ebensowohl das physische Übel als das moralische Böse sein müsse – welche Ordnung der Dinge also unter Voraussetzung jener Einschränkungen unter allen möglichen noch die beste sein würde, dieser Beratschlagung zufolge läßt er dann Gott den Entschluß zu der gegenwärtigen Welt fassen, welche demnach nicht die schlechthin, aber die doch unter jenen Voraussetzungen beste ist; woher denn der Name Optimismus, den man der Leibnizischen Vorstellung gab. Demgemäß hätte Leibniz 1. eine Entstehung der Welt in der Zeit und 2. eine Zeit vor der Welt, überhaupt nicht einen bloß logischen, sondern einen reellen und geschichtlichen Ursprung derselben behauptet. Indes, wollten gleich bei oder wenigstens bald nach der Erscheinung der Theodizee manche an der Aufrichtigkeit dieser Leibnizischen Darstellung zweifeln, und ein, freilich wegen seiner großen Eitelkeit wenig glaubwürdiger Mann wollte sogar von Leibniz selbst eine schriftliche Äußerung erhalten haben, die angezeigt hätte, daß er seine ganze Theorie in der Theodizee selbst als einen bloßen lusus ingenii angesehen habe. Sollte ich darüber eine Meinung äußern, so wäre ich eher geneigt anzunehmen, daß Leibniz seine Monadologie als einen bloßen lusus ingenii betrachtet habe, die er nur den Vorstellungen anderer gleichzeitiger oder ihm vorangegangener Philosophen entgegenstellte, und daß es ihm vielmehr mit der Theodizee Ernst gewesen. Leibniz war ein viel zu erfahrener von der einen und ein zu genialer Mann auf der andern Seite, als daß er selbst seine Monadenlehre für etwas mehr als eine bloß vorübergehende Vorstellung hätte halten können. Welche Meinung man indes darüber fasse, hat insofern weniger Wichtigkeit, als selbst die rechtverstandene Theodizee noch[75] immer nicht als ein eigentlicher Widerspruch gegen die Spinozistische Denkart, sondern nur als eine mildernde und akkommodierende Auslegung derselben erscheinen kann. Leibniz leitet das Böse in der Welt von der notwendigen Limitation in der Kreatur her. Dies heißt aber nichts anderes behaupten, als was Spinoza behauptet: »Die Kraft, die im Bösen sich zeigt, ist positiv betrachtet dieselbe, die im Guten wirkt; sie ist zwar vergleichungsweise unvollkommener (weniger positiv) als die im Guten, an sich aber oder außer der Vergleichung betrachtet doch selbst etwas Positives und auch eine Vollkommenheit. Das, was wir Böses daran nennen, ist nur der geringere Grad des Positiven, das aber bloß für unsere Vergleichung als ein Mangel erscheint, in der Natur oder im Ganzen keiner ist, da auch dieses Minus zur Vollkommenheit des Ganzen gehört.« Dies ist die wahre Meinung des Spinoza, die auch in seinem System vollkommen folgerichtig ist. Nach Leibniz ist in dem Bösen ebenfalls nur ein Plus von Limitation und ein Minus von Positivem. Dieses Minus von Positivem in dem einen gehört aber ebenso notwendig zu der möglich besten Welt als das Plus des Positiven in dem andern, ja wie in der Natur ein Übergewicht des Positiven auf der einen ein gleiches Übergewicht des Negativen auf der andern zur notwendigen Folge hat, so ist es wohl auch in der sittlichen Welt.
Leibniz verteidigt Gott wegen Zulassung des Bösen hauptsächlich durch Unterscheidung des göttlichen Willens und Verstandes. Gott, sagt er, kann nichts gegen den Verstand, der Verstand bringt es aber mit sich, daß die Kreatur überhaupt, und daß sie in verschiedenen Graden limitiert sei; diese Limitation (und mit ihr die Möglichkeit des Bösen) ist also unabhängig von dem göttlichen Willen, Gott hat nicht diese, sondern er hat nur das Gute gewollt. Er weiß also kein anderes Mittel, Gott wegen der Zulassung des Bösen, wie er für nötig hält, zu rechtfertigen, als indem er das Böse in die Limitation, d.h. in etwas setzt, das nur Mangel oder Beraubung ist. Und doch muß zum Bösen etwas mehr als bloße Limitation gehören;[76] denn unter allen Kreaturen ist gerade nur die vollkommenste, d.h. die am wenigsten limitierte, des Bösen fähig, nichts davon zu sagen, daß nach der dogmatischen Vorstellung, welche Leibniz auf jede Weise schont, der Teufel nicht die limitierteste, sondern vielmehr die illimitierteste Kreatur ist. Leibnizens Erklärung möchte etwa das bloß niederträchtige oder gemein Böse erklären, nicht aber das Böse in seinen großen Erscheinungen, wie es sich in der Weltgeschichte vereint mit der höchsten Energie und Vortrefflichkeit – nicht bloß der geistigen, sondern selbst der moralischen Kräfte sich zeigt. Nimmt man nun noch hinzu, daß nach Leibniz' Lehre auch das entschiedene Böse notwendig zur Vollkommenheit der Welt beiträgt und insofern notwendig selbst ein vollkommenes ist, so sieht man nicht, wo hier ein Unterschied sein soll. Man könnte sagen: Leibniz verbreitet doch durch jene, von ihm übrigens völlig unbegründet gelassene Voranstellung eines freien Entschlusses in Gott über das Ganze ein milderndes Licht. Aber gehört am Ende nicht auch dieser Entschluß zur Natur Gottes, konnte er sich ihm versagen? Wohl nicht. Der Entschluß war also in Ansehung Gottes selbst ein notwendiger. Leibniz sucht diese Notwendigkeit nur dadurch zu mildern, daß er sie als eine moralische vorstellt. Allein wenn die moralische Notwendigkeit, das Gute und unter gegebenen Bedingungen das Beste zu wählen, zur Natur, zum Wesen Gottes gehört, wie Leibniz behauptet, so ist dies nur ein Versuch, die Notwendigkeit, mit welcher, wie Spinoza sagt, alles aus dem göttlichen Wesen fließt, zu vermitteln und verständlich zu machen, nicht aber sie aufzuheben. Um diesen falsch-mildernden Schein, den die Vorstellung einer bloß in der sittlichen Natur Gottes gegründeten Notwendigkeit über das System der Notwendigkeit überhaupt verbreitet, zu zerstreuen, bedarf es nur einer kurzen Überlegung. Es gehört allerdings zu den gewöhnlichen populär rationalistischen Vorstellungen, daß Gott schlechterdings und seiner Natur zufolge nur das Gute tun könne, und unter dem Guten versteht man das dem Moral-Gesetz Gemäße. Aber Gott ist[77] außer und über allem Gesetz, denn er selbst ist das Gesetz. Gott ist der Herr jure absolute positivo, wie er ist, weil er Ist; es gibt nicht ein Gutes vor und außer ihm, das er wollen müßte, es gibt nur Gutes erst nach ihm und als Folge von ihm; gut ist nur, was Er will, und nur, weil er es will, ist es gut (nicht an sich), wenn er es nicht wollte, wär' es nicht gut. Wenn man nun darüber ins klare gekommen ist und das Herz gefaßt hat, dies einzusehen, so sieht man, daß jene gewöhnliche Lehre: Gott könne nur das Gute tun, ein tautologischer Satz ist; denn gut ist nur, was Gott tut, und insofern kann er freilich nur das Gute tun. Wer nur einigermaßen Bescheid weiß in unserer Zeit, der weiß auch, daß jener Satz, der die Freiheit in Gott unter dem Schein von sittlicher Notwendigkeit ganz aufhebt, der letzte Halt des Rationalismus ist, der sich sogar anmaßt, ausschließlich gleichsam sittlich zu sein, übrigens, indem er sich bloß dem Positiven der geoffenbarten Religion entgegenstellt, eigentlich allem Positiven auch in der Philosophie entgegen ist.
Es mag scheinen, daß unser Urteil über Leibniz im ganzen nicht sehr günstig gelautet. Dieses Urteil kann jedoch dem wahren Geiste des Mannes keinen Eintrag tun. Seine Philosophie war nicht unbedingt seine Philosophie, es war einem großen Teile nach die Philosophie seines Zeitalters, d.h. die Philosophie, welche seine Zeit allein zu tragen fähig war. Gewiß sah Leibnizens Geist weiter, als er zu erkennen gab. Er war gleichsam mit einem magischen Blick begabt, einem Blick, dem jeder Gegenstand, auf den er sich heftete, wie von selbst sich aufschloß. Leibniz wird durch die Weite und Umfassung seines Geistes, die Fruchtbarkeit seiner Ideen, die ungemeine Gabe sinnreicher Erfindung, die ihm beiwohnte und die in der Philosophie etwas so Seltenes ist als in der Poesie oder in irgendeiner Art menschlicher Bestrebungen – er wird durch dies alles immer ein Stolz der deutschen Nation bleiben; sein mehr vermittelnder als revolutionärer Geist ging schon zufolge der ihm einwohnenden Ruhe durchaus nur stufenweise, er tat immer nur das Nächste und suchte[78] Extreme eher zu verbinden, als selbst Extreme aufzustellen; wenn er mit so großen Eigenschaften nicht das alles leistete, das er leisten konnte, so muß man die unüberwindliche Erstorbenheit seiner Zeit in Betracht ziehen, jener traurigen Zeit, die in Deutschland unmittelbar auf die Zerrüttungen des 30 jährigen Kriegs folgte; Descartes, der Anfänger der neueren Philosophie, starb zwei Jahre nach dem Ende dieses Kriegs, der größte Teil seines Lebens war während desselben verflossen. Leibniz war zwei Jahre vor dem Westfälischen Frieden (1646) geboren. Es scheint, daß jene geistigen Bewegungen, welche die Prinzipien des inneren Lebens aufs neu' in Frage stellen, mit den äußeren Bewegungen stets in einer gewissen Beziehung stehen. Kants Philosophie fiel gleichzeitig mit der Französischen Revolution, und noch hat keiner seiner Nachfolger das Ende dieser politisch zerrissenen Zeit erlebt, in der man, wie es scheint, jeden Mißverstand stets nur durch einen neuen und größeren auszugleichen wußte.
Das Hauptbestreben von Leibniz scheint gewesen zu sein, das rovolutionäre Element, das durch Descartes in die Philosophie gekommen war, wieder zu beschwichtigen und gegen den objektiven Rationalismus des Spinoza, der in der Tat ein vorzeitiger war – zu früh der freien wissenschaftlichen Dialektik ein Ende zu machen suchte –, gegen diesen erstarrenden Rationalismus wieder die Freiheit einer noch lange nicht erschöpften und ans Ende gekommenen Dialektik geltend zu machen. Unvermeidlich mußte er so dem objektiven Rationalismus des Spinoza eine subjektive, eine bloß räsonierende, subjektive Vernünftigkeit begründende Philosophie entgegenstellen, aus der durch eine natürliche Folge, besonders nachdem Christian Wolff, langweiligen Andenkens, sich der Leibnizischen Ideen bemächtigt hatte, jener Rationalismus hervorging, der besonders in der Religion so lange Zeit herrschend blieb. Die ersten theologischen Rationalisten waren lauter Wolffianer, die in dem Staat aufgestanden waren, in welchem die Wolffische Philosophie lange Zeit gleichsam die privilegierte gewesen war. Leibniz lenkte wieder zu der alten[79] Metaphysik um und wurde so allerdings der mittelbare Urheber oder doch Veranlasser jener Gestalt, welche die Schulmetaphysik vor Kant angenommen hatte. Kant aber sollte für diese neuere Metaphysik eben das werden, was Descartes für die alte war. Der allgemeine Charakter der scholastischen Metaphysik, dem auch die neuere im ganzen treu blieb, beruht 1. auf der Voraussetzung gewisser allgemeiner Begriffe, die als unmittelbar mit dem Verstande selbst gegeben angenommen werden. Leibniz hatte sich sehr bemüht, die Priorität, die Unabhängigkeit dieser Begriffe von sinnlicher Wahrnehmung und Erfahrung und damit die ihnen einwohnende Notwendigkeit und Allgemeinheit zu verteidigen und wider die Gegner angeborner Begriffe zu schützen. Nächst diesen allgemeinen Begriffen setzte man dann 2. gewisse Gegenstände als in der Erfahrung gegeben voraus. Zu diesen Gegenständen gehörten nicht bloß diejenigen, welche heutzutag allein Erfahrungsgegenstände genannt werden, indem man nämlich die Erfahrung auf die bloß sinnliche einschränkt. Zu diesen Gegenständen gehörten ebensowohl Seele, Welt und Gott, deren Dasein man im allgemeinen als gegeben voraussetzte und nur zum Gegenstand einer rationalen Erkenntnis zu erheben strebte. Dies geschah durch eine einfache Anwendung der schon vorhandenen Begriffe auf die Gegenstände. Solche Begriffe waren Wesen, Sein, Substanz, Ursache oder abstrakte Prädikate, als Einfachheit, Endlichkeit, Unendlichkeit usw., und es kam nur darauf an, die vorausgesetzten Begriffe mit den vorausgesetzten Gegenständen in äußere Verbindung zu bringen, was man dann beweisen nannte. Der Beweis war nie ein Selbstbeweis des Gegenstandes; nicht der Gegenstand erwies sich durch seine eigne Fortbewegung oder innere Entwicklung als dieses oder jenes, er hatte sich nicht innerlich oder in sich selbst entwickelt, z.B. bis zu dem Punkt, wo er sich als menschliche Seele aussprach, sondern unter den bekannten und vorausgesetzten Dingen fand sich auch eins, das man die menschliche Seele nannte und mit dem man nun das ebenfalls schon bekannte Prädikat der Einfachheit,[80] d.h. der Immaterialität, in Verbindung zu bringen suchte. Es war also hier auch kein durch alle Gegenstände fortgesetztes System, sondern mit jedem Gegenstand fing diese Metaphysik wieder von vorn an und konnte die verschiedenen Materien ganz bequem kapitelweis abhandeln. Es war nicht ein und derselbe Begriff, der durch das Ganze hindurchging und der, auf jeder neuen Stufe von Entwicklung angekommen, sich als ein anderer, z.B. hier als Materie oder bestimmter als Pflanze, als Tier, dort als menschliche Seele bestimmte. Es war nicht um das Subjekt und um das Prädikat selbst (die man bloß voraussetzte), sondern nur um die Verbindung beider, d.h., es war um die Formen feststehender Sätze zu tun, in die man beide brachte; dergleichen Sätze waren z.B.: die Seele ist absolut einfach, die Welt ist im Raum und der Zeit nach entweder begrenzt oder unbegrenzt (denn hier in den kosmologischen Begriffen ließ jene Metaphysik eine gewisse Freiheit zu). Kant hat späterhin etwas Besseres darin gesucht, daß diese widersprechenden Behauptungen gerade nur bei den kosmologischen Ideen sich hervortun. Allein dem ist keineswegs so. Der angebliche Widerspruch zwischen den kosmologischen Ideen pflanzt sich auf die Theologie und Psychologie fort. Die Frage: ob die Welt unendlich oder endlich, ob sie in der Zeit angefangen habe oder ohne Anfang, eine ins Endlose zurückgehende Kette von Ursache und Wirkungen sei, diese Frage ist auch für die theologischen Ideen von Einfluß, und der Meinung, daß die Welt angefangen, entspricht notwendig auch eine ganz andere Vorstellung von Gott als der entgegengesetzten; ferner die Meinung, daß in der Welt alles durch einen notwendigen, unverbrüchlichen Kausalnexus bestimmt sei, der also auch durch keine freie Handlung unterbrochen werden könnte, ist von notwendigem Einfluß auf die rationale Psychologie wie auf die Theologie. In der Theologie ist gerade derselbe Widerspruch. Die zwei Behauptungen, Gott sei ein bloß blind, d.h. nur zufolge der inneren Notwendigkeit seiner Natur, wirkendes W